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Elsaesser, Thomas. “Fassbinder, Spiegelbilder des Faschismus und der europäische Film.” In Elsaesser, Thomas. Rainer Werner Fassbinder, 197–222. Berlin: Bertz + Fischer, 2012.

Fassbinder, Spiegelbilder des Faschismus und der europäische Film

Thomas Elsaesser

from Rainer Werner Fassbinder [2nd ed.] by Thomas Elsaesser

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»... auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.«1

Die Vergangenheit bewältigen?

Im vorangegangenen Kapitel habe ich vorgeschlagen, die »BRD-Trilogie« am besten als Fassbinders pervers optimistische Einladung an die Westdeutschen der siebziger Jahre zu verstehen, einen Blick auf die Westdeutschen der fünfziger Jahre zu werfen: auf ihre Ehen, ihre Beziehungen, ihre Sentimentalität und ihre Depressionen, die Ursprünge des Wohlstands. Als weit schwieriger erwies sich der Versuch, auf ähnliche Weise zur Erinnerung an die vierziger Jahre einzuladen. Eine Zeit, in der jene, die in den fünfziger Jahren Eltern sein würden, noch Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt sangen und in der sie sich – trotz oder vielleicht wegen der Bomben und der gefallenen Brüder und Väter – verliebten. Aus der Perspektive der siebziger Jahre wurde die NS-Zeit unweigerlich im Zeichen der »Wiederkehr des Verdrängten« wahrgenommen und provozierte die manchmal unausgesprochene, aber stets unbeantwortbare Frage, inwieweit die Nation ihre Vergangenheit »bewältigt« habe. Wenngleich es gemeinhin als abgemacht galt, dass die korrekte Antwort auf diese Frage negativ zu sein habe, dürfte es schwierig sein, sich ein Land vorzustellen, dass sich intensiver mit einer Periode seiner Geschichte beschäftigt hat als die Bundesrepublik2. Doch bereits in den sechziger Jahren tat sich eine Lücke auf zwischen dem Umgang der meisten Westdeutschen mit der NS-Zeit und den Gefühlen, Reaktionen und Einstellungen, die die übrige Welt von ihnen erwartete. Trotz aller Bemühungen ist diese Lücke seither noch immer nicht geschlossen. Einige historische Fakten müssen in Erinnerung gerufen werden. Anders als das Spanien der Jahre 1936–1939 war das Deutschland von 1945 nicht die Folge eines Bürgerkriegs, und so verbot sich die Rede von einem Bruderzwist und einer Familie, die erst langsam zusammenwachsen müsse. Es blieb ein geteiltes Volk, wobei dessen einem Teil die Möglichkeit gegeben wurde, auf Kosten des anderen zusammenzurücken, indem man militant den neuen Kriegsschauplatz, nämlich den des Kalten Krieges, betrat. Die »Befreiung« war von außen gekommen – und die Frage »Mai 1945 – Befreiung oder Niederlage?« hing wie eine dunkle Wolke über der westdeutschen Öffentlichkeit3.

[Bild 1&2: »Vergessliches Deutschland«: ...]

Öffentliche Anlässe wie das alljährliche Gedenken an das Kriegsende oder auch der Kniefall Willy Brandts in Warschau erhitzten die Auseinandersetzungen und fanden weltweite Beachtung, wobei klar wurde, dass die Hitze, mit der die Debatten geführt wurden, nicht immer neues Licht auf den Kern der Kontroversen warf. Mitunter entwickelten diese Anlässe eine ganz eigene Logik, in der Zufall, schlechtes Timing und Taktlosigkeit eine solch bedeutende Rolle spielten, dass man fast schon von »Freud’schen - Fehlleistungen« sprechen kann. Im inneren Monolog der Nation über ihre Geschichte4, in der »Spannung zwischen Erinnern und Vergessen«5, bot sich das oft groteske und manchmal auch mitleiderregende Bild einer nicht enden wollenden Reihe politischer Ausrutscher und diplomatischer Fauxpas. Als sich die Protagonistin in DIE EHE DER MARIA BRAUN in der Küche eine Zigarette anzündet, wo sie zuvor vergessen hatte, das Gas abzudrehen, erkannte Fassbinder in dieser fatalen Unachtsamkeit ein angemessenes, gleichwohl uncharakteristisch apokalyptisches Bild für die Wiederkehr des Verdrängten und die bewusst/unbewussten Fehlleistungen auch der öffentlichen Vertreter des Adenauer-Deutschlands. Die unterschwelligen Anspielungen dieser Schluss-Szene zählen zu den Gründen, weshalb die Heldin, wie wir gesehen haben, immer wieder als Exponentin des »vergesslichen Deutschland« angesehen worden ist. Andererseits konnten solche Szenen die Opfer des Nazi-Terrors nicht davon überzeugen, dass die Deutschen bereit waren, ihre historische Verantwortung ernst zu nehmen. Die Widersprüche lagen auf der Hand: Nach den Nürnberger Prozessen zeigten sich die Alliierten bemerkenswert milde und nachsichtig, erlaubten sie doch vielen hochrangigen Nazis die Rückkehr in die Respektabilität und der Mehrheit der Deutschen ein bequemes Vergessen. Die Frage, weshalb Hitler bereitwillige Unterstützung für seine rassistische Politik und seinen »totalen Krieg« erhalten hatte, wurde der akademischen Geschichtswissenschaft überlassen, und während der fünfziger, sechziger Jahre zeigte sich nur geringe Neigung, Fragen individueller Schuld zu diskutieren oder offen Scham und Gewissensbisse zu bekunden.

[Bild 3&4: ... Das Ende von DIE EHE DER MARIA BRAUN]

Diejenigen, die diese Fragen auf die Tagesordnung setzten (oder dies zumindest versuchten), sahen sich mit einem doppelten Problem konfrontiert: den Faschismus zu bilanzieren, jedoch ohne ihn zu »erklären« und damit wegzuerklären beziehungsweise zu »historisieren«. In der Wissenschaft führte dieses Dilemma zur »Faschismus-Debatte« der siebziger Jahre: auf der einen Seite die »Intentionalisten«, die den Nationalsozialismus hauptsächlich an die Person des »Führers« banden und den Krieg als eine von langer Hand geplante Umsetzung von Hitlers rassistischen und imperialistischen Zielen ansahen, und auf der anderen Seite die »Funktionalisten«, die den Nationalsozialismus als ad-hoc-Allianz widersprüchlicher sozioökonomischer Interessen charakterisierten, die nur durch Hitlers Kriegserklärung und durch die Komplizenschaft bei der »Endlösung« zusammengehalten wurde. Diese Auseinandersetzung verschärfte sich im sogenannten »Historikerstreit« der achtziger Jahre, als Jürgen Habermas in den Arbeiten bekannter Historiker, darunter Ernst Nolte und Andreas Hillgruber, ein nicht-akzeptables revisionistisches Projekt erkannte, das angetreten war, die NS-Zeit zu relativieren und den Holocaust durch Vergleiche mit vorausgegangenen und nachfolgenden Völkermorden (die Vernichtung der Hereros, der Armenier, Stalins Gulag, Idi Amin, Pol Pot) zu »normalisieren«6. Als besonders kontrovers erwies sich dabei Hillgrubers Versuch einer Aufrechnung der KZ-Opfer mit den hunderttausenden Toten alliierter Luftangriffe auf Dresden und Hamburg oder den Opfern der Massenvertreibungen im Osten nach der Kapitulation7.

Die Grenzen der Darstellung

Für Schriftsteller und Künstler führte die Herausforderung, die Vernichtungslager, die Welt der Täter oder auch die Konflikte zwischen Individuen und Institutionen wie der Kirche in Prosa oder dramatischen Texten zu gestalten, zu beängstigenden Dilemmata. Einerseits galt die Überzeugung, dass, um den Respekt und die Ehre der Toten zu wahren und die Gründe für die »Schamröte«8 zu dokumentieren, alle Formen fiktionalen Erzählens, der Dramatisierung und der figuralen Rede letztlich nur zu Verzeichnungen führen könnten, weil sie eine Präsenz schafften, wo es nur Absenz geben könne. Andererseits gab es die Überlegung, dass auch der reine Gestus des Zeigens, des Zeugnisses und der Dokumentation dieses Problem der Darstellbarkeit nicht lösen könne. Denn eine solche Sachlichkeit und Zurückhaltung ist selbst ein Modus der Repräsentation, eine Rhetorik, die ihrerseits – eine beängstigende Konsequenz – das Geschehene einem rasch verschwindenden künftigen Zeitpunkt überantwortet und uns damit außerstande setzt, ihre Aktualität zu beschwören, wenn neuerliche Barbareien sich unserem Verständnis widersetzen und unseren Willen, Widerstand entgegenzusetzen, untergraben.

Konventionelle Erzählstrategien, soviel war klar, konnten einem extremen Geschehen wie dem Holocaust nicht angemessen sein. Autoren wie Peter Weiss (Die Ermittlung) oder Rolf Hochhuth (Der Stellvertreter) mussten sich fragen lassen, inwieweit ihre ästhetischen Verfahrensweisen die Realitäten und Erfahrungen, deren extreme Natur sie undarstellbar mache, noch in dem Moment verraten, in dem sie ihnen Ausdruck verleihen. Wenn andererseits dieser Leben und Tode lediglich in Stille gedacht und sie in kompromissloser Buchstäblichkeit dokumentiert werden könnten, allein durch das Zeugnis der Überlebenden, dann gab es für Deutsche wohl kaum einen Platz in dieser Erinnerungsarbeit.

Für Filmemacher gestaltete sich dies Dilemma noch schwerwiegender. Wie stellt man den Faschismus dar, ohne seinen Schrecken ein weiteres Mal ins Bild zu setzen oder seiner Faszination ein weiteres Mal zu erliegen? Leicht zu begreifen, warum das Kino in dieser Debatte ins Schussfeld geriet. Bildern wird traditionell vorgehalten, umstandslos Effekte von »Melodram, Sentimentalität und Lüsternheit« zu produzieren, egal ob dokumentarisch oder als Fiktion9. In diesem Fall haben die Grenzen der Darstellbarkeit in der Tat als ein wirkungsvolles Tabu gewirkt, weil sie dafür sorgten, dass sich während der fünfziger und sechziger Jahre kaum ein westdeutscher Film mit den Themen Juden und KZs beschäftigte10. Während Alain Resnais NUIT ET BROUILLARD (Nacht und Nebel; 1955) oder Andrzej Munks PASAZERKA (Die Passagierin; 1961/63) drehten, spielten hierzulande Filme wie Wolfgang Staudtes HERRENPARTIE (1963) oder Helmut Käutners SCHWARZER KIES (1960) eher verharmlosend auf NS-Kriegsverbrechen in den besetzten Ländern oder auf das Schicksal deutscher Juden an11.

[Bild 5: Showbusiness und Macht: LILI MARLEEN]

So müssen auch Fassbinders Ausflüge in dieses Gebiet und seine didaktisch-einfühlsame Perspektive, die in seinen Filmen die siebziger Jahre mit den Vierzigern konfrontierte, im Spannungsfeld solcher Problematik gesehen werden. Das vorangegangene Kapitel handelte von den filmischen Formen, die Fassbinder während seiner gesamten Karriere entwickelt hat, um eine besondere Form des historischen Gedächtnisses zu schaffen. Dabei spielte sein Gebrauch des Melodrams, mit dem charakteristischen gewaltsamen Aufeinanderprallenlassen von Widersprüchen, den aus Versatzstücken montierten sentimentalen Popsongs und dem dramaturgischen Einsatz unwahrscheinlicher Zufälle, die wichtigste Rolle. Weil also genau die angeprangerten »Effekte von Melodram, Sentimentalität und Lüsternheit« zum Kern von Fassbinders filmischem und moralischem Universum gehören, stellt sich unweigerlich die Frage, inwieweit das Melodram genau die Grenze bezeichnet, vor der jede Diskussion von Darstellbarkeit steht, einschließlich derjenigen, die sich dem Nationalsozialismus, Auschwitz und der deutsch-jüdischen Beziehung zuwendet. Indem Fassbinder bewusst dieses seitens des »guten Geschmacks« und der seriösen Kunst übel beleumdete Genre wählt, solidarisiert er sich mit einem Modus menschlicher Affektivität und damit einem subjektiven Faktor, der über das Kino hinausweist. Derlei Gefühle mit all ihren inneren Brüchen und Widersprüchen, so argumentieren die Theoretiker der populären Kultur, sollten eigentlich bei jedem Thema, das Fragen von Leben und Tod tangiert, selbstverständlich sein, zumindest bei denen, die sich leidenschaftlich für das Bewahren oder »Aufarbeiten« von Erinnerungen einsetzen. Die Filmerfahrung ist das »natürliche« Terrain mimetischer Emotionen, gefangen in einem doppeldeutigen Spiel von Affekt und Identifikation, und dazu bedarf es eines »melodramatischen Ansatzes« mindestens genauso dringend wie einer minimalistischen oder modernistischen Ästhetik12. In dieser Hinsicht befindet sich das Kino notwendig auf der Seite exzessiver, perverser, emotional überzogener oder auch klischeehafter Bilder und Situationen, und nicht auf der des kühlen Verfremdungseffekts oder der ästhetischen Distanz. Die Möglichkeiten und auch die Gefahren, die einigen Arbeiten Fassbinders – darunter ein Theaterstück – diesbezüglich innewohnen, werden in den folgenden Kapiteln erörtert. Unterschieden wird dabei zwischen der Darstellung des »Dritten Reiches«, des Holocaust und der Behandlung der deutsch-jüdischen Beziehungen nach dem Holocaust. Gerade weil diese Realitäten wechselseitig und unlösbar miteinander in der Geschichte verbunden sind, muss man zu verstehen versuchen, warum sie einerseits so oft gegeneinander ausgespielt wurden und andererseits in der historischen, der erzählerischen oder filmischen Darstellung getrennt voneinander betrachtet wurden.

Ein Merkmal apologetischer Geschichtsbetrachtung ist es, die »innere Geschichte« des »Dritten Reiches« von der Außenpolitik (der Krieg; die Vernichtung der Juden) zu trennen, indem man konstatiert, dass Hitler – in der Nachfolge von Bismarck und im Gegensatz zur Weimarer Republik – die Einigung und die Modernisierung Deutschlands befördert habe, bevor der Krieg alles zerstörte. Oder es wird argumentiert, dass von den 700.000 deutschen Juden »nur« 250.000, zumeist zwischen 1942 und 1945, in den KZs umkamen, dass also das Gros der Opfer durch mittelbare oder unmittelbare Einwirkung des Krieges ums Leben kam – und dies deshalb vor dem Hintergrund des durch den Krieg bewirkten Ausnahmezustandes bewertet werden müsse13. Auch riskiere eine Sichtweise, die die »Endlösung« als impliziten Telos des »Dritten Reiches« versteht und jeden Aspekt der NS-Herrschaft hierauf bezieht, die anderen Ziele des Regimes aus dem Blick zu verlieren: die »Überwindung« der Demokratie, die Zerschlagung des Kommunismus und der organisierten Arbeiterbewegung, die Herrschaft des Deutschen Reiches über Europa und die Erlangung des Weltmacht-Status. Dass nur eines dieser Ziele, nämlich die Vernichtung des europäischen Judentums, »erreicht« wurde, heißt nicht, dass die anderen Ziele historisch unbedeutend waren oder nicht gleichfalls die Realität des NS-Staates prägten. Auch gibt es noch andere darzustellende »Realitäten«, die, neben den expliziten politischen Zielen des Regimes, zur Politik gehörten und ebenfalls untersucht werden müssen, will man den Nazismus in seiner alltäglichen Realität verstehen. Hans Dieter Schäfer hat eine Reihe dieser widersprüchlichen »Lebenswelten«, die im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre nebeneinander existierten, untersucht. Dazu gehört, um nur ein bewusst triviales Beispiel aus der Populärkultur zu nennen, dass trotz des offiziellen Verbotes ein schwunghafter Handel mit Jazz- und Swing-Schallplatten getrieben wurde oder auch, dass die ersten Formen des Massentourismus unter anderem in Länder führte, die Deutschland während des Krieges besetzt hielt, wie beispielsweise Norwegen. Was Schäfer als »alltägliche Schizophrenie« bezeichnet hat, wird etwas weniger unverständlich, wenn man sie vor dem Hintergrund der von den Nazis in den späten dreißiger Jahren geförderten »Modernisierung durch Konsumgüter« sieht, die viele Deutschen mit der Beschneidung ihrer Bürgerrechte versöhnte14.

Eine dieser »Lebenswelten«, die Fassbinder genau in den Blick nahm und kontrovers-effektvoll einsetzte – wie im Kapitel zu EINE REISE INS LICHT – DESPAIR gezeigt –, war die medial vermittelte, spektakuläre Selbstdarstellung des NS-Regimes. Im Kapitel zu LILI MARLEEN geht es um einen besonders eklatanten Fall, wie Showbusiness und Macht sich miteinander verbanden, um eine solche mediale Realität zu produzieren. Dabei soll auch genauer auf die schon oben gestellte Frage eingegangen werden, nicht nur, was dargestellt werden kann, sondern auch, was von wem zu wem gesagt werden kann, in diesem Fall: was den Deutschen von einem Deutschen über eine bestimmte geschichtliche Epoche und über den Status »ihrer« Geschichte(n) gezeigt werden kann, wenn sie ins Kino gehen. Es wird sich zeigen, dass Fassbinders Filme in dieser Hinsicht einigen Anlass zu Ärgernissen gegeben haben, denn Saul Friedländer zieht aus ihnen, in einer der brillantesten kritischen Studien zum »neuen faschistischen Diskurs«, manche seiner überzeugendsten Beispiele15.

Die Hinwendung des Neuen Deutschen Films zur Geschichte

»LILI MARLEEN [...] ist mein erster Versuch, einen Film über das Dritte Reich zu machen. Und ich werde sicherlich noch mehrere Filme über das Dritte Reich machen. Aber das Dritte Reich ist ein anderes Thema, wie auch die Weimarer Republik ein anderes Thema ist. Ich werde auch diesen Themenkreis fortsetzen. Vielleicht ergibt sich am Schluß ein Gesamtbild des deutschen Bürgertums seit 1848. [...] Ich finde, das hat alles seine Logik. Ich finde auch, das Dritte Reich war nicht so ein Unglücksfall, so ein Betriebsunfall der Geschichte, wie es so oft bezeichnet wird. Das Dritte Reich hat schon seine Logik. Und auch, was aus dem Dritten Reich in die BRD und die DDR herübergegangen ist.« 16

Um einige Gründe zu verstehen, weshalb Fassbinder sich einem Projekt wie LILI MARLEEN zuwandte und welche Art von »Logik« seiner »Geschichte des deutschen Bürgertums« dabei zum Vorschein kam, muss man sich die besonderen Umstände in Erinnerung rufen, die die bundesdeutschen Filmemacher dazu brachten, sich Mitte der siebziger Jahre der Geschichte zuzuwenden, zumal sich im vorausgegangenen Jahrzehnt weder das kommerzielle noch das Avantgardekino für die Vergangenheit, insbesondere für die NS-Zeit, zu interessieren schien. In den Filmen Werner Herzogs spielte Deutschland selten geografisch eine Rolle: Eher wird es zum Vorwand auszuwandern. Auch Fassbinder zog es in seinen frühen Filmen vor, die Eindimensionalität und Unreflektiertheit seiner Figuren zu zeigen statt der Möglichkeit, dass sich jenseits und innerhalb der Gegenwart eine Vergangenheit verberge. Als Wim Wenders gefragt wurde, warum ihm amerikanische Musik, Comics und Filme buchstäblich als Lebensretter erschienen seien, antwortete er: »Zwanzig Jahre einer politischen Amnesie haben ein Loch hinterlassen; wir haben es mit Kaugummi und Polaroids gestopft«17. Fassbinder, der dies Vakuum mit Kinobesuchen füllte, hätte ähnlich antworten können.

[Bild 6: Einer der Höhepunkte der »Hitlerwelle«: HITLER – EINE KARRIERE im Berliner Zoo Palast]

Knapp ein Jahrzehnt nach den Anfängen des Neuen Deutschen Films und im Nachklang internationaler Erfolge wie Syberbergs HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND (1977), Fassbinders DIE EHE DER MARIA BRAUN (1978/79), Schlöndorffs DIE BLECHTROMMEL (1980) und Petersens DAS BOOT (1981) schien der deutsche Film, sofern er international wahrgenommen wurde, seine Identität auf eine obsessive Beschäftigung mit der jüngsten Geschichte zu gründen. Wie aber gelang es den Filmemachern, die von Wenders zitierte Gedächtnislosigkeit zu durchbrechen und einen Weg zurück zur deutschen Geschichte zu finden? Eine mögliche Antwort: Als die Filmemacher sich der Privatsphäre zuwandten und genauer hinsahen, entdeckten sie am Familientisch unweigerlich den Faschismus (zum Beispiel DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER [1979; R: Helma Sanders-Brahms]). Die antiautoritäre Bewegung, der Feminismus, einige zeitgenössische Ereignisse (zum Beispiel diejenigen, von denen DEUTSCHLAND IM HERBST handelt), sorgten – neben dem bereits angesprochenen neo-konservativen Schub unter Historikern – dafür, dass »Geschichte« am Ende der siebziger Jahre wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde18, lange bevor am Ende der achtziger Jahre der Fall der Berliner Mauer, der Untergang der DDR und die Wiedervereinigung die Grundlage aller dieser Debatten noch einmal radikal veränderten.

Aber diese Faktoren allein hätten die Hinwendung westdeutscher Filmemacher zu historischen Themen und zum Faschismus im Besonderen gewiss nicht so dramatisch gestaltet. Die oben angesprochenen Tabus waren zu stark, und sie wurden durch zwei Komplexe, die gleichzeitig Spuren des historischen Traumas und Ausdruck konzeptioneller Sackgassen waren, noch verstärkt. Spezifisch für die Deutschen und ihre Geschichte scheint die Mischung aus Hoffnung und Angstgefühlen, wenn es um Kontinuität oder Diskontinuität, um Neubeginn oder ewige Wiederholung des Gleichen, um die »Wiederkehr des Verdrängten« oder die Sehnsucht nach dem radikalen Bruch geht. Politiker konnten sich dies lange Zeit mit der Beschwörung einer »Stunde Null«, die als euphemistischer Gründungsmythos der Bundesrepublik fungierte19, zunutze machen.

Der andere Punkt berührt die bereits angesprochene Debatte über die Grenzen der Darstellung, nun allerdings zentriert auf die Frage, wie glaubwürdig Bildmedien und insbesondere das Erzählkino in der Lage sind, die Triebfedern des historischen Prozesses darzustellen. Neigt das Kino nicht dazu, die Historie als solche zu suspendieren, weil es keine Wahrheit und keine Realität jenseits der Erzählung zulässt und stattdessen eine subjektive Erfahrung vorzieht, um der Geschichte Kohärenz und Verstehbarkeit zu verleihen? Welchen Stellenwert haben individuelle Biografien im Rahmen der Darstellung historischer Umwälzungen? Und schließlich: Welche Beweiskraft hat, abgesehen von seiner fatalen Evidenz, das bewegte Bild überhaupt beim Verständnis historischer Vorgänge?21

Es gereicht den bundesrepublikanischen Filmemachern der siebziger Jahre zur Ehre, dass sie sich so ernsthaft mit der Frage, wie man die deutsche Geschichte im Kino erzählen kann, beschäftigt haben. Ich erinnere nur an Wim Wenders’ Polemik gegen Joachim C. Fests und Christian Herrendoerfers HITLER – EINE KARRIERE (1977)22 und Edgar Reitz’ Interventionen in die HOLOCAUST-Debatte23. Im Wissen, dass es keine einfache Lösung gäbe, entwickelte sich die Debatte um einen Begriff, der nicht nur in der Diskussion über Fragen der Darstellung einen besonderen Klang hatte, sondern auch für das Verständnis des bürgerlichen Subjekts und dessen Identitätskonzept eine zentrale Rolle spielte: »Authentizität«. Man sprach von authentischen »Filmbildern« (Wenders) und authentischen »Filmstoffen« (Kluge), und Reitz forderte, dass »Filme, Literatur, Bilder entstehen müssen, die uns zu Sinnen bringen und unsere Reflexe wiederherstellen«24.

Die »Hitlerwelle« oder: Showtime for Hitler

Derart intensiv wurde das »Verschwinden der Sinne«25 durch die Mediatisierung der »Geschichte« im Fernsehen und auf dem Buchmarkt beklagt, dass man beinahe von einem »Authentizitätskomplex« sprechen muss, der den Neuen Deutschen Film angetrieben hat. Denn die angesprochene Fetischisierung des Authentischen war selbst eine Reaktion auf eine andere Form der »Wiederkehr des Verdrängten«, eine mal klammheimliche, mal sich offen bekennende Nostalgie für die »guten, alten Zeiten«, eine sehnsüchtige Erinnerung an das »Dritte Reich«, wie »die Deutschen« es erlebt hatten – und endlich einmal nicht so, wie »die anderen« es immer darstellten. Mit dem, was die »Hitler-Welle« genannt wurde, versuchten nicht nur die neue Rechte und alte Nazis einzufordern, worauf man einen Anspruch zu haben glaubte: das Recht auf Kindheitserinnerungen, die Jugendjahre, die Sentimentalisierung der verlorenen Illusionen. Auf der anderen Seite versuchte die liberale Intelligenz die Elterngeneration mit unwiderlegbaren Beweisen und Dokumenten zu konfrontieren, während ein modischer Erinnerungsboom ihren aufklärerischen Anspruch hintertrieb, indem diese Zeit plötzlich durch Romane und Sachbücher, Biografien und Memoiren, Fernsehfeatures und Dokumentarfilme, Comics und Groschenhefte ins (kollektive) Bewusstsein zurückgeholt wurde.

So hatte Wenders’ bekannter Ausspruch über das Goebbels’sche Unterhaltungskino, wonach »niemals zuvor und in keinem anderen Land [...] so gewissenlos mit Bildern und der Sprache umgegangen worden [sei] wie hier, [diese] nie zuvor und nirgendwo [...] so sehr zum Transport von Lügen erniedrigt worden« seien26, durchaus auch einen aktuelleren Zeitbezug. Nimmt man hinzu, dass der Nationalsozialismus mehr als andere Regimes eine ziemlich komplette Geschichte seiner selbst und seines Geschichtsverständnisses in Bild und Ton, in audiovisuellen Aufzeichnungen und aufgeführten Inszenierungen hinterlassen hat, die der Hitlerwelle als Material dienten, führt dies zu einem besonders schweren ästhetischen und moralischen Vermächtnis für die Filmgeschichte. Mehr noch, der Nationalsozialismus war die erste politische Ideologie, die sich die Ausstattung, Techniken und die mise-en-scène der Selbstdarstellung direkt beim Film und beim Showbusiness auslieh, womit das Dokumentarische sich schon beim Entstehen in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Stoffe und Tuche, Flutlicht und Toneinspielungen, Bauten und Tünche wurden zu den bevorzugten Requisiten und Zutaten: Kino, Theater, Oper, Paraden und die sogenannte Stimmungsarchitektur fanden von Bühne und Leinwand ins öffentliche Leben. Somit erhält die filmische Darstellung des Nazismus nach dem Nazismus eine selbstreferenzielle Dimension (im Sinne einer mise-en-abyme), der sie sich schwer entziehen kann. Filmemacher haben die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder halten sie an einem konsequenten Bilderverbot, einer Askese und Dekonstruktion des visuellen Reizes fest, um solcherart Schaulust und Verführung zu begegnen, die der spektakulären Selbstdarstellung des Regimes noch immer innewohnen27, oder sie setzen den Zuschauer ein weiteres Mal der Faszination aus, indem die emotionale Aufladung der Bilder und der Inszenierungen selbst zum Thema gemacht wird. Die Rhetorik der Nüchternheit und des Understatements, begleitet von einem oft monotonen, unheilvollen Off-Kommentar, wurde selbst zu einem Klischee im Umgang mit der Thematik, während die Präsentation der Faszination »von innen« genau dem »neuen Diskurs« entsprach, den Saul Friedländer in italienischen, französischen und westdeutschen Filmen der siebziger Jahre ausgemacht hatte. In jedem Fall ist die Selbstdarstellung des Regimes als Show, die Erotisierung von Macht und Charisma, nicht nur eine historische Realität, mit der sich Filme auseinanderzusetzen haben, sondern auch ein Signifikant, der den Faschismus, selbst da, wo er nicht explizit durch seine Insignien ins Bild kommt, benennt. So zum Beispiel ist die visuelle Faszination ebenso präsent in den Filmen über den Nazismus, die nach dem Krieg in den späten vierziger und fünfziger Jahren gedreht wurden, wie in den Anti-Nazi-Filmen Hollywoods während des Krieges. Beide Genres leben gleichermaßen von der Atmosphäre der Dämonie um Hitler und seine Helfershelfer, die auch im Falle der »Ästhetik des Widerstands« gegen visuelle Verführung, wie sie Jean-Marie Straub in NICHT VERSÖHNT ODER ES HILFT NUR GEWALT, WO GEWALT HERRSCHT (1965) praktizierte, noch als Beklemmung nachhallt.

[Bild 7&8: LA CADUTA DEGLI DEI, IL CONFORMISTA]

Ein Umschlagen des Interesses am Faschismus als Filmthema kam um 1970, als sich Luchino Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI (Die Verdammten; 1969) und Bernardo Bertoluccis IL CONFORMISTA (Der große Irrtum; 1969) entschlossen zeigten, den Kampf sozusagen auf dem Terrain des Feindes – Faszination, Sex, Tod, Gewalt und Melodram – zu führen, nicht zuletzt, weil der Feind als »innerer«, als die Maske, die sich die Seele des Kinos gab, erkannt worden war. Weniger seine historische Bedeutung war es, die in den siebziger Jahren den Faschismus zum Kinothema par excellence machte, sondern vielmehr die Krise einer bestimmten Vorstellung des europäischen Kinos, das einmal angetreten war, den doppelbödigen Illusionismus, dem sich der Faschismus als Spektakel der Macht verschrieben hatte, zu besiegen: Zu sprechen ist von der Krise des Realismus und insbesondere des Neorealismus. Die Stoffwahl der italienischen Regisseure war weder naiv noch spekulativ, sondern vielmehr Resultat der Einsicht, dass das Erbe der Nazi-Ästhetik (selbst wenn die damit verbundene Politik ihre Anziehungskraft verloren hatte) in der gegenwärtigen Konsumkultur, ihrer Liebe zur leeren Form, ihrer Verschwendungssucht und in den spektakulären Zerstörungen weiterlebte. Wer kennt – im Zeitalter der Blockbuster – nicht die Verführungskraft, die von Scheinwelten, vom Staat und von der Macht als Kunstwerk, vom Eros und Thanatos der Entpersönlichung ausgehen? Visconti und Bertolucci sprachen diese ambivalenten Haltungen ziemlich direkt an und verabschiedeten sich in ihren Filmen vom Neorealismus, der natürlich gerade in exemplarischen Filmen wie ROMA, CITTÀ APERTA (Rom, offene Stadt; 1945; R: Roberto Rossellini;) oder OSSESSIONE (Besessenheit; 1942; R: Luchino Visconti) selbst nicht ohne die Konventionen des Melodrams auskam29. Mehr noch: Eine subjektiv gebrochene, melodramatische oder opernhafte Version der faschistischen Vergangenheit wurde zum dominanten Modell der Darstellung von Zeitgeschichte30. Auf Visconti und Bertolucci folgten später in rascher Folge Louis Malles LACOMBE LUCIEN (1973), Liliana Cavanis IL PORTIERE DI NOTTE (Der Nachtportier; 1974), Lina Wertmüllers PASQUALINO SETTEBELLEZZE (Sieben Schönheiten; 1975), Joseph Loseys M. KLEIN (Mr. Klein; 1975/76), Ingmar Bergmans DAS SCHLANGENEI (1976/77) und François Truffauts LE DERNIER MÉTRO (Die letzte Metro; 1980).

[Bild 9-10: PASQUALINO SETTEBELLEZZE, IL PORTIERE DI NOTTE]

Wenngleich die europäischen Filme, die den Faschismus zu ihrem bevorzugten Bezugsrahmen machten, kein festes Genre bildeten, gab es hinreichend Berührungspunkte. So standardisierten sich beispielsweise der dekorative Einsatz von Nazi-Emblemen, die Farbpalette und Ikonografie ebenso wie das Repertoire architektonischer Requisiten, Kostüme, Frisuren und Accessoires, die als schnell abrufbare Zeichen des Faschismus oder der Nazizeit funktionalisierbar wurden31. Diese Tendenz fiel Friedländer auf, als er das Nachleben des Faschismus in der populären Kultur generell untersuchte. Er monierte den zwiespältigen Stilisierungswillen der Filme, der sich auf Kosten eindeutiger moralischer und historischer Positionen etablierte. Ohne eine kritische Distanz im Umgang mit den Bildern, so seine Argumentation, handele es sich um eine Form des Exorzismus, der schließlich die Rolle des advocatus diaboli übernahm32. Man konnte sich den Filmen aber auch aus einer jeweils nationalen Perspektive nähern, so beispielsweise schien in Frankreich die sich radikal wandelnde Einschätzung der Besatzungszeit, der Kollaboration und der Résistance in den Filmen ihren Niederschlag zu finden. Michel Foucault bezog ihre Popularität auf den Machtverlust des Gaullismus nach 1968/69, der die strategische Nachkriegsallianz, die de Gaulle zwischen der nationalistischen Rechten und der kollaborierenden Rechten (Vichy) geschmiedet hatte, auflöste. Was Foucault allerdings bei der eher sympathischen Zeichnung eines Kollaborateurs wie im Falle von LACOMBE, LUCIEN und bei der Offenlegung der weitverbreiteten und hochrangigen Kollaboration im besetzten Frankreich (dokumentiert in Marcel Ophüls’ LE CHAGRIN ET LA PITIÉ [Das Haus nebenan; 1970]) fürchtete, war nicht eine Verklärung des Nazismus. Er warnte vielmehr davor, dass diese Filme einer allgemeinen Diskreditierung der Résistance Vorschub leisteten und damit den Widerstand der ländlichen Bevölkerung und die Kämpfe der Arbeiter aus der französischen Nachkriegsgeschichte und dem, was er das »Volksgedächtnis« nannte, tilgen könnten.33

Jean Baudrillard analysierte, wie üblich mit großer Geste, das Phänomen im Kontext eines noch umfassenderen Revisionismus und machte in der »Retro-Mode« des Kinos ein deutlich umrissenes »Retro-Szenario« aus: Westeuropa, im Banne der politischen Erstarrung des Kalten Krieges und mit seiner durch das Scheitern der revolutionären Träume nach 1968 demoralisierten Intelligenz, imaginierte im Kino nostalgisch eine Zeit, als die Geschichte eines Landes noch mit individuellen Opfern verbunden war, mit Gründen, die etwas zählten, mit Entscheidungen über Leben und Tod. Die Faszination einer solchen Rückkehr zur Geschichte durch Geschichten und Bilder lag in der stillen Hoffnung, hier könne noch einmal ein persönliches oder nationales Schicksal beschworen werden: ein Bedürfnis, das der Faschismus auf kollektiver Basis ja bekanntlich angesprochen, wenn nicht befriedigt hatte. Auch für Baudrillard bezeichnete das Retro-Kino weniger eine Bemühung, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, als vielmehr deren Fetischisierung, weniger als »faszinierender Faschismus«, sondern als ein viel aktuelleres Trauma, nämlich als das »Ende der Geschichte« überhaupt34.

Defizite im Faschismusdiskurs

Was die Auseinandersetzungen um Retro-Mode, Nostalgie und opernhafte Inszenierung des Faschismus im Kino offenbarten, war ein bestimmtes Defizit in den wissenschaftlichen und kritischen Debatten zum Faschismus, offenkundig eine historische Erfahrung, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben schien. Was im wissenschaftlichen Diskurs fehlte, war die persönliche Dimension, die Erinnerung, der subjektive Faktor. Insofern es sich dabei um Erfahrungen handelte, die in Europa Millionen Menschen unmittelbar gemacht hatten, war es nicht unerheblich, ob sie von Historikern, Ethnologen oder Psychoanalytikern untersucht wurden – oder von Filmregisseuren erneut »zum Leben« erweckt wurden. Die plötzlichen Verhandlungen zwischen Kino und den Untoten der Geschichte, so könnte man resümieren, hatten zur Folge, dass sich als zentrale Tatsache des Revivals in den siebziger Jahren die Einsicht einstellte, dass der Faschismus dem Interesse des Kinos an der Schaulust und der Inszenierung von Leben und Tod einen Spiegel vorhält. Und zwar derart nachdrücklich, dass es ohne diesen Erkenntnisschock weder Bertoluccis IL CONFORMISTA (Der große Irrtum; 1969) noch Pasolinis SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA (Die 120 Tage von Sodom; 1975) gegeben hätte. Auch in Fassbinders LILI MARLEEN steht dieser Schock des Anerkennens einer auf mehreren Ebenen konstatierten Mitverantwortlichkeit im Zentrum, auch wenn die Darstellung eine andere ist.

[Bild 11&12: LE DERNIER MÉTRO, SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA]

Solch ein subjektbezogener »Revisionismus« muss vor dem Hintergrund der schon erwähnten Historisierung des Faschismus gesehen werden, die ursprünglich ein zentrales Anliegen marxistischer Analyse war. Man erinnere sich nur an Max Horkheimers Diktum, dass, wer über den Faschismus sprechen wolle, vom Kapitalismus nicht schweigen dürfe35. Horkheimer richtete sich explizit gegen eine Subjektivierung und Personalisierung des Faschismus in der Gestalt Hitlers, um zu verhindern, dass hinter dem monströsen Einzelfall die politischen und ökonomischen Kräfte verschwinden, die den Faschismus zu einem Instrument der kapitalistischen Modernisierung und ihres zyklischen Krisenmanagements gemacht hatten. Auch entlastete die Personalisierung jene Teile der deutschen Gesellschaft, die dem Nazismus zur Macht verholfen und ihn dort gehalten hatten, namentlich die Banken, die Schwerindustrie, die Justiz, das Militär und die Verwaltung. Der von Marxisten oder DDR-Wissenschaftlern angesprochenen Historisierung diametral entgegengesetzt war die Historisierung des Faschismus in den Thesen Ernst Noltes36. Daneben gab es den Versuch, die psychisch-libidinöse Bindung an den Führer in den Mittelpunkt einer historisierenden Faschismusanalyse zu stellen, wie zum Beispiel in Alexander und Margarete Mitscherlichs Thesen zur »vaterlosen Gesellschaft« mit ihrer »Unfähigkeit zu trauern«37. Während Noltes Behauptung einer gemeinsamen Wurzel aller modernen totalitären Regimes während des »Historikerstreites« wieder zu scharfen Kontroversen führte, fand der psychoanalytische Ansatz der Mitscherlichs zwar wenig Gnade bei der Geschichtswissenschaft, erwies sich aber insbesondere unter westdeutschen Schriftstellern und Filmemachern als höchst einflussreich. So kam es zu der paradoxen Situation, dass eine »Theorie des Faschismus«, die in akademischen Kreisen beinahe als irrelevant galt, in der Kulturkritik ein starkes Ansehen und einen hohen Erklärungswert besaß, nicht zuletzt, weil sie den angesprochenen subjektiven Faktor und den Nachholbedarf an Kindheitserinnerungen bediente. Bei den Filmemachern thematisierte die Psychohistoire die Affinität zwischen dem Kino als Identifikationsangebot und dem Faschismus als narzisstischer Bindung an Bilder und Schauwerte.

Das europäische Autorenkino entwickelte diese Analogien in dreierlei Varianten: zunächst einmal als sinnliche Verführung, mit dem Showbusiness als einer Technologie der Sinne und einem Dispositiv der Macht (LE DERNIER MÉ-TRO, LILI MARLEEN); als Sexualität in ihren vitalistischen, polymorphen und perversen Dimensionen (IL CONFORMISTA, PASQUALINO SETTEBELLEZZE, IL PORTIERE DI NOTTE) und schließlich als Ich-Verlust, Melancholie und »Trauerarbeit« (DAS SCHLANGENEI, EINE REISE INS LICHT – DESPAIR, M. KLEIN)38. Wie oben ausgeführt, kann das Etikett »europäisch« jedoch irreführend sein, wenn man unterschlägt, auf welche Weise in den jeweiligen Ländern – Frankreich, Italien, der Bundesrepublik – dies Verhältnis von Macht, Kino, Subjektivität, Sexualität und Schuld konkret auf die nationale Geschichte bezogen wurde. Während in italienischen Filmen Klassendekadenz und sexuelle Devianz zu zentralen Themen wurden (LA CADUTA DEGLI DEI, SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA, NOVECENTO [1900; 1974–76; R: Bernardo Bertolucci]), wurden in bundesdeutschen Filmen die Familie und ihre patriarchalische Ordnung durch den Rückbezug auf die Nazizeit der Prüfung unterzogen (DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER, LILI MARLEEN, HEIMAT.

Historisierung, Relativierung

Der Neue Deutsche Film wandte sich der Geschichte jedoch erst ein knappes Jahrzehnt nach Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI zu, zumindest was deren fiktionale Aufbereitung angeht, denn in den sechziger und siebziger Jahren dominierte ein dokumentarischer Zugang39. Erst als mehrere politische Ereignisse voll scheinbar unheimlicher historischer Parallelen Alexander Kluge 1977 dazu bewegten, prominente Kollegen zur Mitwirkung an DEUTSCHLAND IM HERBST einzuladen, ist eine andere Form des selbstreflexiven Umgangs des Kinofilms mit dem faschistischen Vermächtnis auszumachen – in Form einer für den Neuen Deutschen Film typischen und typisch problematischen Historisierung. Anlass dazu war die innenpolitische Krise im Gefolge einer Reihe von RAF-Anschlägen im Sommer und Herbst 1977, und zwei hochgradig »öffentliche« Beisetzungen boten einen Rahmen für eine polyphone Meditation zu einigen der asymmetrischen Wiederholungen in der jüngsten deutschen Geschichte40.

DEUTSCHLAND IM HERBST versuchte diskursive und argumentative Passagen mit Spielhandlungen zu verbinden, was vielleicht erklärt, weshalb der Film in der breiten Öffentlichkeit nur geringe Resonanz erfuhr. Ganz anders, nämlich unerwartet heftig, fiel die Reaktion auf eine fiktionale Behandlung des Themas »Faschismus« knapp ein Jahr später aus, als die vierteilige US-Produktion HOLOCAUST (1978; R: Marvin J. Chomsky) ausgestrahlt wurde41. Hier waren die Parallelen und Asymmetrien explizit dramaturgisch eingesetzt, hier fand die Historisierung ihre populär-verständliche Form im Familienmelodram. Insofern der Anstoß für die westdeutschen Filmemacher, sich mit dem Thema Holocaust zu beschäftigen, von außen kam – wie die Befreiung vom Faschismus selbst – ergab sich daraus eine weitere Schieflage. Man stand unter dem Schock der starken öffentlichen Reaktion und vor allem der überwältigenden emotionalen Betroffenheit, die die Geschichte der Familien Weiss und Dorf den Fernsehzuschauern entlockt hatte:

»Eine amerikanische Fernsehserie von trivialer Machart [...] hat geschafft, was mit Hunderten von Büchern, Theaterstücken, Filmen und TV-Sendungen, Tausenden von Dokumenten und allen KZ-Prozessen in mehr als drei Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte nicht gelungen ist: die Deutschen über die in ihrem Namen begangenen Verbrechen an den Juden so ins Bild zu setzen, daß Millionen erschüttert wurden.«42

Die ausgelöste Erschütterung war ihrerseits von komplexer Natur: Während die Metapher von den »geöffneten Schleusentoren« fast stereotyp aufgegriffen wurde und die öffentlichen Äußerungen von Schuld, Scham und Gewissensbissen teilweise hysterische Züge annahmen und auch nicht frei von peinlichem Exhibitionismus waren, gab es auch ein gehöriges Maß an Entrüstung und Kritik gegen die Ausstrahlung43. Unter denen, die dem Vierteiler eine Trivialisierung und eine ärgerliche Sentimentalität vorwarfen, weil hier das Undarstellbare dargestellt und das Unvorstellbare – die Konzentrationslager und die Gaskammern – vorgestellt werde, waren auch Filmemacher. Während manche sich erregten, dass ausgerechnet eine Hollywood-Soap-Opera zu dem deutschen Thema Millionen Zuschauer zu Tränen gerührt hatte, während die eigenen Auseinandersetzungen mit dieser Thematik weitgehend ignoriert worden seien, haben andere Regisseure diese Herausforderung angenommen. Nicht nur schien, wie es Günter Rohrbach, der Leiter der Fernsehspielabteilung des WDR und Einkäufer des Vierteilers, formulierte, dass »nach HOLOCAUST Fernsehen bei uns nicht mehr sein [darf], was es bisher war«44, sondern auch der Neue Deutsche Film war danach ein anderer. In rascher Folge kamen Syberbergs HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND (1977), Fassbinders EINE REISE INS LICHT – DESPAIR (1977/78) und DIE EHE DER MARIA BRAUN (1978/79), Sanders-Brahms’ DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER (1979), Kluges DIE PATRIOTIN (1979) in die Kinos, und zusammen mit Schlöndorffs DIE BLECHTROMMEL (1979), Fassbinders LILI MARLEEN (1980/81) und schließlich, 1984, Reitz’ elfteiliger Serie HEIMAT (begonnen 1980) schien tatsächlich auch bei den Filmemachern ein Damm gebrochen zu sein, wobei die Filme zwar nicht unbedingt die Schleusentore der Tränen – wie bei HOLOCAUST – öffneten, aber dafür eine vielleicht gründlichere Reflexion des Faschismus lieferten, als es Kritiker des neuen Diskurses wie Friedländer zugestehen möchten.

Für diese Regisseure bezeichnete HOLOCAUST und seine deutsche Rezeption ein doppeltes Problem. Zunächst einmal hatte der Mehrteiler »erfolgreich« die Darstellung des »Dritten Reiches« mit der Darstellung des Holocaust verknüpft – es wurde zu einer Geschichte. Dann waren die starken Emotionen angesprochen worden, weil Geschichte »personalisiert« worden war: Man konzentrierte sich auf zwei individuelle Fälle, zwei Familienschicksale, die aufeinander bezogen und kontrapunktisch dramatisiert wurden. Damit rekurrierte man auf bewährte Hollywood-Strategien, die mit dem spezifischen Thema an sich wenig zu tun hatten, sondern seit eh und je dazu bestimmt sind, die Sympathie und die Identifikation der Zuschauer zu lenken. Anders gesagt: HOLOCAUST leistete weder einen Beitrag zur Historisierung des Faschismus im linken Sinne, noch relativierte der Film diesen im rechten Sinne. Er hatte ebenfalls nicht den Holocaust sui generis behandelt, weil der Film als Familienmelodram jedem Zuschauer Identifikationsangebote machte. Man kann sagen, dass HOLOCAUST zwar eine kohärente Subjektposition anbot, allerdings um den Preis einer Ent-Historisierung des Faschismus und einer Quasi-Universalisierung des Holocausts.

[Bild 13: HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND]

Solch ein konventionelles Verfahren war einem deutschen Film selbstverständlich versperrt. Nur wenige Regisseure wagten in den achtziger Jahren eine Darstellung von Auschwitz oder dem Holocaust (obwohl eine Vorführung von Alain Resnais’ NUIT ET BROUILLARD [1955/56] eine wichtige Rolle in von Trottas DIE BLEIERNE ZEIT [1981] spielt), und statt einer Historisierung des Faschismus entlang der Links-Rechts-Trennung wählten viele Filme, besonders die Fernsehfilme, die Alltagsgeschichte als grundlegende Orientierung. Damit wird eine historische Mikroanalyse bezeichnet, die versucht, Geschichte von unten, aus der Perspektive »normaler Menschen« zu rekonstruieren. Der Nazismus wird so zu einer alltäglichen Realität, einer Normalität, die individuelle Haltungen und menschliches Verhalten auf die Probe stellt. Als mögliche Lösung der schon oben erwähnten Defizite im wissenschaftlichen Faschismusdiskurs wurden solche Untersuchungen zur Alltagsgeschichte der Nazizeit seit dem Ende der siebziger Jahre unter Historikern diskutiert. Martin Broszat hatte beispielsweise die Auffassung vertreten, dass die Deutschen, um über das »Dritte Reich« als »Geschichte der Deutschen« reden zu können und damit für das, was geschehen ist, Verantwortung zu übernehmen, aufhören müssten, auf das Geschehen von außen und als Fremdes zu blicken. Stattdessen sollten private oder Familien-Erinnerungen herangezogen werden. Anstatt Hitler weiterhin als Rattenfänger der Nation und sich selbst dabei als unter Hypnose Handelnde (»der Nazi-Spuk« war in der Nachkriegszeit ein beliebter Alibi-Begriff der Nicht-Anerkennung der Verantwortung) zu begreifen, sollten persönliche Geschichten und Erinnerungen gesichert und erzählt werden, um dem ein Ende zu machen, was Christian Meier einmal als »die gleichsam hypnotische Lähmung weiter Teile unseres Volkes gegenüber der NS-Vergangenheit«45 bezeichnet hatte.

Eine ganze Reihe erfolgreicher Fernsehfilme wie Eberhard Fechners TADELLÖSER & WOLFF (1975) oder Egon Monks DIE GESCHWISTER OPPERMANN (1983) und zahllose Dokumentationen folgten diesem Ansatz, dessen Apotheose (auch, was die Wahrnehmung im Ausland angeht) Edgar Reitz’ HEIMAT (1980–1984) war, worin das Schicksal der Familie Simon zwischen 1918 und 1982 nachgezeichnet wurde. Wenn HEIMAT ein Beleg dafür war, dass auch deutsche Regisseure bei der Geschichtsdarstellung auf die Form des Familienmelodrams zurückgriffen, dann war das gleichermaßen eine Stärke und eine Schwäche. Eine Stärke, weil dadurch in Deutschland und auch darüber hinaus ein großes Publikum erreicht und mit ungewöhnlich detaillierten und fesselnden Einblicken in das Leben vor 1945 versorgt wurde. Eine Schwäche, weil der Alltagsgeschichte apologetische Tendenzen (wenngleich nicht immer vorsätzlich) immanent sind. Viele Historiker äußerten Bedenken gegen den Trend und hielten ihn für eine revisionistische List, die »Normalisierung« voranzutreiben, besonders wenn die Todeslager ausgeblendet wurden (wie auch bei Reitz), was damit legitimiert wurde, dass nur einige wenige »normale« Deutsche die Deportationen und die Vernichtung aus erster Hand erlebt hätten. HEIMAT bestätigt auch die These Baudrillards, wenn man bedenkt, dass das Insistieren auf die Familie so etwas wie eine Fetisch-Funktion hat, weil so getan wird, als sei damit eine Authentizität in der Alltagsrealität bezeichnet, die im/durch den Film irgendwie wiedererlangt und repräsentiert werden könne46.

Der Vorwurf des bloß Apologetischen gegen HEIMAT – zum Beispiel heftig in der in Frauen und Film geführten Diskussion formuliert47 – benennt nur eine der Zwickmühlen, in der sich deutsche Regisseure befanden, neben dem allzu faszinierten Blick auf den Glamour des Kitsches. Um fair zu bleiben, kann man Reitz zugestehen, dass HEIMAT auch als Dekonstruktion einiger konservativer Werte, die der Film zu preisen scheint (namentlich die »Blut und Boden«-Verwurzelung zentraler Figuren und die Authentizität, die ihr enges Familienleben repräsentiert), gelesen werden kann. Als Motoren des historischen Wandels in der Welt, die er zeigt, erscheinen Technologie und komplexe Modernisierungsprozesse. Reitz präsentiert gerade kein ländliches, prä-industrielles Idyll, sondern zeigt, wie moderne Kommunikationstechnologien in die Alltagspraxis und damit in die Biografien der Figuren eingreifen: Die Frauen gehen ins Kino (um dort den Film HEIMAT [1938; R: Carl Froehlich] zu sehen), die Männer vertreiben sich die Zeit als Funkamateure, entwickeln optische Präzisionsgeräte, interessieren sich für Fotografie oder arbeiten als Wochenschaukameraleute an der Ostfront. Solch eine dekonstruktive Wendung bietet auch die andere, vielleicht noch kontroversere Antwort auf HOLOCAUST, nämlich Syberbergs Film HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND. Dessen zentrale These ist, dass der Gebrauch, den die Nazis vom Radio und vom Kino machten, den Staat dank eines audiovisuellen Mobilisierungsapparats in eine Medienerfahrung mit »Live«-Charakter verwandelte. Gemeinsam mit Fassbinders LILI MARLEEN ist dies das offensichtlichste Beispiel für einen Film, der die gängigen Vorstellungen von der Nazizeit als einem permanenten öffentlichen Spektakel, verbunden mit Millionen privater Soap-Operas, aufgriff und in Darstellungen von Exzess, Melodram, absurdem Zufall und inneren Widersprüchen kritisch verarbeitete. Aufgrund seiner Intervention auf drei Ebenen – der stilistischen von Pastiche und Zitat, der politischen von Showbusiness und Macht und der medientechnologischen von Öffentlichkeit via Radio und Kino – kann man Syberbergs Megafilm durchaus als »postmodern« charakterisieren48. Wenn Reitz’ Leistung darin besteht, die Aufhebung der Grenze zwischen Hochkultur und populärer Kultur durch eine tour de force von Alltagsgeschichte vorangetrieben zu haben, dann antwortete Fassbinders Haltung gegenüber der populären Kultur eher implizit auf Syberbergs kompromisslose Hochkultur-Haltung, derzufolge das moderne Showbusiness faschistischer als der Nazismus erscheint und die somit eine schrille Identifikation des Hollywoodfilms mit Hitler formuliert49.

Ein Tod in der Familie: Trauerarbeit und die ödipale Falle

Filme wie HOLOCAUST, HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND, HEIMAT und LILI MARLEEN waren nicht bloß Filme, sondern Medienereignisse, diskursive Realitäten, die sich wie Kaskaden durch die Medienwelten von Fernsehen, Phone-ins, Leitartikeln und bürgerlichen Feuilletons ergossen. Fragen nach den Subjektpositionen, die sie schufen, und den Sprecherpositionen, die sie voraussetzten, wurden zu vitalen Aspekten ihrer kulturellen Bedeutung. Während die Sprecherposition, die im Falle von HOLOCAUST angeboten wurde, zu einer einfachen Identifikation mit den Opfern des Holocaust führte, war der Ansatz von HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND und HEIMAT geradezu Anti-HOLOCAUST, insofern hier versucht wurde, einen verschlungenen und verdeckten Pfad zu Subjektpositionen des gespaltenen deutschen Ich50 oder einen Rückzug ins ländliche Ich51 zu weisen. Wenn die Annahme von HOLOCAUST, ein Film könne zeigen, wie Menschen in die Gaskammer gehen, um den Eindruck zu vermitteln, »wie es wohl gewesen sein mag«, zurecht als schockierende Anmaßung kritisiert worden ist, wie reagiert man dann auf die Analogisierung von Hitler und dem Kindermörder aus M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931; R: Fritz Lang) in HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND? Oder gewinnt man den unschuldigen Blick auf die Verfolgung und Deportation der Juden zurück, nur, weil dies in den sechzehn Stunden von HEIMAT kaum mehr als beiläufig erwähnt wird52? Für Reitz lag das Inakzeptable an HOLOCAUST in der allwissenden Hollywood-Erzählperspektive des Films, aber für einige Zuschauer war der kaum verhüllte Antiamerikanismus von HEIMAT ebenso inakzeptabel53. Indem er die Deutschen in diejenigen, die geblieben, und diejenigen, die als Emigranten oder Exilanten gegangen waren, auseinanderdividierte; indem er von einer linken Position aus zu sprechen vorgab, für die die USA den Feind darstellt, und versuchte, sich mit der alten, von Hitler und Stalin ausgelöschten Linken zu identifizieren, hatte es den Anschein, als spreche Reitz aus der grün-roten Position der Ökologiebewegung, wobei es nicht als ausgemacht gelten konnte, ob sein Film nicht doch eher zu deren grün-braunem Flügel passte.

Sowohl Syberberg als auch Reitz mögen anführen, dass ihre Filme in einem »doppelten Rahmen« situiert seien. Für Reitz beispielsweise ist HEIMAT eine Geschichte in einer Geschichte54, und damit wird die einzigartige Geschichte der Simons durch die vielen Geschichten vom Holocaust »gerahmt«, die allerdings, so Reitz, derart bekannt seien, dass sie hier nicht ein weiteres Mal explizit erzählt werden müssen. Auch die vielfältigen Parallelen und ironisch gebrochenen Anspielungen in HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND können als mise-en-abyme aller denkbaren Erzählpositionen angesehen werden und damit als Beleg für die Unmöglichkeit, »als Deutscher« über den Holocaust und das »Dritte Reich« unbefangen zu sprechen, während man dennoch Zeugnis ablegen muss, dass das Unaussprechliche geschehen ist. Jedenfalls ist es im Lichte der öffentlichen Interventionen Syberbergs (der sich in der Folge in wachsendem Maße politisiert hat55) wichtig, die mise-en-abyme und die »rahmenden« Ironien des Films vor den persönlichen, polemisierenden Statements des Machers zu schützen und damit die Schwierigkeiten anzuerkennen, die das Kino als Massenmedium hat, bestimmte Lesarten vorzuschreiben, ohne hierzu doppeldeutige und missverständliche Identifikationsangebote zu produzieren56. Immerhin hat es jene »Hunderte von Dokumentationen« über den Faschismus und den Holocaust gegeben, deren eindeutige Erzählpositionen weder die emotionale Reaktion auf HOLOCAUST auslösten noch die Diskussionen, die HEIMAT, HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND und LILI MARLEEN provozierten. In Frage steht das »politische Unbewusste« eines populären Textes, der qua definitionem die Kontrolle des Produzenten übersteigt und gerade deshalb zu einem kulturellen und medialen Ereignis werden kann.

In ihren öffentlichen Äußerungen beanspruchten Regisseure wie Syberberg und Reitz eine bestimmte Form von Authentizität, dies ein Begriff, der – wie bereits angeführt – im Hinblick auf das Geschichtsverständnis des Neuen Deutschen Films eine schwere rhetorische Bürde zu tragen hatte. Er stand für traditionelle Konzepte: Geschichte als Stellvertretung (woraus in Filmen eine negative, subjektive Kategorie, eine Sache von Schuld und Verantwortung wurde), Wandel (der als psychische »Wiederkehr des Verdrängten« erschien) und Wahrheit (die, persönlich verstanden, zu einem fast schon religiösen Bedürfnis, Zeugnis abzulegen, wurde). Die Transformation zentraler historischer Begriffe in subjektive, psychische oder spirituelle Werte könnte als Definition einer »Trauerarbeit« dienen, bei der Erinnerung und Gedächtnis versuchen, sich der gelebten Kontinuität zu versichern, die – jenseits des Bewusstseins von Trennung und Verlust und den Spiegeleffekten der Nostalgie – das Subjekt ein chagrin et la pitié der Selbsterfahrung und der Toleranz des Anderen lehren könnte. In diesem Sinne handelt es sich bei »Trauerarbeit« auch um ödipale Arbeit an der eigenen Kindheit, einem Sich-Abfinden und Versöhnen mit dem abwesenden Vater oder der versagten (oder sich versagenden) Autorität der Vaterfigur, die die Mitscherlichs als das Problem der narzisstischen Verinnerlichung des verlorenen Liebesobjekts, das die Trauerarbeit verhindert, charakterisiert haben57.

[Bild 14: DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER]

Im Gegensatz dazu scheinen für Fassbinders Filme weder »Authentizität« noch »Trauerarbeit« praktikable Begriffe. Wie in den vorangegangenen Kapiteln angesprochen, sind seine Strukturen des »Ich« und der Identität nicht introspektiv, sondern Teil einer besonderen Geometrie der Darstellung, einem Szenario unterschiedlich sich treffender Blicke, die zwischen den Figuren ausgetauscht oder von den Figuren empfangen werden, aber nicht auf sie beschränkt bleiben, sondern den Zuschauer »umarmen«, beziehungsweise über ihn hinausweisen. Sowohl visuell als auch in seinen Erzählungen distanziert sich Fassbinder von der ödipalen Zeit der Familiengeschichten und der Ur-Szene der »Hochzeit unserer Eltern« und verweigert so dem Zuschauer eine Illusion der Tiefe, den Zugang oder die Durchdringung der Nischen der Fiktion. Seine flachen, gleichmäßigen und zuweilen bewusst unterbelichteten Bilder bieten keinen psychologischen »Innenraum«, sondern eine unendlich komplexe visuelle Oberfläche, die sich durch Rahmen und darübergelegte Räume aus Bildern und Tönen verdoppelt und vervielfältigt.

[Bild 15: HEIMAT]

Fassbinders Verzicht auf illusionistische Tiefe und sein seltener, dann aber hochgradig stilisierter Gebrauch von Rückblenden wie beispielsweise in HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN oder BERLIN ALEXANDERPLATZ können auch als grundsätzliche Haltung gegenüber der Filmemachergeneration von »Oberhausen« und deren Politik gewertet werden. Das »Oberhausener Manifest« von 1962, die Gründungsakte des Jungen beziehungsweise Neuen Deutschen Films, wurde vom Slogan »Papas Kino ist tot« flankiert – eine oppositionelle und vatermörderische Geste, typisch für Avantgarde-Sehnsüchte. Doch diese Position wurde umgehend von einer Gruppe radikaler männlicher Avantgardisten (unter anderen: Jean-Marie Straub, Vlado Kristl, Hellmuth Costard) und von Filmemacherinnen wie Ula Stöckl, die in dem Slogan eine verdeckte ödipale Sentimentalität und eine patriarchale Anmaßung erkannte, heftig kritisiert. Wenngleich Fassbinder sich keiner dieser Gruppen zurechnete, machte seine Vorliebe für Schauspieler, die in »Papas Kino« mitgewirkt hatten, wie beispielsweise Karlheinz Böhm, Mario Adorf, Brigitte Mira, Barbara Valentin, Cornelia Froboess, Karin Baal, Erik Schumann, klar, dass er keine Notwendigkeit spürte, einen ähnlich deutlichen Schnitt zum Kino der vierziger und fünfziger Jahre zu vollziehen, um produktiv oder ein künstlerisches »Ich« zu werden.

Die politischen und polemischen Risse nach »Oberhausen« zeigen sich ebenfalls in den unterschiedlichen Strategien und Haltungen bei der Darstellung der Vergangenheit, die um die Themen »Trauerarbeit« und »ödipale Zeit« kreisen. Im Rückblick erkennt man, dass der Neue Deutsche Film sich zwischen einer erinnernden Hinwendung zur Geschichte – in den Filmen von Kluge, Reitz und Syberberg, die sich der »Trauerarbeit« verschrieben hatten – und denjenigen, die auf einem klaren Bruch mit der Vergangenheit bestanden – beispielsweise Vlado Kristl mit seinen selbstdestruktiven politischen Parabeln wie DER BRIEF (1966), Straub /Huillets Konzept des Widerstands in NICHT VERSÖHNT ODER ES HILFT NUR GEWALT, WO GEWALT HERRSCHT (1965) oder Harun Farockis essayistische, lehrstückartige Annäherung an die Geschichte in ZWISCHEN ZWEI KRIEGEN (1978) – polarisierte. Fassbinder wählte einen dritten Weg (wenngleich der gar nicht als möglicher Weg erscheinen mochte), bei dem Handlungsfähigkeit und Authentizität sich nicht als Konsequenzen des sich erfolgreich integrierenden oder im Widerstand sich beweisenden rebellierend-ödipalen Ichs erweisen, sondern sich in der Hohlform der Negation, der permanenten Bewegungen und unbestimmten Beziehungen zwischen dem Ich und dem Anderen, zwischen dem Subjekt und seinen Identifikationen entwickeln. Wenn Familiengeschichte der Königsweg des westdeutschen Films der siebziger Jahre zur deutschen Vergangenheit gewesen ist, dann erscheint Fassbinders Strategie in einem anderen Licht: exzessiv und parodistisch in den Fällen, in denen er sich wie bei DIE EHE DER MARIA BRAUN oder LOLA auf das ödipale Paradigma einlässt, oder aber dieses Paradigma insgesamt umstürzend wie im Falle von BERLIN ALEXANDERPLATZ.

Geht man davon aus, dass Fassbinder in seinen Filmen Darstellungsformen und Bezugsrahmen entwickelte, die weder mit dem erzählerischen Realismus des Hollywoodkinos noch mit dem kritischen Realismus des Autorenkinos übereinstimmten, sondern ihre Wahrheit darin suchten, wie ein Stil, ein Bild, sich in einer mediengesättigten Realität anderen Bildern gegenüber verhält, so kann man sicher sein, dass seine Rekonstruktion von einhundert Jahren Geschichte der deutschen Bourgeoisie – wenn er denn die Möglichkeit gehabt hätte, sie zu vollenden – sich grundsätzlich von Edgar Reitz’ Familienchronik unterschieden hätte. Nach den Filmen zu urteilen, die fertiggestellt wurden, liegen die Unterschiede hauptsächlich in den heterogenen literarischen Vorlagen, auf die Fassbinder zurückgriff (Gustav Freytag, Theodor Fontane, Oskar Maria Graf, Alfred Döblin) und dem Desinteresse des Regisseurs an einem epischen Erzählverfahren mit der für dynastische Entwicklungen und Generationsabfolgen üblichen Dauer. Fassbinder interessierte sich mehr für die kurzen Momente des Zusammenbruchs und der Krise, für die unwillkürlichen Spasmen und plötzlichen Explosionen (wie am Anfang von DIE EHE DER MARIA BRAUN), die unvorhergesehenen Ereignisse der Geschichte (wie in LILI MARLEEN) oder die traumatischen privaten Erfahrungen (wie der Totschlag an Ida in BERLIN ALEXANDERPLATZ). Sinn konstituiert sich nicht allmählich in einer langsamen Abfolge von kleinen Ereignissen und minutiösen Veränderungen. Fassbinder bevorzugt, selbst in BERLIN ALEXANDERPLATZ, die moralischen Momente des Pathos (wie in DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS) oder die scharfe Ironie der Parabel (wie in LOLA). Schließlich implizieren die grundlegend melodramatischen Begriffe von Kontinuität und Bruch – bei denen die Kategorien von Blick, Einstellung und Raum eine viel wichtigere Rolle spielen als Zeit, Dauer und auf eine Person zentrierte subjektive Erinnerung –, dass seine Konzeption von Zeitlichkeit in der Geschichte sich von der Chronik, der Familien-Saga und selbst der Soap-Opera unterscheidet. Das Kapitel zu IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN wird zeigen, dass, trotz des sich explizit als Trauerarbeit verstehenden Themas des Films, Zeitlichkeit bei Fassbinder mehr mit Zeitreisen und Science-Fiction zu tun hat als mit Nostalgie, Momenten der Authentizität und der Suche nach einem ursprünglichen Ich. Damit versuchte er auch, der verqueren und sich zu oft selbst wiederholenden Debatte um Faschismus und Holocaust eine andere Richtung zu geben.

Notes

1

Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In: W.B.: Illuminationen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1980 (2. Aufl.), S. 253.

2

Vergleiche zu zwei unterschiedlichen Wegen, die Vergangenheit zu bewältigen: Ian Buruma: The Wages of Guilt. Memories of Germany in Germany and Japan. London: Jonathan Cape 1994.

3

Eine der wichtigsten Wegmarken bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage war die Rede, die Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 hielt.

4

Vergleiche Norbert Seitz: Die Unfähigkeit zu feiern. Frankfurt/Main: Neue Kritik 1985, S. 10–14.

5

Kaes 1987, S. 92.

6

Vergleiche beispielsweise Jürgen Habermas: Eine Art Schadensabwicklung. Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1987 (Kleine Politische Schriften IV); Dan Diner (Hg.): Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Frankfurt/Main: S. Fischer 1987; Reinhard Kühnl (Hg.): Streit ums Geschichtsbild. Köln: Pahl-Rugenstein 1987.

7

Zu diesem Thema existiert umfangreiche Literatur. Ich verweise exemplarisch auf: Charles S. Meier: The Unmasterable Past. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press 1988, und Friedländer 1992.

8

Habermas (siehe Anm. 6), S. 163.

9

Berel Lang: The Representation of Limits. In: Friedländer 1992, S. 317.

10

Eine umfassende Liste von Titeln findet sich in: Robert C. Reimer / Carol J. Reimer: Nazi-Retro Film: How German Narrative Film Remembers the Past. New York: Twayne 1992. Vergleiche auch Ilan Avisar: Screening the Holocaust: Cinema’s Images of the Unimaginable. Bloomington: Indiana University Press 1988.

11

Siehe hierzu den Kongress von CineGraph / Deutsches Filmmuseum im Dezember 1999 am Fritz Bauer Institut, Frankfurt/Main: »Deutsche Nachkriegsgesellschaft und Holocaust im Spielfilm«. Vergleiche auch Peter Körte: Von Hitler zu Derrick. In: Frankfurter Rundschau, 6.12.1999.

12

Zum Melodramatischen als autonomer Form der Darstellung vergleiche Peter Brooks: The Melodramatic Imagination. New York: Columbia University Press 1985, und Christine Gledhill (Hg.): Home Is Where the Heart Is. London: BFI 1988.

13

Diesen Faden verfolgt beispielsweise in einigen Passagen HITLER – EINE KARRIERE (1977; R: Joachim C. Fest / Christian Herrendoerfer).

14

Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein: Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945. München, Wien: Hanser 1981.

15

Saul Friedländer: Kitsch und Tod. München: Hanser 1984, S. 12.

16

Fassbinder 1992, S. 78.

17

Zitiert nach: Jan Dawson: Wim Wenders. New York: Zoetrope 1976, S. 7.

18

Die »revisionistische« Tendenz kulminierte in: Andreas Hillgruber: Zweierlei Untergang: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums. Berlin: Siedler 1986. Dieses Buch löste unter anderem den sogenannten »Historikerstreit« aus.

19

Vergleiche David Bathrick: Inscribing History. In: New German Critique, Nr. 63, Herbst 1994, S. 36: »Die wirkungsvolle ideologische Grenze, die als ›Stunde Null‹ bekannt ist, wurde nach 1945 ausgiebig mythologisiert und diente den Nachgeborenen politisch, psychologisch und apologetisch als sofortige und synthetische Läuterung.«

20

Vergleiche Elsaesser 1994, S. 83ff.

21

Vergleiche Guiliana Bruno: Towards a Theorisation of Film History. In: IRIS, 2/2, 1984, S. 53.

22

Vergleiche Wim Wenders: That’s Entertainment: Hitler. In: Die Zeit, 5.8.1977 (Nachdruck in: Prinzler/Rentschler 1988, S. 279ff.).

23

Vergleiche zum Beispiel Syberbergs Beitrag zum »Aschaffenburger Streitgespräch«, zitiert in: Karl-Heinz Janßen: Wir – zwischen Jesus und Hitler. In: Die Zeit, 14.7.1978.

24

Edgar Reitz: Statt »Holocaust«: Erinnerungen aufarbeiten. In: Medium, 5/1979, S. 21.

25

Eine ganze Reihe deutschsprachiger Autoren haben sich diesem Thema gewidmet: Hans Magnus Enzensberger: Die Furie des Verschwindens. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1980; Hartmut von Hentig: Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit. München, Wien: Hanser 1984; Peter Hamm: Die verschwindende Welt. München, Wien: Hanser 1985.

26

Wenders (siehe Anm. 22) in: Prinzler/Renschler 1988, S. 281.

27

Bezugspunkt ist geradezu unausweichlich Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS (1935).

28

Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner künstlichen Reproduzierbarkeit. In: W.B.: Illuminationen (siehe Anm. 1), S. 136ff., und Susan Sontag: Faszinierender Faschismus. In: S.S.: Im Zeichen des Saturn. Frankfurt/Main: S. Fischer 1983.

29

Vergleiche beispielsweise Robert Burgoyne: The Imaginary and the Neo-Real. In: Enclitic, Frühjahr 1979, S. 16ff.

30

Im italienischen Kino gab es bekannte Vorläufer, sowohl im populären Kino (beispielsweise im Genre des »Peplum«) als auch im Autorenkino, insbesondere Viscontis SENSO (Sehnsucht; 1954) und IL GATTOPARDO (Der Leopard; 1963), beide von Fassbinder außerordentlich geschätzt.

31

Vergleiche Kaes 1987, S. 29f.: »Faschismus und Drittes Reich tauchen bei vielen [...] westdeutschen Vergangenheitsfilmen nur noch als ›semiotisches Phänomen‹ auf: Zeichenhaft werden durch Uniformen und Hakenkreuze, ausrasierte Nacken und schwarze Lederstiefel, durch einschüchternde Gänge und Treppen usw. Hintergründe angedeutet, die dem privaten Geschehen im Vordergrund die gewichtige historische Dimension und Fallhöhe verleihen sollen.«

32

Vergleiche Friedländer (siehe Anm. 15).

33

Vergleiche Michel Foucault: Film and Popular Memory. In: Sylvère Lotringer (Hg.): Foucault live. New York: Semiotexte 1989, S. 89ff.

34

Jean Baudrillard: Holocaust. In: Cahiers du cinéma, Nr. 302, Juli–Aug. 1979.

35

Max Horkheimer: Die Juden und Europa. In: Zeitschrift für Sozialforschung. VIII 1/2 (1939), S. 115.

36

Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action française, der italienische Faschismus, der Nationalsozialismus. München: Piper 1963 (1986 [2. Aufl.]).

37

Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1967.

38

Zu einer Diskussion von »Trauerarbeit« und dem Kino vergleiche den dementsprechenden Abschnitt in Elsaesser 1994, S. 324ff. Auch: Eric L. Santner: Stranded Objects. Cornell: Cornell University Press 1990.

39

Vergleiche Eric Rentschler: Remembering not to Forget. Alexander Kluge’s BRUTALITY IN STONE. In: New German Critique, Nr. 44, Winter 1990, S. 23ff.

40

Vergleiche beispielsweise Eike Wenzel: Aktualität der Erinnerung. DEUTSCHLAND IM HERBST als kollektiver Versuch einer filmischen Gedächtnisproduktion für die Gegenwart. In: Knut Hickethier u.a. (Hg.): Der Film in der Geschichte. Berlin: edition sigma 1997, S. 228–240.

41

Die Debatte um HOLOCAUST führte auch zu einer ganzen Reihe von Publikationen. Vergleiche exemplarisch Friedrich Knilli / Siegfried Zielinski: Holocaust zur Unterhaltung. Berlin: Elefantenpress 1982, und Michael E. Geisler: The Disposal of Memory: Faschism and the Holocaust. In: Murray/Wickham 1992, S. 220ff.

42

Heinz Höhne in: Der Spiegel, zitiert nach: Kaes 1987, S. 38.

43

Diese exhibitionistische Seite der Rezeption wurde dadurch betont, dass – wie kaum ein deutscher Kommentar zu erwähnen vergaß – die Augen der Welt auf die deutschen Reaktionen gerichtet waren. Vergleiche Kaes 1987, S. 35ff.

44

Zitiert nach: Ebenda, S. 38.

45

Christian Meier zitiert nach: Kühnl (siehe Anm. 6), S. 258. Es gibt zahlreiche Dokumentationen, die sich mit dem »Dritten Reich« und der »Endlösung« beschäftigen. Vergleiche Volker Lilienthal: Das gepriesene Schreckbild. In: Joachim Schmitt-Sasse (Hg.): Wiedergänger. Faschismus und Anti-Faschismus im Film. Münster: maks 1992, 173ff.

46

Für eine detaillierte Diskussion der Filme, die aus einer feministischen oder einer Familien-Perspektive gemacht wurden, vergleiche Elsaesser 1994, S. 253ff. Auch: Julia Knight: Frauen und der Neue Deutsche Film. Marburg: Hitzeroth 1995.

47

Vergleiche auch Edgar Reitz: Deshalb waren unsere Muttis so sympathische Hühner. Diskussion zu HEIMAT mit Friedrich P. Kahlenberg, Gertrud Koch, Klaus Kreimeier, Heide Schlüpmann. In: Frauen und Film, Nr. 38, 1985, S. 96ff.

48

Vergleiche Thomas Elsaesser: Myth as the Fantasmagoria of History: Syberberg, Cinema and Representation. In: New German Critique, Nr. 24–25, Herbst/Winter 1981–82, S. 108ff.

49

Vergleiche Santner (siehe Anm. 38), S. 104f.

50

An zentralen Stellen zitiert HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND den Monolog des schizophrenen Mörders aus Fritz Langs M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931) und Passagen aus der Posener Rede Heinrich Himmlers.

51

Reitz konstruiert in HEIMAT eine Mutter Courage, die ihre Kinder nicht an den Krieg verliert.

52

Vergleiche Gertrud Koch: Kann man naiv werden? Zum neuen Heimatgefühl. In: Frauen und Film, Nr. 38, 1985, S. 107ff.

53

Vergleiche Eric L. Santner: On the Difficulty of Saying »We«: The Historians’ Debate and Edgar Reitz’ HEIMAT. In: Murray/Wickham 1992, S. 273f.

54

Vergleiche Edgar Reitz: Liebe zum Kino. Köln: Verlag Köln 78 o.J. (1984), S. 102: »Es gibt tausende von Geschichten in unserem Volk, die [w]ert [sic!] wären, verfilmt zu werden, die auf irritierenden Detailerfahrungen beruhen, die scheinbar oft zur Beurteilung zur Erklärung der Geschichte nichts beitragen, aber in ihrer Summe diesen Mangel beheben würden.«

55

Vergleiche beispielsweise Hans Jürgen Syberberg: Wie man den neuen Haß züchtet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1990.

56

Enno Patalas, der ehemalige Leiter des Münchener Filmmuseums, verglich einmal die Publikumsreaktion einer Vorführung von Veit Harlans KOLBERG (1945), die ohne Proteste verlief, und einer Vorführung von OPFERGANG (1944), nach der er bedroht wurde. Siehe: Bernadette Klasen: Eine Frau wird erst schön durch die Liebe. In: Joachim Schmitt-Sasse (Hg.): Wiedergänger. Faschismus und Anti-Faschismus im Film. Münster: maks 1992, S. 38. Es scheint, als habe ein Publikum eine sichere Subjektposition bei einem Film, von dem es »weiß«, dass es sich um Propaganda handelt (KOLBERG), aber als reagiere es erschreckt, wenn eine starke emotionale Reaktion auf ein Melodram (OPFERGANG) mit dem Wissen in Konflikt geriet, dass es sich dabei um einen »faschistischen« Film handelt.

57

Vergleiche Mitscherlich (siehe Anm. 37).