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Elsaesser, Thomas. "(Post-)Klassisches Hollywoodkino: DIE HARD." In Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino, edited by Thomas Elsaesser, 53-96. Bertz+Fischer, 2009.

(Post-)Klassisches Hollywoodkino: DIE HARD

Thomas Elsaesser

from Hollywood heute: Geschichte, Gender und Nation im post-klassischen Kino by Thomas Elsaesser

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Was steht eigentlich auf dem Spiel, wenn man zwischen dem sogenannten klassischen und dem postklassischen Hollywoodkino unterscheidet? Für die meisten Zuschauer ist eine solche Differenzierung kaum von Belang, um so weniger, wenn sie sich nicht technologisch versteht, also die Unterschiede nicht an der Digitalisierung oder den Special Effects festmacht. Aber auch Filmwissenschaftler wie David Bordwell und Kristin Thompson haben Zweifel an einer grundsätzlichen Zweiteilung angemeldet. Dennoch sind die Argumente für einen Bruch, wie man ihn auch immer im Einzelnen bezeichnet, gewichtig genug, um die bestehenden Ansätze für eine Neubestimmung des Hollywoodkinos noch einmal zu untersuchen. Dabei bieten sich – abgesehen von den technologischen – eine Reihe von ökonomisch-institutionellen, generationsgeschichtlichen und stilistischen Merkmalen an. Auf einige davon bin ich in den vorangegangenen Kapiteln schon eingegangen, sodass ich mich hier vor allem auf stilistische Aspekte konzentrieren will und anhand eines konkreten Beispiels den oft, aber nicht immer überzeugend ins Feld geführten Gegensatz von Spektakel (spectacle) und Erzählen (narrative) näher untersuchen möchte. Hierfür sollen zunächst einige Grundprinzipien des filmischen Erzählens rekapituliert werden, wie sie in den Methoden zweier Schulen der narrativen Analyse ihren Niederschlag gefunden haben. Da wäre einerseits die sich auf die aristotelische Poetik berufende Analyse des klassischen Spielfilms, nach der eine Erzählung sich von einer Ausgangssituation mittels Komplikationen, Transformationen und Umkehrungen auf ein Ende hin bewegt, wobei meist ein einzelner Protagonist im Mittelpunkt steht, und andererseits die strukturalistische Narratologie, die aus Claude Lévi- Strauss’ Mythenanalyse und Vladimir Propps Morphologie des Märchens hervorgegangen ist und die – weniger personenbezogen – in einer Erzählung das Netzwerk der sich gegenseitig bedingenden Beziehungen oder Konstellationen herausarbeitet. Ein solches Funktionsgeflecht ist eher statisch und abstrakt – weshalb es auch, so zum Beispiel in A.J. Greimas’ »semiotischem Viereck«, diagrammatisch wiedergegeben werden kann –, und es zielt darauf, die verborgene »Logik« einer Erzählhandlung aufzudecken.

Was den Begriff des Spektakels betrifft, stellt sich die Frage, inwieweit das Hollywoodkino seit den 1980er Jahren die klassischen Formen des Erzählens überhaupt zugunsten von Schaueffekten und reiner »Action« vernachlässigt hat und ob sich ein dem frühen Kino ähnliches neues »Kino der Attraktionen« herausgebildet hat, das die Motivationen der Figuren und ihre Interaktionen miteinander auf ein Minimum beschränkt, um der Choreografie von Gewalt-, Kampf- und Zerstörungsszenen breiteren Raum geben zu können. Eine solche Definition des postklassischen Kinos (die sich teilweise mit der von der feministischen Filmtheorie eingeführten Unterscheidung zwischen Narration als Voyeurismus und Spektakel als Exhibitionismus deckt) scheint mir problematisch, da sie unterstellt, was erst bewiesen werden müsste: dass man Spektakel und Narration nämlich überhaupt gegeneinander ausspielen kann und dass mehr spektakuläre »Action« tatsächlich eine oberflächlichere Erzählweise oder -struktur zur Folge hat. Um diese Unterstellungen zu vermeiden, gehe ich im Folgenden eher induktiv vor und leite einige der relevanten Begriffe zu Spektakel und Narration und damit auch zum klassischen und postklassischen Kino aus einer genaueren Analyse des Blockbusters DIE HARD (Stirb langsam; 1988; R: John McTiernan) ab.

Meine Arbeitsthese lautet, dass dieser Film sowohl »klassisch« als auch »postklassisch« interpretiert werden kann, da die Differenz zwischen beiden Erzählformen mindestens ebenso stark von der ideologischen oder ästhetischen Sichtweise des Betrachters abhängt wie von den »objektiv« beschreibbaren formalen oder ideologischen Merkmalen des Films. So werde ich einige Kritiken zu DIE HARD zitieren, die sich darin einig sind, dass der Film das Spektakel betont und die Handlung vernachlässigt, wobei sie meist offen lassen, ob diese Veränderungen zu begrüßen oder zu beklagen seien. Dem stelle ich eine weniger impressionistische Textanalyse gegenüber, die Merkmale an DIE HARD hervorheben wird, die normalerweise stärker dem klassischen als dem postklassischen Hollywoodkino zugerechnet werden. Eine weitere Lesart des Films wird im Anschluss daran die Elemente betonen, die man als postklassisch bezeichnen könnte. Gerade hier werden ganz andere Kriterien ins Spiel kommen als jene, die auf die Opposition von Spektakel und Narration zurückgreifen oder auf die Behauptung, das postklassische Hollywood investiere in Spezialeffekte auf Kosten des Plots. Abschließend werde ich ausführen, dass auch Filmwissenschaftler dazu neigen, die Grenze zwischen klassischem und postklassischem Kino je nach Interesse und Präferenz zu verlagern, sodass eine eher zerklüftete, aber stets präsente Linie die beiden Begriffe trennt, wobei die Brauchbarkeit des Konzepts »klassisch« sowohl aufs Neue bewiesen als auch modifiziert wird. Die Unterscheidung bestimmt sich also, wie ich zeigen werde, aus einer Veränderung des Fokus und nicht (nur) des Objektes: ein Tatbestand, der für die Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft nicht unerheblich ist, beweist er doch die Notwendigkeit des autoreflexiven Gestus innerhalb der Geisteswissenschaften generell: Die Pluralität der Lesarten von kulturellen Produkten ist kein Manko, das es zu beseitigen gilt, sondern eine Bereicherung, die in diesem Fall die unterschiedlichen Facetten eines Filmtextes und einer Filmerfahrung ans Licht fördern kann, ohne damit enger gefasste formale oder genrespezifische Lesarten zu entkräften.

DIE HARD bietet sich aus mehreren Gründen für eine solche exemplarische Analyse an. Obwohl der Film bei seinem Start von der Kritik eher gemischt aufgenommen wurde, war er finanziell äußerst erfolgreich und entwickelte sich zu einem Klassiker seines Genres. Tatsächlich ist er paradigmatisch für den neuen Actionfilm, dessen Betonung angeblich auf den Schauwerten und Special Effects liegt statt auf der Motivation der Protagonisten und einer gut erzählten Story. DIE HARD machte seinen Hauptdarsteller Bruce Willis zum Megastar, doch wird noch zu zeigen sein, dass seine Rolle als Actionheld in DIE HARD trotzdem ungewöhnlich ist, weil sie auf unerwartete Weise eher »softe« Themen wie Gender, Klasse und »Rasse«1 thematisiert. Der Film war so populär, dass er bis dato drei – ebenfalls erfolgreiche – Sequels nach sich zog2, die sich auf mehreren Ebenen als selbstreferenziell lesen lassen. Ein weiteres Merkmal des postklassischen Modus war der innovative Soundtrack, der mich aber hier weniger beschäftigen wird.

In DIE HARD kehrt der New Yorker Polizist John McClane (Bruce Willis) an Heiligabend nach Los Angeles zurück, weil er hofft, sich mit seiner Frau Holly (Bonnie Bedelia) zu versöhnen, die in der Geschäftsleitung des japanischen multinationalen Unternehmens Nakatomi arbeitet. McClane fährt direkt vom Flughafen auf das Weihnachtsfest, das im nagelneuen, firmeneigenen Wolkenkratzer stattfindet. Als er und Holly gerade dabei sind, sich auszusprechen, platzt eine Gruppe von 13 Terroristen, angeführt vom übermächtigen Deutschen Hans Gruber (Alan Rickman), in die Etage der Geschäftsführung, wo sie vom Vorstandsvorsitzenden konvertierbare Pfandbriefe verlangen und schließlich die gesamte Belegschaft als Geiseln nehmen. McClane, der sich zur Zeit des Angriffs auf der Toilette befindet, bleibt als Einziger unentdeckt, doch er ist im noch nicht fertig gebauten Teil des Turms gefangen. Ein auf Geistesgegenwart, Witz und Waffentechnik bauendes Kräftemessen entwickelt sich zwischen den High-Tech-Terroristen und dem barfüßigen Cop im Unterhemd. Mit der Unterstützung eines schwarzen Polizisten aus Los Angeles außerhalb der Kampfzone, mit dem er Funkkontakt und eine freundschaftliche Beziehung aufbaut, durchkreuzt McClane die Pläne der Terroristen – die sich schon bald als schnöde Bankräuber entpuppen – und dezimiert sie, bis er schließlich auch ihren Anführer tötet, die Geiseln befreit und seine Frau zurückgewinnt.

[Bild 1: Kino der Attraktionen: Angelina Jolie in WANTED (2008; R: Timur Bekmambetov)]

Die Debatte über die Unterschiede zwischen klassischem und postklassischem Hollywood wird oft polemisch geführt. Die Frage lautet normalerweise: Gilt in Hollywood noch immer business as usual, oder müssen wir unser Vokabular verändern, um den Filmen, die dort seit den 1970er Jahren hergestellt werden, gerecht zu werden? Die Fraktion um Bordwell und Thompson vertritt, wie schon erwähnt, die Position, dass keine Veränderung notwendig sei, weil der zeitgenössische Hollywood-Blockbuster in seinen entscheidenden Merkmalen noch immer den stilistischen und narratologischen Prinzipien treu geblieben sei, die das Mainstreamkino von den 1920er bis in die 1960er Jahre bestimmt haben. Eine andere Fraktion (beispielsweise genannt seien Thomas Schatz, Tim Corrigan und Scott Bukatman) hält dagegen, dass nicht die konstanten Elemente einer Erklärung bedürfen, sondern jene, die sich verändert haben, will man dem großen Comeback Hollywoods seit den 1970er Jahren auf den Grund gehen. Zuallererst springen ökonomische Aspekte ins Auge: Wenn man etwa die Besitzerwechsel der Studios betrachtet oder den package deal (d.h. die wachsende Macht der Star-Agenten und Mittelsmänner) studiert, wenn man sieht, wie Marketing und globaler Vertrieb zu Schlüsselfaktoren wurden, die Hollywood seit den 1970er Jahren verändert haben, dann kann eine – oft gezogene – Schlussfolgerung sein, dass dieses »neue« Hollywood seinen Zuschauern andere Reize bieten muss, um der Verschiebung des demografischen Profils hin zu einem jüngeren, mobileren und internationaleren Publikum Rechnung zu tragen3. Schwieriger wird es, wenn man sich auf die Erzählweise konzentriert, aber auch hier kann man Veränderungen feststellen, wenn auch eher graduelle und widersprüchliche: Zuerst wäre der Einfluss des europäischen Autorenkinos der 1950er und 1960er Jahre zu nennen, mit dem eine losere Verkettung von Ursache und Wirkung in der Handlung, ein weniger zielgerichteter Held und ein eher offenes Ende Eingang ins Hollywoodkino gefunden haben, so in den Filmen von Robert Altman, Bob Rafelson, Monte Hellman oder James Toback. Im Gegenzug, fast als sollte dieser Einfluss gekontert werden, gab es eine parallele Entwicklung, in der Hollywoodgeschichten zu archetypischen Mythen und Stereotypen zurückkehrten, doch jetzt gefiltert durch die Genreformeln der TV-Serien einer vergangenen Ära: Boxerfilme wie ROCKY (1976; R: John G. Avildsen), Horrorfilme, die an die 1950er Jahre erinnerten, oder George Lucas’ STAR WARS (Krieg der Sterne; 1977), der an die Science-Fiction-Serien wie Star Trek (USA 1966-69) anknüpfte. Verfechter eines »postklassischen« Bruchs würden hinzufügen, dass digitale Trickeffekte, neues Sounddesign und eine an Vergnügungsparks und Achterbahnfahrten erinnernde körperliche Affizierung der Zuschauer (JURASSIC PARK [1993; R: Steven Spielberg], SPEED [1994; R: Jan de Bont], TWISTER [1996; R: Jan de Bont]) die Ästhetik des zeitgenössischen Hollywood am stärksten typisieren und dass gewaltsamer Tod und expliziter Sex aus dem B-Film (und der Pornografie) in das Zentrum des Mainstreams gewandert sind. Zusammengenommen haben diese sensorischen Stimuli und thematischen Schwerpunkte die Art verändert, wie Filme gestaltet und Plots visualisiert werden, mit dem Ergebnis, dass sie vom Publikum anders interpretiert (oder benutzt) werden. »Spektakel« heißt in diesem Zusammenhang, dass solche Filme »erfahren « und nicht gesehen werden, dass sie einen Fantasie-Raum anbieten, den man »bewohnen« kann, und eben kein Fenster zur Wirklichkeit öffnen, sondern jeden »Rahmen« sprengen. Die gesteigerte Bedeutung von direktem Sinnesreiz und emotionalem Kontakt ließe darauf schließen, dass Geschichtenerzählen nicht mehr so wichtig ist wie in der Periode des sogenannten klassischen Stils. Aber was genau ist – oder war – der klassische Stil?

1. Die klassische Lesart: Theorie

Zwei Modelle für das klassische Hollywoodkino

Wenn man mögliche Prototypen der klassischen Hollywooderzählung umreißt, ergeben sich zwei Gruppen oder Familien, die beide literaturwissenschaftlich inspiriert sind: Die eine stammt vom klassischen Drama und Roman ab, die andere von mündlichen Erzählungen wie Mythos, Märchen und dem frühen (pikaresken) Roman. In der Filmwissenschaft wird die erste Gruppe mit der kanonischen Erzählform assoziiert, wie sie in Handbüchern für Drehbuchautoren gelehrt und von David Bordwells neoformalistischer Poetik verfeinert wurde. Für die Analyse der zweiten Gruppe griffen Autoren entweder auf Vladimir Propps Morphologie des Märchens4 zurück, so etwa Peter Wollen5, oder entwickelten sie aus Claude Lévi-Strauss’ Strukturaler Anthropologie6 und Algirdas J. Greimas’ Die strukturale Semantik7, Ansätze, die beispielsweise von Raymond Bellour oder Fredric Jameson modifiziert wurden. Die daraus entstandenen Standardanalysen klassischer Hollywoodfilme wurden in weiten Kreisen diskutiert und adaptiert – dank solch einflussreicher Modelle wie des kollektiven Essays der Cahiers du cinéma-Autoren zu John Fords YOUNG MR. LINCOLN (Der junge Mr. Lincoln; 1939; R: John Ford)8, dank strukturalistischer Studien bestimmter Genres (Western, Gangsterfilm) oder Colin MacCabes ideologischer Lektüre des »klassischen realistischen Textes« in Literatur und Film9 und schließlich dank einer Methode für die Analyse von (hauptsächlich Nicht-Hollywood)-Filmen, die aus Michail Bachtins Theorie des »dialogischen« und »heteroglossischen« Textes gewonnen wurde (zum Beispiel bei Stam 10). Hinzufügen ließe sich noch Roland Barthes’ Studie S/Z11 als Inspirationsquelle für Filmanalysen (Lesage12, Elsaesser/Buckland13).

All diese Modelle unterscheiden zwischen der makroanalytischen Ebene, die allen Erzählungen gemeinsam ist, egal in welchem Medium und auf welchem Zeichenträger sie auftreten (mündlich, schriftlich oder filmisch, in Comics oder auf allegorischen Gemälden usw.), und der mikroanalytischen Ebene, auf der man nach den medienspezifischen stilistischen Mitteln und formalen Elementen sucht, die jeweils am relevantesten für die Analyse sind – im Falle des filmischen Diskurses zum Beispiel Einstellungsgröße, Kamerabewegung und -perspektive, Bildkomposition, Montage, Beziehung zwischen Bild und Ton.

Für die Makroanalyse hat Lévi-Strauss einige der bekanntesten Kategorien bereitgestellt, so die Idee, dass binäre Paare die Bausteine der bekanntesten Geschichten bilden. Seine Methode erwies sich nicht deshalb als erfolgreich, weil sie eine »Wahrheit« über die Welt oder sogar das menschliche Gehirn zu verkünden wusste, sondern weil Lévi-Strauss sich – exemplarisch in seinem Schlüsselwerk Strukturale Anthropologie – an einen rigorosen Formalismus hält und zentrale theoretische Fragestellungen aller narrativen Analysen hervorhebt, so das Problem der Segmentierung, der Kategorisierung und der Klassifizierung, wobei die (wahrnehmbare) »Differenz« als minimale Voraussetzung für die Sinnproduktion gilt. Lévi-Strauss zog auch einige Folgerungen für die soziokulturelle Funktion von Erzählungen: wie Geschichten die Vorstellungen einer Kultur über Natürliches und Übernatürliches konstruieren, wie sie Verwandtschaftsbeziehungen artikulieren (und damit auch die Frage der Geschlechterdifferenz ansprechen), wie sie mit Widersprüchen umgehen (welche logischen Kategorien spielen in Erzählungen eine Rolle), und schließlich, wie wichtig Mythen sind, um die ökonomischen Beziehungen einer Gesellschaft zu symbolisieren (ihr implizites System von Tausch und Äquivalenz). Er stellte auch ein griffiges Zitat für die übergreifende Beziehung von Erzählungen zur nicht-narrativen Welt der harten Fakten und der sozialen Bedingungen der Existenz bereit: Mythen sind, so Lévi-Strauss, »imaginäre Lösungen für reale Probleme« – und helfen so den Menschen dabei, ihr Leben als sinnerfüllt zu empfinden.

Das aristotelische Modell betont im Gegensatz dazu die übergreifende Geschlossenheit von Zeit, Ort und Handlung statt der Segmentierung. Es konzentriert sich auf die Charaktere als Initiierende und Handelnde, die das Kernstück einer Erzählung ausmachen, statt interpersonellen Transaktionen (Funktionen) den Vorrang zu geben. Diese Art der Analyse unterscheidet ebenfalls getrennte Einheiten, so die einzelnen Akte (wie in der griechischen Tragödie oder im Boulevardstück) und die Beziehungen zwischen ihnen (nach Aristoteles folgt auf die »Komplikation« der »Wendepunkt«, der über den »Moment der Erkenntnis« zur »Auflösung« führt). Die meisten Kommentatoren sind sich darin einig, dass die Mehrheit der klassischen Hollywoodfilme einem solchen Muster folgt:

»Was ist eine Narration (›eine Abfolge von Handlungen, die in Zeit und Raum angeordnet sind‹), und was ist eine Hollywood-Narration? Die Handbücher der Drehbuchautoren borgen sich ihre Modelle beim Drama aus, der aristotelischen Unterteilung, oder bei der Kurzgeschichte. Einteilung in drei oder vier Akte, Figurenentwicklung, Transformation, Ausgangssituation, Komplikation, Auflösung, Konsequenzen der Auflösung.«14

Im Gegensatz dazu steht das Modell der russischen Formalisten, die entweder Vladimir Propp folgten, der eine Serie von narrativen Funktionen miteinander verkettete, oder mit Viktor Sklovski zwischen dem zugrundeliegenden narrativen Material (fabula/story: das raum-zeitliche Kontinuum) und seiner kompositorischen Anordnung (syuzhet/plot: die diskontinuierliche Vergabe von Informationen) unterschieden. Diese Unterscheidung ist von David Bordwell in seinen einflussreichen Büchern The Classical Hollywood Cinema (gemeinsam mit Janet Staiger und Kristin Thompson15) und Narration in the Fiction Film16 weiterentwickelt worden. Er theoretisiert die Makrostrukturen und die Mikroebenen des kanonischen Erzählformats mit einer Mischung aus aristotelischen und (neo-)formalistischen Prinzipien. Von Aristoteles übernimmt Bordwell den charakterzentrierten Kausalzusammenhang, der die Handlung vorwärtstreibt, und fügt die doppelte Plotlinie des klassischen Hollywoodfilms hinzu, kurz gesagt: das Abenteuer und die Liebesgeschichte, wobei die Narration von der Art abhängt, in der diese zwei Linien ineinander verwickelt sind, sich überkreuzen oder gegenseitig zur Bedingung ihrer jeweiligen Lösung werden, signalisiert durch die Bildung des Paares. Von den russischen Formalisten wiederum übernimmt Bordwell die Idee der Narration als variabler Verteilung von Hinweisen (cues), die der Zuschauer mental in ein lineares Raum-Zeit-Kontinuum einordnen muss.

Statt von einer doppelten Plotlinie ließe sich – als Kombination des Propp’schen Modells mit dem Lévi-Strauss’schen – beim Hollywoodfilm auch von zwei Ebenen sprechen, von denen jede auf eigene Art organisiert ist. So bildet beispielsweise der Abenteuerplot die »Oberflächenstruktur«, während die Liebesgeschichte eine »Tiefenstruktur« abzeichnet: die eine mit offener, die andere mit versteckter Logik. Ein wenig vereinfachend könnte man sagen, dass beide Strukturen eine bestimmte Art der Interaktion verbindet, wobei »Realismus« (Plausibilität) mit »Fantasie« (einem Komplex aus Wünschen und Verboten) konkurriert und »Verständlichkeit« mit »Widersprüchlichkeit«. Wenn wir dieser Interaktion eine psychoanalytische Grundierung geben wollten, könnten wir zwischen der »Logik des rationalen Handelns« und der »Logik des Verlangens« unterscheiden. Die eine ist unilinear, sequenziell und kausal verbunden, die andere ist der Vergangenheit verhaftet, durch Wiederholung gekennzeichnet und deshalb oft zirkulär. Diese beiden Ebenen können in merklicher Spannung zueinander stehen, doch muss diese vom Zuschauer nicht bemerkt werden, um wirksam zu sein. Tatsächlich kann es in der Natur der Logik des Verlangens liegen, dass sie unsichtbar ist, denn um emotional und ideologisch effektiv zu sein, muss sie »unterbewusst« bleiben.

Um hier schon einmal einen Punkt der Analyse von DIE HARD vorwegzunehmen: Als rational Handelnder versucht McClane seine Frau zurückzugewinnen, und dies kann er nur erreichen, indem er die Geiseln rettet und die Terroristen vernichtet. Doch neben – oder unterhalb – dieser Motivation gibt es die Logik des Verlangens – oder der Angst –, die sich auf McClanes Wunsch konzentriert, weniger seine Ehe zu retten, als vielmehr seine Identität als Mann aus der Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten. Seine Position wird sowohl durch den Aufstieg der Frauen in die Welt des Managements gefährdet wie auch durch die Abwertung der manuellen Arbeit durch das Aufkommen von (multinationalen) Unternehmen mit ihren Möglichkeiten, die Produktion in Niedriglohnländer zu verlagern. Während McClane also auf der Ebene der rationalen Handlung zweckdienlich mit durchdachten Mitteln und Zielen operieren muss, bleibt er auf der Ebene des Verlangens stur bei seinen Waffen, ein amerikanischer Mann, der sich durch Machoverhalten, brutale Gewalt und physische Tollkühnheit selbst bestätigt. Das Geschick des Films (oder seine »ideologische Arbeit«) besteht darin, diese zwei Arten der Logik auszubalancieren, indem er sie in eine einzige, emotional befriedigende und narrativ plausible Geschichte verwebt. Was einem Publikum, das sich auf Action und Spannung konzentriert, als natürlich und selbstverständlich erscheint, könnte auch als zweifelhaftes ideologisches Manöver interpretiert werden, die Werte des Patriarchats und der weißen Vorherrschaft in einer Periode der akuten wirtschaftlichen und multikulturellen Transformationen mit Nachdruck zu behaupten. Auf der Oberflächenstruktur erfindet der Film eine äußerliche Bedrohung – die ausländischen Terroristen –, die für die innere Bedrohung in der Tiefenstruktur des Helden einsteht, nämlich den Widerspruch zwischen einer patriarchalen Männlichkeit (im Film zusammengefasst im Wunsch des Helden, sich niemals entschuldigen zu müssen) und dem Unternehmenskapitalismus (dessen Nachfrage nach Frauen im mittleren Management, die mit Personal, Kommunikation und Dienstleistungen befasst sind, auf Kosten gering ausgebildeter Männer in der Produktion). Der Einsatz eines Problemfeldes (»Terroristen« oder Gangster) als Platzhalter für ein anderes (Identität nach Gender, Klasse und »Rasse«) erlaubt der Narration des Films, eine Art Tausch zwischen der Logik des rationalen Handelns und der Logik des Wunschs / der Angst vorzunehmen, deren genaue Wirkungsweise für den Protagonisten wie auch für das Publikum unerkannt und unterbewusst bleibt.

[Bild 2: Held der Arbeit: Bruce Willis in DIE HARD]

Das klassische Kino: Einige kulturelle Definitionen

Während Aristoteles die kulturelle Funktion des Dramas darin sah, die Gefühle durch das Hervorrufen von Furcht und Mitleid zu reinigen, legten die russischen Formalisten den Zweck von Erzählungen nicht auf eine solche Weise fest. Auch Lévi-Strauss gibt eine Reihe von Erklärungen, warum Geschichtenerzählen und dramatische Darstellungen zu den universellen Merkmalen menschlicher Gemeinschaften gehören, allem voran, wie erwähnt, die imaginäre Lösung realer Widersprüche. In der Filmwissenschaft hat sich seit den 1970er Jahren in der Regel deshalb die Überzeugung verfestigt, dass Hollywoodfilme den Zweck verfolgen, ideologische Widersprüche der zeitgenössischen kapitalistischen Gesellschaft zu verschleiern, vor allem bei der Darstellung der Geschlechterbeziehungen, der Rassenfrage und anderer Formen sozialer Ungerechtigkeit. Allgemein gesprochen besteht also das Ziel strukturalistischer, dekonstruktivistischer, postmoderner, feministischer und postkolonialer Analyse darin, die impliziten Normen eines Genres oder die normativen Annahmen von Handlungsträgern als »konstruiert« und historisch bedingt darzustellen. So könnte die Motivation des Helden in DIE HARD, sich mit seiner Frau zu versöhnen, als die Stärkung patriarchaler Werte in Form einer normativen Heterosexualität gesehen werden. Wie noch zu zeigen ist, ist der Film sich dieser möglichen Lesart seiner Handlung selbst bewusst.

Trotz Akzentverschiebungen besteht jedoch ein gewisser Konsens über die kulturelle Funktion populärer (Film-)Geschichten, vergleicht man die jeweiligen Begriffe hierfür: von der aristotelischen »Katharsis« über das psychoanalytische »Durcharbeiten« bis zum strukturalistischen »Aufheben der Widersprüche« und den kognitiv-pragmatischen Hypothesen über Filme als Modellierungen von »Problemlösungen«. Selbst wenn zwischen den konkurrierenden Theorien, die hier vorgestellt werden, Uneinigkeit besteht über den »politischen« Charakter der jeweils gewählten Methode, so weisen sie doch auf der Makroebene der Analyse eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf. Betrachtet man zum Beispiel David Bordwell als den typischen Vertreter des aristotelischen Modells und Raymond Bellour als Repräsentant des französischen (Post-)Strukturalismus, kann man feststellen, dass

    • sie sich einig sind, was den Effekt der (ideologischen) Selbst-Evidenz angeht und die Mittel, mit denen diese erreicht wird. David Bordwell nennt das klassische Hollywoodkino ein exzessiv offensichtliches Kino: »Das klassische Kino hat eine zugrundeliegende Logik, die man nicht aus der Reflexion mit dem gesunden Menschenverstand oder Hollywoods eigenem Diskurs ablesen kann. Bewaffnet mit Konzepten [wie Norm, Paradigma, stilistischer Alternative, Ebenen der systemischen Funktion] können wir uns an die Untersuchung machen, wie dieser Stil [der klassisch genannt wird] Kausalität, Zeit und Raum [auf so eigene Weise] organisiert, dass er, wie Poes entwendeter Brief, ›der Beobachtung entgeht, weil ›die ganze Sache zu durchsichtig ist‹.«17. Und Raymond Bellour spricht vom Offensichtlichen und vom Code: »Gemäß der berühmten Formel von Rivette ist ›Offensichtlichkeit das Kennzeichen von Howard Hawks’ Genie‹. Das stimmt zweifelsohne – sofern wir den Grad erkennen, bis zu dem die Offensichtlichkeit nur zum Vorschein kommt, weil sie kodiert ist.«18
    • sie sich einig sind über die strukturelle Bedeutung der normativen Heterosexualität: Bordwells Insistieren auf dem Vorherrschen der romantischen Plotlinie ist ein Echo von Bellours Zentralkategorie der »Bildung des (heterosexuellen) Paares«.
    • sie auch darin übereinstimmen, dass das klassische Hollywoodkino ein bemerkenswert homogenes kulturelles Phänomen gewesen ist, das über eine relativ lange Zeit stabil blieb: Was Bordwell als »klassischen Darstellungsmodus« bezeichnet, findet im Zeitrahmen von etwa 1917 bis 1960 statt. Auf ähnliche Weise würde Bellour das klassische Kino von D.W. Griffiths THE LONEDALE OPERATOR (1911) bis Hitchcocks MARNIE (1964) Datieren19.

Das klassische Kino: Einige formale Definitionen

Die kulturellen Definitionen implizieren die Erkenntnis, dass für die Illusion des Realismus im Hollywoodkino (nach dem als »natürlich« erscheint, was gestellt, konstruiert, historisch oder ideologisch begründet ist) nicht so sehr entscheidend ist, wie »real« das Gefilmte ist (der dokumentarische Wert oder Wahrheitsstatus des Gefilmten), sondern wie etwas formal ausgearbeitet wird und wie die Codes, Normen und Konventionen kulturell verwurzelt sind, die die filmische Darstellung bestimmen. Es ist nicht die »Realität«, die Dinge auf der Leinwand real erscheinen lässt, sondern eine Rhetorik, ein formales System, das auch eine kulturelle Logik mit sich führt. Einige der Indizien sind:

    • eine auf Charaktere ausgerichtete Kausalität, deren treibende Kraft psychologische Eigenschaften sind. Nicht-psychologische Motivationen werden als kausale Handlungsursache ausgeschlossen, es sei denn als Metaphern der psychologischen Konflikte des Protagonisten, etwa wenn Kriege, Revolutionen, Naturkatastrophen oder Invasionen als Spiegelbilder von inneren Konflikten fungieren. »Der klassische Hollywoodfilm präsentiert psychologisch definierte Individuen, die sich anstrengen, ein klar erkennbares Problem zu lösen oder ein fest umrissenes Ziel zu erreichen. [...] Der prinzipielle kausale Handlungsträger ist von daher der Protagonist, ein erkennbares Individuum, das mit einer Reihe von klaren und konsistenten Charakterzügen, Qualitäten und Verhaltensweisen ausgestattet ist.«20 Dies steht, wie angedeutet, im Gegensatz zum funktionalistischen und netzwerkartigen, im Grunde a-kausalen und stattdessen komplexeren »logischen« und »semantischen« Modell von Protagonist und Kausalität in der strukturalistischen und poststrukturalistischen Theorie.
    • Wiederholung/Auflösung (der Bildung des Paares zugrundeliegend): »Ein fundamentaler Effekt in vielen amerikanischen Filmen besteht darin, dass das textuelle Volumen sich multipliziert und das Feld seiner eigenen Ausdehnung doppelt abschließt. Die systematische Anhäufung von Symmetrien und Asymmetrien in der filmischen Kette, die durch die Arbeit der allgemeinen Segmentierung wieder auseinandergenommen wird, ahmt fortwährend das Schema der Familienbeziehungen nach und reproduziert es.«21 Bellour deutet hier an, dass das hochentwickelte formale System des klassischen Hollywoodkinos im Dienst von kategorialen Verschiebungen und logischen Transformationen steht, die wiederum notwendig sind für die ideologische »Arbeit« Hollywoods als wichtiger Institution der weltanschaulichen Reproduktion der »Familie« in den USA und zunehmend auch im Rest der Welt.
    • der Continuity-Schnitt, der durch Konventionen ein räumlich konsistentes visuelles Feld und eine einzige Diegese erzeugt: die 180-Grad-Regel, das Schuss-Gegenschuss-Verfahren, die Inszenierung in die Tiefe, der Schnitt auf die Blickachse einer Figur (eyeline match), der Einstellungswechsel nur innerhalb eines Radius von 180 bis 30 Grad, der Schnitt auf Bewegungen. Dieses Continuity-System hat Vorrang gegenüber dem Montage-Stil der Avantgarde, mit ihren multiplen Diegesen, Diskontinuität der Einstellungen in Raum und Zeit, Gegenüberstellung und Kontrapunkt. Im klassischen Film ist die fiktionale Welt homogen: Unterbrechungen und Gegensätze können vom Zuschauer auf einer anderen Ebene wieder kohärent gemacht und reintegriert werden, sodass die (vom jeweiligen Genre vorgegebenen) Normen des Realismus und der Plausibilität im Hinblick auf Handlung, Charaktermotivation und Stimmigkeit von Raum/Ort nicht verletzt werden. In der Praxis bedeutet dies, wie wir sehen werden, dass im klassischen Film alles motiviert ist und einem Zweck dient, während die »Regeln« des Continuity-Systems einen glatten, unsichtbaren (weil entweder voraussehbaren oder retrospektiv erklärbaren) Übergang von einer Einstellung zur nächsten und von einem Segment zum anderen gewährleisten.
  • die Narration (die variable Verteilung des Wissens unter den Figuren sowie zwischen Figuren und Zuschauern) ist primär keine Frage des Stils oder des Modus (melodramatisch vs. realistisch oder ernst vs. komisch), sondern der Informationsvergabe: Wie erreichen Informationen das Publikum, und wie verarbeitet es sie mental oder emotional. Die Narration ist von daher ein Schlüsselfaktor dafür, wie ein Film den Zuschauer anspricht, involviert, impliziert, aktiviert und manipuliert. Die Funktion der filmischen Erzählung besteht darin, das Auge zu lenken und das Gehirn zu steuern. Dadurch werden die Zuschauer entweder optisch oder kognitiv »zentriert« und in den Film hineingezogen, ihre Position bestimmt und ihr Wissen manipuliert. Es ist ein Spiel mit dem Verlangen, zu sehen und zu beobachten (Voyeurismus, visuelle Lust, Skopophilie), und mit dem Verlangen, zu wissen und zu schlussfolgern (der Zuschauer macht sich das Nichtwissen, die Erwartung oder das überlegene Wissen gegenüber den Figuren zunutze).

Die Logik der Handlungen: Makroanalyse

Eine Möglichkeit, diese Merkmale zu verbinden und zu verstehen, wie ihr Ineinandergreifen den Eindruck von Einheit, Kohärenz und Selbstverständlichkeit in einem klassischen Film erzeugt, ist die »Logik der Handlungen« zu studieren: was ein Charakter tut, warum er dies tut, welche Ziele oder Absichten damit verfolgt werden und welche Hindernisse auftauchen. In diesem Sinne ist »klassisch« die Bezeichnung für eine bestimmte Art von Logik – nämlich eine zeitliche, räumliche und kausale Logik, die zusammengehalten wird von einem allgemeinen Vertrauen in die Effizienz von Problemlösungs-Routinen. Zugleich handelt es sich um eine Art semiotischen Operator, der die Beziehung der Teile zum Ganzen, die Hierarchie der Charaktere und die Anordnung ihrer Funktionen für eine andere Prozedur einsetzt – nämlich Bedeutung aus Handlungen und Bewegungen statt aus Worten und Aussagen zu schaffen, um bestimmte ideologische Aufgaben zu erfüllen, wie etwa spezifische kulturelle Werte und soziale Beziehungen als natürlich, selbstverständlich und unvermeidlich zu präsentieren.

Letzteres gehört in die Kategorie der (textuellen, psychischen, politischen) Arbeit und deutet auf die bereits beschriebene »Logik des Verlangens«. Auch dies ist eine Logik der Handlungen, eine, die oft mit dem Ödipuskomplex identifiziert wird, mit dem Freud das Modell der (männlichen) Identitätsfindung beschrieben hat. Die »Logik des Verlangens« bezeichnet aber auch eine widersprüchliche Beziehung zwischen Wissen und Glauben, zwischen den (unbewussten) Motiven für Handlungen und ihren bewussten Rationalisierungen. Das besondere Zusammenspiel zwischen Oberflächen- und Tiefenstruktur, linearer Bewegung und zirkularer Wiederholung auf der formalen Ebene ist als »ödipaler Handlungsverlauf« der klassischen Narration bezeichnet worden. Damit wird impliziert, dass der Protagonist – ungeachtet dessen, was er für sein Ziel, sein Problem oder seine Ambition auf der praktischen, alltäglichen Ebene hält – sich auch immer schon auf der symbolischen oder kulturellen Ebene bewegt, meist in Form einer Identitätskrise. Diese dreht sich etwa darum, was es heißt, ein Mann zu werden oder ein Mann zu sein, sowie um Fragen der Klassenzugehörigkeit und ethnischen Identität, um den Platz des Helden in der symbolischen Ordnung und, im Prozess der Identitätsfindung, um die Abwehr der Kastrationsangst und die Furcht vor dem anderen Geschlecht. Diese ödipale Logik zeigt sich besonders deutlich in den Genres des Action- und des Abenteuerfilms, aber auch im Western, im Thriller und im Film noir. Eine geschlechterspezifisch andere Variante wäre die Logik des Melodrams, dessen Protagonist meist eine Frau ist und dessen Handlung die weibliche Identitätsbildung skizziert – oder eher: deren Unmöglichkeit (was Mary Ann Doane als das »Verlangen, verlangen zu können« – The Desire to Desire, so ihr Buchtitel – bezeichnet hat22).

Aristotelische oder Propp’sche Analysen bemühen sich im Allgemeinen nicht um eine Beschreibung dieses ödipalen Handlungsverlaufs. Die Frage nach dem, was die Erzählung vorwärts bringt, was die Hauptfigur antreibt und in Bewegung hält, beantwortet beispielsweise das neoformalistische Modell nicht mit dem Widerspruch zwischen der Abenteuer- und der Liebesgeschichte, sondern mit ihrer Verknüpfung. Es genügt sich meist darin, den Konflikt zwischen dem Helden, der etwas will, und der Welt (oft verkörpert in einem klar definierten Antagonisten), die ihm auf dem Weg zum Objekt der Begierde Hindernisse in den Weg stellt, nachzuzeichnen. In Propps morphologischem Modell ist dagegen der Motor für die Handlung ein Mangel, ein fehlender Gegenstand oder eine abwesende Person, die der Protagonist finden und an den angestammten Platz zurückbringen muss, wie etwa die Prinzessin zum König (ihrem Vater) oder den Zauberring, der dem Drachen entwendet werden muss. In all diesen Fällen widerspricht das Konstatieren eines ödipalen Handlungsverlaufs nicht der Logik der Handlung, sondern ergänzt und vertieft sie vielmehr. Beispielsweise bedeutet die Identifizierung des »Mangels« als »Kastrationsangst« lediglich, dass man das Objekt der Begierde oder den abwesenden Gegenstand mit einer Überschreitung in Verbindung bringt: Wenn ein Held in einer aristotelischen Tragödie wissentlich oder unwissentlich ein Gesetz verletzt hat, wodurch Konsequenzen entstehen, denen er sich stellen und die er durch seine Handlungen wiedergutmachen muss, dann ließe sich psychoanalytisch gewendet auch sagen, dass seine Handlungen darauf abzielen, sich selbst gegen die Furcht vor der (Geschlechter-)Differenz zu schützen, indem er durch Fetischobjekte und ein narzisstisches Aufwerten seiner eigenen körperlichen Identität Kompensation übt. Ein Film wie DIE HARD ist ein bemerkenswertes Beispiel für diese Art von Logik: McClane häuft eine Reihe von Fetischobjekten an und zeigt eine auffallende Neigung, sich mit seinem Körper zu beschäftigen. So sehr, dass wir diese Merkmale auch noch einmal als »postklassisch« untersuchen müssen, wenn wir darunter weniger das Nicht- oder Anti-Klassische verstehen als vielmehr das exzessiv Klassische, das »Klassische plus«.

Andererseits könnte man sich auch auf die abstrakteste und allgemeinste Ebene der klassischen Erzählung berufen und die Logik der Handlungen zusammenfassen als ein Umkreisen einer Störung oder Übertretung, gefolgt vom Schließen einer Lücke und der Rückkehr zu einem veränderten Status quo ante. Ein noch einfacheres Schema wäre zu sagen, dass jegliche narrative Konstruktion vollständig ist, wenn sie aus einer dreiteiligen Struktur besteht: ein Zustand des Gleichgewichts, gefolgt von einem Ungleichgewicht, das bearbeitet wird, bis ein neues Gleichgewicht hergestellt ist. Auch dieses Schema würde auf die Situation in DIE HARD zutreffen: Das Gleichgewicht ist die Kernfamilie (und darin die traditionellen Rollen von Mann und Frau), das durch Hollys Umzug nach Los Angeles gestört ist (die dadurch die männliche Rolle des Ernährers übernimmt). Dieses gestörte Gleichgewicht wird »bearbeitet« (Holly wird tödlicher Gefahr ausgesetzt, McClane kommt ihr zu Hilfe), bis ein neues Gleichgewicht erreicht wird (am Ende kontrolliert McClane die Situation, und Holly ist vermutlich bereit, ihn wieder in seiner Rolle als Oberhaupt der Familie zu akzeptieren).

Deshalb ist es eine der Aufgaben der textuellen Analyse – eine der Hypothesen bei der Filmanalyse – zu fragen: Worin besteht die Natur des Ziels, was ist der fehlende Gegenstand, der Mangel oder die Störung/Übertretung in diesem Film? Nach Lévi-Strauss: Was ist das »reale Problem«, für das die Filmerzählung eine imaginäre Lösung anbietet?

Hier scheinen die wichtigsten formalen Ressourcen des klassischen Films seine jeweiligen Möglichkeiten zu sein, verschiedenartige Symmetrien, Asymmetrien und Wiederholungen zu generieren, ob in der Form von Spiegelungen und Verdoppelungen, Teilungen und Umkehrungen, Echos und Parallelen. Bellour hat dieses Merkmal ins Zentrum seiner Art der textuellen Analyse gerückt (in seinen Essays zu THE BIRDS [Die Vögel; 1963; R: Alfred Hitchcock], GIGI [1958; R: Vincente Minnelli] und THE LONEDALE OPERATOR [23]). In der Analyse einer Sequenz aus THE BIRDS, in der Melanie (Tippi Hedren) mit einem Paar Liebesvögeln die Bodega Bay überquert, gelingt es Bellour zu zeigen, wie verschiedene Arten von Symmetrie, Asymmetrie und Alternation die Szene in eine kohärente Aussage strukturieren, einfach durch den Einsatz von drei binären Begriffspaaren: bewegte Kamera / statische Kamera, »Melanie schaut« / »Melanie wird angeschaut« und Nahaufnahme / weite Einstellung. Vincente Minnellis GIGI betrachtet Bellour im Ganzen und zeigt sorgfältig, wie die einzelnen Sequenzen in einer exakt symmetrischen Form organisiert sind, sodass sich der gesamte Film in sich selbst faltet wie eine komplizierte Origamifigur, aber sich zugleich auch durch relativ einfache Bausteine nach außen faltet, die wie Themen und Variationen in der Musik fungieren und eine in sich geschlossene und doch scheinbar linear fortschreitende Erzählung aufbauen. Der Film ist nicht nur wie ein Gedicht konzipiert, insofern jede Sequenz sich auf eine andere Sequenz reimt, sondern es stellt sich sogar heraus, dass einzelne Sequenzen die gleiche Struktur haben wie der Film als Ganzes. Mit anderen Worten: Der Film wiederholt sich auf verschiedenen Ebenen wie die Morphologie einer Pflanze oder die Fraktale der Mandelbrot-Menge, die Computer (und die Natur) aus sehr einfachen Formen und Programmen erzeugen.

Am Beispiel von Griffiths THE LONEDALE OPERATOR zeigt Bellour, dass der narrative Hollywoodfilm durch den – wie er es nennt – »Wiederholungs-Auflösungs-Effekt«, seine mikroanalytische Adaption von Lévi-Strauss’ Gleichung mit mehreren Unbekannten, fortschreitet und zum Abschluss kommt. Die allzu häufigen und beharrlichen Symmetrien des klassischen Films sind tatsächlich nicht nur Ornament oder »formales Spiel«, sondern die unabkömmlichen semantischen und syntaktischen Bausteine, die die Erzählung zur textuellen »Arbeit« benötigt, um einen ästhetischen Effekt (Kohärenz, Homogenität, natürliche und organische Einheit) zu erzeugen, der zugleich als ideologische Arbeit fungiert (die Naturalisierung verschiedener Typen kultureller Widersprüche). Diese Arbeit lässt sich auf zwei Arten beschreiben. Erstens ist es dieser Wiederholungs-Auflösungs-Effekt, der die zwei unterschiedlichen Ebenen, die ich oben erwähnt habe – die Oberflächen- und die Tiefenstruktur –, miteinander versöhnt oder unsichtbar macht. Während ein Hollywoodfilm auf der Oberfläche mit seiner unnachgiebig nach vorne preschenden Energie beeindruckt, angetrieben von der Logik von Ursache und Wirkung, dem Schlagabtausch und dem Ineinandergreifen von Mittel und Zweck, bewegt sich auf der symbolischen Ebene eigentlich gar nichts, und die Narration wiederholt einfach nur endlos die gleiche Konfiguration, so als laufe der Film – oder sein Protagonist – immer wieder gegen die Wand.

Bellour nennt dies »symbolische Blockade« und verbindet diese mit dem Ödipuskomplex, nach dem sowohl Männer als auch Frauen lernen müssen, innerhalb des patriarchalen Gesetzes und der darin implizierten Ungleichheit der Geschlechter zu leben. Die Logik des rationalen Handelns und die Logik des Verlangens sind deshalb zwei Seiten derselben Medaille, die uns helfen, mit den Widersprüchen unserer Kultur und den Bedingungen der menschlichen Subjektivität/Identität fertigzuwerden. Der Vorteil von Bellours Formel besteht darin, dass sie eine Mikroanalyse der stilistischen Mittel des klassischen Hollywoodkinos mit einer Makroanalyse der kulturellen Bedeutung und der »zivilisierenden« Leistung von Hollywood verbindet. Diese schätzt er so hoch ein wie die griechische Mythologie und den realistischen Roman, insofern alle drei ästhetisch befriedigende, sich selbst genügende und sich selbst regulierende »Universen« darstellen, die nicht nur perfekt die Weltanschauung der Perioden oder Nationen, die sie erzeugt haben, zum Ausdruck bringen, sondern darüber hinaus auch einen Wert und eine Wahrheit selbst für jene enthalten, die nicht (noch nicht, oder nicht länger) diesem Wertesystem oder dieser Ideologie anhängen.

Bis zu einem gewissen Grad befindet sich die neoformalistische Analyse der klassischen Erzählung in Übereinstimmung mit Bellours Einschätzungen und geht vielleicht sogar darüber hinaus mit dem Argument, dass es eine natürliche Konvergenz gibt zwischen den formalen Charakteristika der klassischen Erzählung und der Organisation des Gehirns: dass die Prinzipien des Geschichtenerzählens in Hollywood der perzeptuellen und kognitiven Organisation des menschlichen Gehirns nachempfunden seien, womit sich sowohl die Langlebigkeit der Form wie auch die Universalität ihrer Anziehungskraft erklären ließe.

Für diejenigen, die eine solche »wissenschaftliche« Erklärung ablehnen und für ahistorisch und ideologisch blind halten, gibt es noch eine andere Art, die »Arbeit« der klassischen Narration mit ihrer formalen Semantik zu betrachten, die so deutlich auf Symmetrie und Wiederholung beruht. Denn diese Stilmittel verhüllen und naturalisieren eben die Tatsache, dass es sich um eine Semantik und Rhetorik handelt – soll heißen, dass diese Bilder von fiktionalen Charakteren, ihren Handlungen, Reaktionen, ihrem Kräftemessen und ihren Siegen auch Botschaften enthalten, die an jemanden gerichtet sind mit der Erwartung, zu überzeugen und Zustimmung einzufordern. Das Entschlüsseln dieser Botschaften und die damit verbundene Positionierung der Rezipienten war dann auch das Ziel derjenigen, die die Ideologiekritik des klassischen Hollywoodfilms als Instrument des Kapitalismus und des bürgerlichen Wertesystems dahingehend radikalisierten, dass sie bestimmte Filme und Genres in Verbindung brachten mit den Argumenten der feministischen Gesellschaft- und Geschlechterkritik. Zur antibürgerlichen Dekonstruktion kam der Vorwurf hinzu, das klassische Kino perpetuiere Geschlechter-Stereotypen und verstärke die Ungleichheit der Geschlechter nicht nur durch die Betonung der heterosexuellen Liebesgeschichte, sondern durch die stilistischen Mittel selbst, die das Aufrechterhalten der Kontinuitätsmontage garantieren, vor allem die Schuss-Gegenschuss-Anordnung und der eyeline match, die zusammengenommen das visuelle Feld in die geschlechtlichen Oppositionen von »Sehen« und »Gesehen werden« trennen. In den 1990er Jahren wurde diese Lesart der klassischen Erzählung wiederum abgelöst durch eine breitere historische und kulturelle Kritik, die »Rasse« zu den vorhergehenden kritischen Paradigmen der ideologischen und feministischen Kritik hinzufügte, die nun als »Klasse« und »Gender« figurierten. Ich werde auf diese drei kritischen Themen oder »Diskurse« zurückkommen, denn ihre gemeinsame Anwesenheit in DIE HARD ist Teil meiner Hypothese über die mögliche Definition des postklassischen Kinos als gleichzeitige Verschärfung und Dekonstruktion des klassischen.

Die Logik der Handlungen: Mikroanalyse

Eine vollständige Analyse von DIE HARD im Geist von Bellour oder Bordwell würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Deshalb nehme ich mir zunächst nur eine, wenn auch längere Passage – den Anfang – vor und wähle dann eine Art der Segmentierung, die zwischen speziell filmischen Elementen (Ton, Bild und Raum, Kamerabewegungen und visuelle Komposition) und nicht filmspezifischen Kategorien abwechselt, so etwa Charaktereigenschaften (gewalttätig/verletzlich, versorgend/machohaft), räumliche Kategorien (Innen/Außen, Ankunft/Abfahrt) oder kulturell und sozial kodierte Rollen (Ehemann/Ehefrau, Mutter/Vater, Vorgesetzte/Untergebene). Damit bewege ich mich zwischen den Mikroanalysen einer einzelnen Sequenz oder einzelner Einstellungen, wie sie Bellour mit THE BIG SLEEP (Tote schlafen fest; 1946; R: Howard Hawks) vorexerziert hat [25], aus dem er zwölf Einstellungen seziert, um deren inneren Zusammenhalt zu verdeutlichen, und den Makroanalysen eines Christian Metz, der in seiner grande syntagmatique Einstellungen verschiedener Art hierarchisiert und die Ordnung ihrer Kombination spezifiziert26.

Neben Bellour hat auch Stephen Heath ganze Filme vergleichbaren und ebenso einflussreichen Mikroanalysen unterzogen, mit der Absicht, exemplarische und allgemeingültige Modelle der textuellen Analyse zu entwickeln (etwa anhand von TOUCH OF EVIL / Im Zeichen des Bösen; 1958; R: Orson Welles27). Beide Autoren sind zu recht ähnlichen Schlussfolgerungen darüber gelangt, was jenseits der individuellen Autorschaft entweder die Homogenität des klassischen Hollywoodsystems beweist oder die problematischen Grundannahmen ihrer Methoden bestätigt. So jedenfalls würden es die Kritiker sehen, unter denen sich vor allem David Bordwell, Noël Carroll und Edward Branigan mit Heaths Arbeiten auseinandergesetzt haben. Deren nicht minder detaillierte textuelle Analysen bestimmter Filme und Sequenzen arbeiten mit kognitivistischen statt mit psychosemiotischen Modellen und zielen vor allem auf die Frage, wie es kommt, dass wir Bilderfolgen als Kausalzusammenhänge und Handlungsabläufe verstehen können (siehe Bordwells Analyse von REAR WINDOW [Das Fenster zum Hof; 1954; R: Alfred Hitchcock]28 oder Branigans Lesart von HANGOVER SQUARE [1945; R: John Brahm] 29). Bordwell hat daneben auch genaue stilistische Analysen von Einstellungen – oft auf vergleichender Grundlage – präsentiert, in denen er versucht, die größeren Systeme hinter kompositorischen Entscheidungen zu beschreiben wie etwa Vordergrund/Hintergrund, Raumtiefe, Figurenplatzierung und das Inszenieren von Handlungen30.

2. Klassische Analyse von DIE HARD

Beginnen soll die »klassische« Analyse von DIE HARD mit einem kurzen Überblick des Vokabulars, das sich in den Feuilleton-Kritiken zum Film findet, bevor auf wissenschaftlichere Begriffe rekurriert wird, die vor allem der strukturalistischen Methode entlehnt sind. Thierry Kuntzels Analyse von THE MOST DANGEROUS GAME (Graf Zaroff – Genie des Bösen; 1932; R: Ernest B. Schoedsack, Irving Pichel), einem Genrefilm der frühen 1930er Jahre, ist hierfür exemplarisch, eine Art Zusammenfassung des formalen Analyseansatzes zum klassischen Hollywoodfilm, die gleichzeitig ideologische Motive anspricht: Kuntzel vertritt die Meinung, das narrative Kino »bearbeite« im oben diskutierten Sinne soziale oder ideologische Komplexe31; er hat sich die Debatten um Propp, Lévi-Strauss und Greimas angeeignet, die narratologischen Entwicklungen um Roland Barthes und Gérard Genette verfolgt und auch den filmspezifischen Codes, die von Metz und Bellour identifiziert wurden, gebührende Beachtung geschenkt. Darüber hinaus hat er sich Sigmund Freuds Modell der Traumarbeit vorgenommen, um einige der Schlüsselkonzepte, wie Kondensation, Verdrängung und Rücksicht auf Darstellbarkeit, für die Filmanalyse nutzbar zu machen.

Kritiken

Wie erwähnt, betrachtet man DIE HARD im Allgemeinen als paradigmatisch für den neuen Hollywood-Action-Abenteuerfilm. Der Film wurde bei seinem Start im Juli 1988 mit den Stallone-Filmen, den Schwarzenegger-Filmen (zum Beispiel PREDATOR; 1987; R: John McTiernan) und mit dem »gemischtrassigen« Buddy-Film (zum Beispiel die LETHAL WEAPON-Serie; 1987-98; R: Richard Donner) verglichen und damit einem Genre oder Subgenre zugerechnet, das Filmkritiker abschätzig als male rampage film (»männlicher Randalefilm«) bezeichnet haben, als ziemlich hirnlosen Spaß also – diese Meinung findet sich in ähnlicher Form in den meisten Premierenkritiken.

[Bild 3: Bloß ein male rampage film? DIE HARD]

Bei der Beschreibung der Action greifen die Zeitungskritiken, stereotyp, aber konsistent, auf gängige Begriffe und Metaphern der Geschwindigkeit, der Maschinenenergie und der (physischen und pyrotechnischen) Gewalt zurück, gelobt wurden die »Stunts«, die »Spezialeffekte« und die »erstaunliche Ingenieursleistung«; der Film habe die Wirkung eines »Presslufthammers« und sei ein »logistisches Wunder«, Willis halte »das Steuerrad fest in der Hand« und sei bereit, »die Zündschnur anzustecken«. Die (für gelungen befundenen) Actionsequenzen wurden gegen das Drehbuch ausgespielt, »ein Monument der Unlogik« mit »unverbindlichen und unfokussierten« einleitenden Sequenzen, während bestimmte Figuren als »Produkt des Idiotenplot-Syndroms« bezeichnet werden, die am Ende »buchstäblich vor der Kamera aufmarschieren, um ihre jeweiligen Plotlinien zu beenden«. Konstatiert wurde ein Gegensatz von (beeindruckendem) Spektakel und (inkompetent konstruierter) Handlung, den Filmemachern wurden schamlose kommerzielle Absichten ohne weitergehende Ambitionen unterstellt: Der Regisseur sei unverfroren in seinen Manipulationen und gebe dem Studio, was es verlangt, »eine idiotensichere, gelddruckende Sommerattraktion«.

Auch wenn solche Kritiken die (aristotelische) Sprache des Drehbuchautors zu sprechen scheinen, passt ihre Argumentationsweise doch auch in das strukturalistische Modell, weil die verwendeten Kontraste beinahe alle in binären Paaren organisiert sind; Spektakel vs. Handlung, Kommerz vs. Kunst, aalglatte Sprache vs. witzige Pointen, gute Darstellungen vs. minimale schauspielerische Anforderungen. Ein (polemischer) Weg für die Definition des Übergangs vom klassischen zum postklassischen Kino ist in diesen Kritiken bereits enthalten, nämlich der unvorteilhafte Vergleich der angeblichen Abwesenheit von (narrativer) Substanz mit dem Feuerwerk von Spezialeffekten, eine Reihe Achterbahnfahrten, von denen sich die Kritiker schließlich doch beeindruckt zeigen.

Ein einfacher Weg, die Schwelle der polemischen Unterscheidung zwischen Spektakel und Handlung zu überschreiten, wäre die Frage, ob sich DIE HARD noch in den Kategorien des klassischen narrativen Kinos, die oben aufgelistet wurden, diskutieren lässt. Ergibt der Film Sinn als psychologisch motivierte Handlung, die einer Ursache-Wirkungs-Logik folgt und den drei Einheiten anhängt? Wird der Film kohärent erzählt, sodass die Verteilung des Wissens (wer weiß was zu welcher Zeit und wie) dem Verständnis und der Manipulation von Erwartungen, die als »Suspense« bekannt ist, dient? Oder können wir den Film mit dem strukturalistischen Modell erläutern, die ödipale Logik verfolgen, die binären Oppositionspaare erkennen, die sich als System von semiotischen Beschränkungen nachzeichnen lassen, und beurteilen, ob diese die von Bellour analysierten Transformationen durchmachen, nach dem Schema Wiederholung (repetition) und Auflösung (resolution)?

Die Antwort darauf lautet, wie bereits angedeutet: Ja, beide Modelle lassen sich sinnvoll auf den Film anwenden. DIE HARD ist ein klassisch konstruiertes, dreiaktiges Szenario; das Buch ist nach professionellen Maßstäben geschrieben, und die Bewegungen, Charaktermotivationen und plot points sind sorgfältig ausgearbeitet. Die Narration (das heißt die Wissensperspektive) ist konsistent und konzentriert sich hauptsächlich auf den Protagonisten (restricted/begrenzt in Bordwells Terminologie). Die Geschichte hält eine beeindruckend geschlossene Einheit von Handlung, Ort und Zeit aufrecht, sie umfasst etwa zwölf Stunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am Heiligabend an einem einzigen Ort in Los Angeles. Eine detaillierte Segmentierung würde darüber hinaus zeigen, wie sich der Film sowohl an Bordwells als auch an Bellours Regeln hält, die die Beziehung zwischen der Transparenz und dem »Offensichtlichen« der dramatischen Szenen auf der einen Seite und der kodierten, elaborierten, stilisierten Art ihrer Darstellung auf der anderen bestimmen. Ich habe bereits den ödipalen Handlungsverlauf des Films und die Bildung des Paares angedeutet, wie auch die charakterzentrierte Kausalität und die doppelte Plotstruktur. Was der Plot vielleicht an Glaubwürdigkeit und Plausibilität vermissen lässt (doch an welchen Standards misst man diese im Action- und Abenteuer-Genre?), macht er in seiner semantischen Textur wieder wett, mit seinem insistenten Kreisen um die männliche weiße Identität und um die Geschlechterdifferenz auf der symbolischen Ebene und mit seinen zahlreichen Verweisen auf aktuelle Identitäts-Themen wie »Rasse«, Klasse, Gender und Nation. Doch gerade weil ein Teil dieses »Exzesses« rund um das »Offensichtliche« derart in den Vordergrund gerückt wird (nicht nur in den Actionszenen) und weil der Film bisweilen ein besonderes Wissen um seine eigenen Genre-Konventionen zur Schau stellt (er witzelt darüber, ein Remake von HIGH NOON [Zwölf Uhr mittags; 1952; R: Fred Zinnemann] zu sein, und entlarvt den Bösewicht Gruber als ignoranten Snob, der glaubt, John Wayne – und nicht Gary Cooper – habe darin die Hauptrolle gespielt), liegt die Vermutung nahe, dass seine »ideologische Arbeit« rund um die Modethemen der »Identitätspolitik « weniger unterbewusst verdrängt als vielmehr bewusst dargestellt und präsentiert wird. Dieses sind zusätzliche Gründe, DIE HARD als Beispiel nicht nur für das »klassische«, sondern auch für das »postklassische« Erzählkino zu verstehen, eine These, deren Implikationen ich im zweiten Teil der Analyse auf den Grund gehen will.

Die Anfangssequenz

Die Anfangssequenz eines Hollywoodfilms nimmt fast immer eine privilegierte Rolle ein, denn sie ist jener Teil, der die Logik des Systems vorstellt. Sie gibt ein Rätsel auf, präsentiert ein Dilemma, stellt ein Paradox vor, worauf der Film als Ganzes dann eine Antwort, eine Lösung zu geben vorgibt. Eröffnungen von klassischen Filmen ähneln Gebrauchsanweisungen. Die Gebrauchsanweisung findet man, wenn man ein neues Gerät auspackt. Sie gehört zur Verpackung, aber ist gleichzeitig auch wieder kein Teil von ihr: ein Metatext. Auf ähnliche Weise kann man die Eröffnung eines Films als besonderen Fall eines Metatextes betrachten: Sie stellt uns die Regeln des Spiels vor, zeigt uns, wie ein Film gelesen werden will und wie er verstanden werden soll. Doch zugleich ist sie Teil der filmischen Erzählung, indem sie normalerweise die Rahmenbedingungen, den Ort und die Zeit etabliert wie auch die oder den Protagonisten vorstellt. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von einer Gebrauchsanweisung, die üblicherweise ein Text über ein Objekt ist, während die Eröffnung eines Filmes aus dem gleichen »Material« besteht wie das Objekt selbst. Tatsächlich ist sie für die meisten Zuschauer nicht vom (restlichen) Film zu unterscheiden. Um den speziellen textuellen und metatextuellen Status der Eröffnung eines klassischen Films zu markieren, haben Kritiker eine Reihe von Metaphern bemüht. Beispielsweise ist die Anfangssequenz als eine »Verdichtung« oder »Kondensation« des Films verstanden worden. Ein anderer Begriff dafür lautet mise-en-abyme – buchstäblich ein Ausloten von Abgründen. Ursprünglich verwendet wurde der Terminus in der mittelalterlichen Wappenkunde und in barocken Bilderrätseln; allgemein verweist er auf eine besondere Art der Selbstreferenz, eine »Lenkung der Aufmerksamkeit auf sich selbst«. Angewandt auf eine Anfangssequenz, bezeichnet er die Ökonomie der stilistischen und semantischen Mittel, mit denen ein klassisches opening die Vorstellung eröffnet und häufig den ganzen Film in Kürze (in einer anderen Form oder anders kodiert) präsentiert.

Es ist dieser Effekt der Verdichtung oder des »Faltens« einer größeren Einheit in die Eröffnung, die Thierry Kuntzel dazu brachte, sich in seinen Essays über THE MOST DANGEROUS GAME und über M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931; R: Fritz Lang), die er gemeinsam Le Travail du film (Die Arbeit des Films) betitelte, Freuds Trauminterpretation zuzuwenden. Wenn wir uns den Traum als einen Text vorstellen, dann ist sein hervorstechendes Merkmal, dass er wie eine normale Geschichte wirken, visuell kohärent und sogar logisch sein kann, nur dass diese äußerliche Normalität dazu dient, eine andere Bedeutungsebene zu verschleiern, auf der unterbewusstes Fantasiematerial verhandelt wird. Andererseits kann ein Traum auch aus sehr intensiv erlebten Szenen oder Abschnitten bestehen, die keinen zusammenhängenden Sinn erzeugen. Diese Spannungen zwischen den offenen und den verdeckten Bedeutungen eines Traums brachten Freud darauf, eine Reihe von transformativen Prozessen zu postulieren, die von ihm »Traumarbeit« genannt wurden. Die wichtigsten Prozesse behandelte Freud unter Schlagworten wie »Verdichtung«, »Verschiebung«, »Rücksicht auf Darstellbarkeit« sowie »Deckerinnerung«, »Wunscherfüllungs-Fantasie« und »sekundäre Bearbeitung«. Mit diesen von Kuntzel übernommenen Stichwörtern soll nun der Anfang von DIE HARD betrachtet werden, nicht zuletzt, um das Urteil eines Kritikers zu überprüfen, der diese Szenen für »unverbindlich und unfokussiert« hielt.

Eingang (in den Film, die Fiktion, die Charaktere)

Die Eröffnung von DIE HARD beginnt mit John McClanes Landung in Los Angeles, setzt sich fort, als er durch die Empfangshalle geht und Zeuge wird, wie andere Passagiere von ihren Frauen oder Freundinnen willkommen geheißen werden, danach sein Gepäck zurückerhält und vom Nakatomi-Fahrer Argyle (De’voreaux White) abgeholt wird (mit dem er über seine Familie, Weihnachtsmusik und die angemessene Höhe des Trinkgeldes diskutiert) und schließlich am Eingang zum Hauptquartier des Unternehmens abgesetzt wird. Die Sequenz wird also gerahmt von zwei Ankünften (am Flughafen und am Nakatomi Tower), doch dieser visuelle Reim wird vorbereitet und rhythmisiert durch eine Reihe »flüchtiger Begegnungen«: mit dem Passagier im Flugzeug, mit der Stewardess auf dem Weg nach draußen, mit einer blonden Frau in weißer Hose, von der er einen Moment glaubt, dass sie ihn anlächelt, mit dem schwarzen Chauffeur Argyle und, nach seiner Ankunft im Tower, mit dem Sicherheitsbeamten, mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Nakatomi und schließlich mit Holly, seiner Frau.

Diese Begegnungen strukturieren die Sequenz nicht nur in kleinere Handlungseinheiten, zeichnen eine Art narrativen Weg von McClane nach, sondern spielen uns auch Informationen über McClane als Charakter zu: Obwohl er im Flugzeug reist, hat er eine Pistole; er wirft gern ein Auge auf Frauen (und sie auf ihn), er ist enttäuscht, dass Holly zu beschäftigt war, um ihn persönlich abzuholen (deshalb sein Irrtum bezüglich der blonden Frau), und sie ist – im Vergleich zu seinem Status als Polizist aus New York – offensichtlich eine wichtige Person im Unternehmen, wenn sie einen Fahrer schicken kann. In der Unterhaltung mit Argyle teilt uns McClane mit, was sein Problem ist (er ist von seiner Frau getrennt und leidet darunter) und wie er es zu lösen gedenkt (indem er mit seiner Frau und der kleinen Tochter Weihnachten verbringt, die perfekte Zeit für familiären Frieden und Versöhnung). McClanes sperrigstes Gepäckstück ist ein riesiger Teddybär, der auf das Thema vom »Weihnachtsmann« vorausweist, das später wichtig werden wird. Als Abschluss der Eröffnungssequenz und zu deren Markierung als unabhängiger Einheit, einer Art Mini-Erzählung, gibt Argyle, als er McClane absetzt, folgende Prognose: »Sie werden sich beide in die Arme fallen, dazu leise Musik, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. [...] Wenn alles gut läuft, dann rufen Sie mich im Wagen an, ich bringe dann Ihr Gepäck zum Empfang. Und wenn nicht, dann bringe ich Sie schon irgendwo unter.«

[Bild: 4-7: Wiederholung und Umkehrung: »Ich mach’ den Job schon seit elf Jahren.«]

Wiederholung, Alternation, Umkehrung

Bereits in der Eröffnung lassen sich eine Anzahl formaler Wiederholungen beobachten, wie die Reihung von Begegnungen mit zweitrangigen oder scheinbar irrelevanten Figuren, die überflüssig erscheinen, insofern einige nur dieses eine Mal im Film auftauchen und wenig zum Plot beizutragen haben, und die doch in gewisser Hinsicht unabkömmlich sind. Denn neben der Funktion, uns etwas über den Protagonisten mitzuteilen oder ihm die Möglichkeit zu geben, uns etwas über seine Absichten und Ziele zu erzählen, existieren sie auch, um uns auf das Prinzip der Wiederholung selbst aufmerksam zu machen. In einem Fall, den wir gleich untersuchen werden, der Unterhaltung mit seinem Sitznachbarn, nimmt seine Äußerung die narrative Lösung vorweg, allerdings in verrätselter und hochgradig kodierter Form. Das Prinzip der Wiederholung als Alternation und Umkehrung wird in dieser Eröffnungssequenz noch zweimal aufgenommen. Einmal, als der Passagier zur Entgegnung auf McClanes erstaunten Blick, nachdem dieser seinen Rat vernommen hat, was man am besten gegen Flugangst tun kann, antwortet: »Glauben Sie mir, ich mache das schon seit neun Jahren.« Diese Formulierung wiederholt McClane – mit einer kleinen, aber bedeutsamen Veränderung – direkt danach als Reaktion auf den erstaunten Blick seines Sitznachbarn, der McClanes Waffe in seinem Schulterhalfter gesehen hat, als er sich nach seinen Sachen im Gepäckfach streckt: »Ist schon o.k., ich bin Bulle. Glauben Sie mir, ich mach’ den Job schon seit elf Jahren.« Der zweite verbale Austausch der Eröffnung ist genauso aufgebaut. Als Argyle, der ihn beinahe verfehlt hätte, entschuldigend sagt: »Ich fahre nämlich zum ersten Mal eine Limousine« (als Fahrer), wiederholt McClane den Satz und versichert Argyle, dass auch er zum ersten Mal eine Limousine fahre (als Passagier). Neben der Charakterisierung von McClane als schlagfertig und neunmalklug (wofür ihm auch bald die Quittung erteilt wird) dient der verbale Schlagabtausch auch dazu, auf das Prinzip der Wiederholung »aufmerksam zu machen« (und damit als ihre mise-en-abyme zu fungieren).

Figuren und Funktionen: Übertragung und Ersetzung

Die Frage der vermeintlich überflüssigen Figuren bringt uns zum Thema, mit wem und womit sich der Zuschauer identifiziert und was in einer klassischen Erzählung die Funktion solcher Figuren ist. Zum einen kann man sie in den Begriffen von Propp beschreiben: Statt Zentren der Autonomie und Handlungsfähigkeit sind sie Relais, Vehikel und Übertragungen. Sie können eine Verschiebung signalisieren, oder sie können eine Kette von Substituten initiieren. In dieser Funktion werden sie von der mise en scène und der Narration unterstützt, also von den formalen Elementen der Gestaltung, der Kameraarbeit und der Lenkung der Aufmerksamkeit. In der Eröffnung von DIE HARD steht die Kamera offensichtlich im Dienste der Narration, wenn sie plot points hervorhebt und die Verteilung von Wissen manipuliert. Nach einer einleitenden Schuss-Gegenschuss-Szene bei der Unterhaltung mit dem Sitznachbarn, die im klassischen Continuity-Stil mit Schnitten auf die Blickachsen montiert ist, scheint die Kamera ein eigenes Leben anzunehmen und sich teilweise von McClane unabhängig zu machen. Dann nimmt sie aber auch wieder seinen optischen Standpunkt ein, womit sie den Zuschauer denselben Fehler machen lässt wie ihn, um schließlich geschickt zu Argyles Perspektive zu wechseln, wobei der Schnitt durch dessen Beinahe-Kollision mit einer Reihe von Gepäckwagen unsichtbar gemacht wird. Durch einen dreifachen mimetischen Prozess der Äquivalenz (oder der Verdoppelung, wie Raymond Bellour es nennen würde) nimmt die Kamera nacheinander unterschiedliche Blickpunkte ein, wobei sie aber die Übergänge geschmeidig vornimmt. So bleiben die Figuren als Fokus der Aufmerksamkeit erhalten, während McClane sich durch diesen Raum bewegt. Erzähltechnisch wird diese Bewegung durch die Logik der Ereignisse und ihren Code der Glaubwürdigkeit determiniert: was man tut, wenn man aus dem Flugzeug steigt und im Flughafen ankommt. Figurativ lenkt die Kamerabewegung die Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte (wie den großen Teddybären, den McClane als Handgepäck mitnimmt). Symbolisch elaboriert sie die Funktion von Figuren als Stellvertretern: Die Frau in Weiß steht für die abwesende Holly, der unerfahrene Fahrer Argyle für McClane, der in der Welt der Firmenvorstände unerfahren ist.

Zweimal wird die Kamerasicht über eine Großaufnahme der Hauptfigur zugesprochen: einmal in der Form eines Objektes als subjektive Einstellung (der übergroße Teddy) und einmal als Gesicht (die lächelnde Frau, selbst wieder eine Wiederholung der lächelnden Stewardess, die McClanes auffordernden Blick gesehen hatte). Die zweite Großaufnahme konnotiert eine Situation der heimlichen Übereinkunft und Teilnahme, in die der Zuschauer durch Interferenz impliziert ist: Einmal wissen wir mehr als McClane (wir sehen, was die Stewardess sieht), und einmal wissen wir genauso wenig wie McClane (auch wir denken, dass die Frau in Weiß ihn anlächelt). Die Einstellungen verschaffen uns also nicht nur Zugang zum Gesichtsfeld der Charaktere, was durchaus irreführend sein kann, sondern auch zu den Absichten, geheimen Plänen und Gedanken der Figuren, auf die wir über die hervorgehobenen Objekte schließen. Die Übertragung findet von der Kamera zum Objekt statt, doch die Bedeutung der Einstellung hat nur wenig mit dem Objekt zu tun, weil das Objekt selbst nur ein Stellvertreter ist, ein Substitut: für die Motivation, die inneren Gedanken und die Reaktionen der Figuren.

Generell gesprochen, schreitet die Handlung in einer klassischen Hollywooderzählung wie dieser fort, indem sie uns am Erleben der Protagonisten beteiligt. Dies geschieht fortlaufend und durch Übertragungen, wobei Gegenstände hierbei ebenso eine Rolle spielen wie der Dialog, um so die zukünftigen Handlungsräume anzudeuten, und zweitrangige Figuren die Hauptfiguren durch Äquivalenzfunktion spiegeln. Eine Unterkategorie dieses Modus der Übertragung ist das sogenannte »erotetische« Prinzip von Frage und Antwort, in der eine Szene implizit die vorhergehende »beantwortet«. So dreht beispielsweise Holly das Foto von McClane auf ihrem Schreibtisch nach unten – als scheinbare Antwort auf die blonde Frau, die sich am Flughafen ihrem Mann, wie es kurz aussieht, an den Hals wirft. Auch später gibt es mehrere solch ironischer Verbindungen, besonders zwischen der nicht zustande kommenden Kommunikation von McClane und Argyle (seinem selbsternannten, aber nutzlosen Helfer) und der intuitiven Kommunikation von McClane und Al Powell (seinem zunächst widerwilligen, aber entscheidenden Helfer).

[Bild 8&9: Übertragung und Ersetzung: Figuren als Stellvertreter]

Das emblematische Cluster

In einer Eröffnungsszene oder -sequenz finden wir oft ein privilegiertes Bild oder eine herausgehobene Komposition, in der sich verschiedene und heterogene Elemente in einer einzigen Konfiguration versammeln, deren Bedeutung erst in der Rückschau vollständig begriffen werden kann und die von daher eher wie ein emblematisches Bild oder eine Verdichtung verschiedener narrativer Motive funktioniert, aber auch eine zeitliche Struktur der Antizipation und der Vorwegnahme andeutet. In DIE HARD gibt es eine Reihe solcher Konstellationen, die wichtigste darunter ist die kurze Unterhaltung zwischen McClane und dem Passagier neben ihm im Flugzeug, als sie in Los Angeles landen. Der Sitznachbar, der bemerkt, wie nervös McClane vor und während der Landung ist, gibt ihm einen Rat: »Wenn Sie gelandet sind, ziehen Sie Ihre Schuhe aus und Ihre Socken und hüpfen locker die Gangway runter und zwar barfuß, und dabei ballen Sie Ihre Zehen wie Fäuste.« Diese Aussage stellt in figurativer Form drei zentrale Oppositionen (oder Rätsel) dar, die sich die Erzählung zu lösen zum Ziel setzt: die kulturell schwierige Beziehung zwischen Männlichkeit und dem ungeschützten Körper, die angstbesetzte Beziehung zwischen Verletzlichkeit und Gewalt und schließlich die kontra-intuitive Beziehung zwischen gesundem Menschenverstand und einer Siegstrategie. Die Opposition Zehen/Faust wie auch der Vorschlag, die Socken auszuziehen, werden eine prominente – und unerwartete – Rolle im Verlauf der Handlung spielen.

Das Rätsel

Erzählungen können nach Tzvetan Todorov auf der allgemeinsten Ebene als Strukturen charakterisiert werden, die mit einem stabilen Zustand beginnen, einem Gleichgewicht, einer Balance. Dieses Gleichgewicht wird durch eine Intervention, einen Eingriff zerstört (in DIE HARD das Scheitern von John und Holly McClanes Ehe, das plötzliche Eindringen der Terroristen in die weihnachtliche Büroparty); diese Störung zu neutralisieren oder zu beseitigen ist die Aufgabe der Handlung, sodass schließlich ein neues Gleichgewicht hergestellt werden kann, das dem ursprünglichen ähnelt, allerdings signifikante Abweichungen zeigt.

Wie oben schon beschrieben, kann die Störung des Gleichgewichts auch als ein Mangel, als Wertobjekt, das verloren ist, oder als Rätsel konzeptualisiert werden. An der Oberfläche von DIE HARD handelt es sich hierbei um die Familieneinheit, die McClane wieder herstellen will. Auf der Ebene der Tiefenstruktur jedoch ist der Ratschlag des Sitznachbarn das Rätsel, nur dass weder McClane noch wir wissen, dass es sich dabei überhaupt um eines handelt. In den Begriffen unserer Analyse gehört das Rätsel deshalb zur Logik des Verlangens und nicht zur Logik des rationalen Handelns.

Der Eröffnungsszene für sich genommen enthüllt die rätselartige Natur des Ratschlags nicht. Stattdessen lädt sie uns ein, die Konstellation aus einer anderen Perspektive zu sehen – Hollys und, als Verlängerung, ihrer Firma. Nachdem McClane gelandet ist, schneidet der Film zur Weihnachtsfeier im Hauptquartier des Unternehmens, wo der Aufsichtsratvorsitzende eine Rede hält und Holly mit dem Kindermädchen und ihrer Tochter telefoniert. Aus der gemeinsamen Perspektive von Holly und den Menschen im Nakatomi-Tower stellt McClane den Eindringling dar, die Intervention, womit eine deutliche Parallele zwischen ihm und den Terroristen gezogen wird. Eigentlich treten diese erst im nachfolgenden Segment in Erscheinung, wenn sie die Empfangshalle in Besitz nehmen, ins Gebäude eindringen und die Weihnachtsfeier platzen lassen. Doch versteckt sind sie schon zuvor zweimal zu sehen. Nachdem McClane seine Frau gefragt hat, ob er sich kurz frischmachen kann, schneidet die Kamera auf einen großen, unheilverkündenden Truck, den die Terroristen benutzen, um in die Tiefgarage des Firmensitzes zu gelangen. Auf diese Art etabliert der Film eine Parallele zwischen McClanes Ankunft und der Ankunft der Terroristen: Beide sind Außenseiter, beide sind störende Faktoren im Leben von Holly und der Nakatomi Corporation.

Auf symbolischer Ebene treten die Terroristen bereits in der ersten Szene in Erscheinung, nämlich im Flugzeug, als der Sitznachbar die Pistole von McClane bemerkt. Eine Pistole in einem Flugzeug kann normalerweise nur eines bedeuten: Terroristen wollen ein Flugzeug entführen, und es ist diese Schlussfolgerung, die McClanes Antwort auf dessen nervösen Blick implizit bestätigt: »Ist schon o.k., ich bin Bulle.« Auch diese Szene zieht eine Parallele zwischen den Terroristen und McClane, doch jetzt auf der Grundlage, dass er Polizist ist; eine Parallele, die die Narration später mehrfach wieder aufgreift, wenn die Polizei unabsichtlich den Terroristen – und nicht McClane – hilft.

Eine Interaktion semiotischer Beschränkungen

Eröffnungen bieten also die Gelegenheit, Oberflächen- und Tiefenstruktur sowie deren Beziehung zueinander zu identifizieren. Hier spielen die formalen-textuellen Operationen die unterschiedlichen Möglichkeiten durch, Kontinuität aus Diskontinuität zu schaffen, während sie zugleich durch Figuration und verbale Textur »angedickt« werden. Der Hollywoodtext ist »geschlossen« wie auch »offen«: Es gibt verschiedene Zugänge für ein Publikum, und viele Zeichen (oder cues) sind mehrdeutig, doch diese Ambiguität ist geplant, mehrschichtig und aus multiplen Ebenen aufgebaut. Gleichzeitig muss die Eröffnung auch als unzweideutig, formal geschlossen und syntaktisch vollständig verstanden werden können – in diesem Fall fungiert sie als spannender Auftakt des Geschehens, während sie doch ebenso die mise-en-abyme des Ganzen und kondensierte Miniaturversion des gesamten Dramas ist. Die Eröffnungssequenz von DIE HARD ist, auch wenn man sie nicht abtrennen kann, dennoch eine vollständige Geschichte, insofern das Treffen von McClane und Holly auf der Weihnachtsfeier bereits die Wiedervereinigung und Versöhnung sein könnte, die sich beide Partner offensichtlich erhoffen. Doch dieses Ende der Geschichte würde natürlich keinen Film hergeben, und zudem würde es uns keine »kulturelle« Botschaft mitteilen: Damit sie in einer Beziehung wie dieser wieder zusammenfinden, müssen die Partner daran arbeiten. In diesem Sinne ist das Eindringen der Terroristen aus der Perspektive der Geschichte von McClane und Holly nur die externe Motivation, die Notwendigkeit, die »Arbeit« an der Beziehung unausweichlich zu machen. Der Action-Abenteuerfilm wird der Ort einer Familien- und Paartherapie.

Damit sind drei Dinge angedeutet. Erstens: Das Beispiel zeigt, wie die sinnstiftende Ökonomie in einer klassischen Hollywooderzählung funktioniert – eine relativ begrenzte Anzahl von Elementen oder pro-filmischen Ereignissen wird mehreren Transformationen oder Kombinationen unterworfen, um komplexe Strukturen hervorzubringen, deren Logik recht abstrakt sein kann. Was die Motivation der Figuren und die (visuellen, verbalen, akustischen) Informationen über sie betrifft, wird der Grundkonflikt in einem Hollywoodfilm meist simpel gehalten, damit die narrative Konstruktion und die visuellen Effekte als Ganzes umso komplexer und verwickelter sein können. Und in diesem Prozess zählt alles. Alles wird in Dienst genommen, nichts wird verschwendet: Wie bei einem guten Schlachter oder einer guten Hausfrau bleiben am Ende kaum Reste übrig; die Profitabilität gleicht der einer modernen Autoproduktion, bei der sich aus einem Minimum an Komponenten mehrere Modelle montieren lassen. Das handwerkliche Geschick, das in ein Hollywood-Drehbuch einfließt, steht nicht nur im Dienst einer sauberen Dramaturgie, sondern dient auch, wie David Thomson es einmal mit Blick auf Hawks’ THE BIG SLEEP bemerkte, »der entgegenkommenden Dienstbarkeit der gestalteten Welt«. Alles ist konstruiert, geschaffen, aber scheint dabei ausreichend dicht und detailliert, um als »real« wahrgenommen zu werden, scheint gerade ausreichend »da« zu sein, um Teil eines Rhythmus von Nachgeben und Widerstand, von Konsistenz und Divergenz zu werden, damit der Eindruck entsteht, fiktive Geschichte und reale Welt passen zusammen, komplettieren sich gegenseitig durch den Fluss der Handlung.

Zweitens: Wenn man das Bildmaterial eines Films auseinandernimmt und wieder neu kombiniert, um dessen volles narratives und semiotisches Potenzial auszuschöpfen, bemerkt man, dass sich das klassische Kino vor allem auf Beziehungen von Ähnlichkeit und Differenz verlässt, dass es die rhetorischen Möglichkeiten ausbeutet, die auf der Ähnlichkeits-Differenz-Achse von Metapher und Metonymie repräsentiert werden. Manche dieser Ähnlichkeiten sind visuell und verbal, das heißt Echo-Effekte und Reime, doch andere beruhen auf einem gehörigen Maß an Abstraktion und brauchen Reflexion, um registriert zu werden. Es scheint daher eine Art von Kontinuum zu geben, das vom Perzeptuellen zum Kognitiven reicht, vom Sensorischen zum Konzeptuellen. Man kann nicht sauber auseinanderhalten, was »da draußen« im Bild ist und was »hier drinnen«, im Kopf des Zuschauers, dabei vor sich geht.

Zugleich ist es immer wieder überraschend, wie viel »Arbeit« unterschiedlichster Art (vom Drehbuch über die Inszenierung bis zum production design) selbst in die einfachste Hollywoodszene eingeht. So gibt es in DIE HARD eine scheinbar rein funktionale Szene, in der der Polizist Al Powell (Reginald VelJohnson) in seinem Streifenwagen nach dem Notruf zum Nakatomi Plaza kommt, jedoch nichts Verdächtiges bemerkt, also blind ist gegenüber den tatsächlichen Geschehnissen. Auf der Tonspur gibt es einen Hinweis auf einen blinden Sänger, »nicht Ray Charles, sondern Stevie Wonder« – und die Scheinwerfer des Autos sind an oder aus, je nachdem, aus welcher Perspektive man sie sieht, ob aus Sicht des nichts Böses ahnenden Al oder des ängstlichen McClane. Damit ändert sich auch die narrative Perspektive, in der man diese Szene jeweils sieht. Die mise en scène unterscheidet statt nur der optischen die moralische Perspektive zwischen zwei Figuren, mithilfe einer Metapher, die einigen scharfsichtigen Beobachtern als Anschlussfehler aufgefallen war. Doch keineswegs handelt es sich hier um einen Schnitzer der Continuity32. Stattdessen scheint sich der Regisseur einige Freiheiten mit der Plausibilität herausgenommen zu haben – was in einem Hollywoodfilm eher überrascht, doch Kritikern in der Tradition des Autorenfilms einst Freude bereitet hätte –, zugunsten einer intensivierten poetischen Zeichensprache und damit eines stärkeren psychologischen Tiefgangs für den Zuschauer.

Drittens: Diese »Arbeit« an der Oberflächentextur und am narrativ-thematischen Kontext eines Films entspricht nicht ganz jener »Arbeit«, auf die ich schon angespielt habe, ob man diese nun mit Freud »Traumarbeit« nennt oder nach kulturwissenschaftlichen, poststrukturalistischen oder kognitiven Kriterien als »ideologische«, »textuelle« oder »Problemlösungs«-Arbeit bezeichnet. Was ich als die Meta-Ebene identifiziert habe, die in der Eröffnungsszene (mit-)produziert wird, wäre das Resultat einer solchen »Arbeit« bestimmter Gesten und Handlungen, die – wiederholt, variiert und gegenübergestellt – eine mit Sinn gefüllte Beziehung herstellen. An diesem Punkt überschreitet die »Arbeit«, die der Film leistet, die rein binäre Struktur der Oppositionen und kann in der Form eines Syllogismus konzeptualisiert werden, der Greimas’ semiotischem Quadrat entspricht. Dieses Modell, von Greimas auch als »Interaktion semiotischer Beschränkungen« bezeichnet33, liefert ein dynamisches Bezugsgeflecht, aus dem hervorgeht, wie und warum Personen – verstanden als Funktionen und symbolische Orte, nicht als psychologisch ausgereifte Charaktere – in einer Erzählung einander behilflich oder hinderlich sein können. Das für DIE HARD maßgebliche System semiotischer Beschränkungen dreht sich so zum Beispiel um die verschiedenen (klassenspezifischen und ideologischen) Unvereinbarkeiten zwischen Familie und Heim einerseits und Arbeit und Büro andererseits, die wiederum gegenseitig bedingt sind von den (biologischen, kulturellen) Unterschieden zwischen Mann und Frau. Diese doppelte Verschränkung von Differenzen und Hindernissen erlaubt es, einen der Wendepunkte der Geschichte zu verstehen, nämlich den Moment, an dem McClane nahe daran ist, aufzugeben, und er – im festen Glauben, seine letzte Stunde habe geschlagen – Al bittet, Holly zu sagen, wie leid es ihm tue, dass er so stur war. Die Bedeutung dieser Szene für die Ebene kultureller Widersprüchlichkeit besteht darin, dass die Situation McClanes hier exakt die strukturelle Auflösung des ursprünglichen Problems, nämlich Hollys Rolle als berufstätiger Mutter, verspricht. Er ist zu einem »feminisierten Mann« geworden, dessen Körper die Male der Weiblichkeit trägt (seine blutenden Füße, denen der Film eine geschlechtsspezifische Kodierung verleiht, siehe unten), dessen emotionale Bindung an Al, den dicklichen Büropolizisten (der als nicht-phallischer Mann kodiert ist), als Abhängigkeit zu bezeichnen ist und dessen subjektiver Status in seiner Bereitschaft zur Entschuldigung besteht (wiederum kulturell als »unmännlich« gekennzeichnet). Auf der Ebene der ödipalen Tiefenstruktur ist dies der Moment, an dem er die »Kastration akzeptiert«, doch auf der ideologischen Ebene wäre es das Ende des patriarchalen Anspruchs auf Autorität, während es sich auf der Ebene der rationalen Handlungen (der Schachzüge zwischen McClane und Gruber) um den Moment der größten Gefahr handelt. Die verschiedenen Ebenen funktionieren als gegenseitige semiotische Bedingungen, aus denen heraus die Narration einen Fluchtweg für McClane erfindet, der ihm ein schrittweises Zurück zur phallischen Männlichkeit und zur Re-Legitimierung patriarchaler Werte erlaubt, bis er schließlich bei der demonstrativen Selbstevidenz seiner anscheinend ungebrochenen Macho-Identität landet. Das Greimas’sche Modell gestattet also, die semantischen und logischen Operationen präziser nachzuverfolgen, die die ideologische Arbeit ermöglichen und – das ist ein wichtiger Punkt – sie für jenen Teil des Publikums genießbar machen, der sich (unbewusst) mit McClanes Angst identifiziert und (bewusst) seine großspurige Männlichkeit nachahmt.

Wiederholung und Auflösung

Ein Teil dieser Arbeit des Films besteht, wie schon mehrfach hervorgehoben, in einer gewissen Exzessivität. Das macht DIE HARD auch zu einem Beispiel für die nach Colin MacCabe und Stephen Heath notwendige Instabilität des klassischen Systems, für das ständige Aufbrechen der Konfigurationen und das erneute Zusammensetzen. In seinem Essay Narrative Space34 zeichnet Heath die verschiedenen Arten von Exzess und Instabilität in Hitchcocks »Geometrie der Repräsentation« nach, wie man sie beispielsweise an den unterschiedlichen Funktionen zweier Gemälde in SUSPICION (Verdacht; 1941) ablesen kann. Diese notwendige Instabilität manifestiert sich in DIE HARD als Betonung der Spezialeffekte, der Pyrotechnik, der gewaltsamen Angriffe auf Körper und Gebäude. Zwar ist dies typisch für einen Actionfilm, doch wird es hier auf eine solch flamboyante und bewusste Weise inszeniert, dass man hinter dieser gewaltsamen Dringlichkeit eine gewisse Panik vermutet. Denn diese Art von physischem Exzess dient auf der Ebene der Tiefenstruktur dazu, andere Arten der Instabilität zu verschieben und zu verdecken: die schrägen »Beziehungen« sowohl der männlichen wie der weiblichen Hauptfigur, die mangelnde Kongruenz zwischen dem, was beide wollen und brauchen, ihre jeweiligen Geschlechtsidentitäten und die Asymmetrie, die den Mann aus der Arbeiterklasse und die Frau im Aufsichtsrat in Konflikt und Widerspruch bringen. Eine Lektüre nach Bellour würde die »symbolische Blockade« um die Unmöglichkeit von McClanes Akzeptanz seiner zweiten, sozialen »Kastration« (in der neuen Welt der Globalisierung) herausarbeiten, die dann das pyrotechnische Chaos in Gang setzt, eine Art Fetischhandlung, durch die er der Akzeptanz seiner ersten, originären Kastration unter dem Gesetz des Patriarchats zu entkommen hofft. Damit würde man seine Handlungen als motiviert durch Schuldgefühle über die »unerledigten Angelegenheiten« (seine Ehe, seine Aufgaben als New Yorker Polizist) bestimmen können, und es ergäbe sich daraus, dass, obwohl die klassische Erzählung offensichtlich »von« der psychosexuellen Identität des männlichen Helden handelt, der »Unruheherd Frau« ebenso im Zentrum steht. DIE HARD lässt sich in der Tat als Film verstehen, in dem die instabile Position der Frau in der Männerwelt als die »wahre« Instabilität des Systems erscheint, nicht der Postfordismus der Globalisierung (der den weißen Mann »proletarisiert«). Doch auf der Oberflächenebene ist es der Unruheherd einer bestimmten Art von Männlichkeit, der den Film vorantreibt. Eine solche Betonung des männlichen Verlangens und der männlichen Angst bedeutet, dass Maskulinität zum Motor für eine perfekt funktionierende narratologische Maschine wird, die keine Unterbrechung oder Pause kennt und in der selbst kleinste Details und Umwege unerbittlich reintegriert werden oder in der Rückschau remotiviert werden als Beitrag zum zentralen Dilemma, indem sie entweder mögliche Lösungen (die nicht eingeschlagenen Wege des Helden) oder unmögliche Lösungen (die durch den Helden vermiedenen Fallen) darstellen.

[Bild 10-12: Eine Art Fetischhandlung: Das pyrotechnische Chaos]

Eine der unmöglichen Lösungen, die der Held vermeidet, ist jene, die der Subplot um Hollys Kollegen und McClanes sexuellen Rivalen Ellis anbietet. Während Ellis vielleicht größeren Respekt für Hollys professionelle Identität aufbringt, werden seine grobe Sexualität, seine Unterwürfigkeit und sein Verrat vom Film hart bestraft. Ellis’ schlechter Charakter, der sich auch in seiner schäbigen Haltung gegenüber McClane und Holly zeigt, bestätigt retrospektiv dem Helden, dass seine kompromisslose Haltung richtig war, selbst seiner Frau gegenüber. Sich in Ellis spiegeln hieße sich aufzugeben. Eine weitere mögliche Lösung, die der Held ausschlägt, wird in der Szene des sextollen Paars vorgestellt, das auf der Suche nach einem ungestörten Ort in den Raum hereinplatzt, in dem McClane und Holly versuchen, sich zu versöhnen. Diese Handlung wiederholt sich, wenn die Terroristen hereinplatzen, und sie erhält eine doppelte Bedeutung: Sie zeigt auf scherzhaft-obszöne Art eine Option für McClane und Holly, tatsächlich sehr schnell wieder zusammenzukommen. Doch sie weckt auch die – wie sich herausstellt, falsche – Erwartung, dass es sich auch beim zweiten Mal um einen Ausbruch zügelloser Libido handelt, wenn tatsächlich eine gänzlich andere Gefahr für die Weihnachtsfeier vorliegt. Hier sorgt die Wiederholung nicht für eine Auflösung, sondern deutet eine Sackgasse (für das Paar) an. Die Arbeit an der Beziehung umfasst mehr als sexuelles Verlangen, das (wie so oft im klassischen amerikanischen Kino mit seinem puritanischen Charakter) mit zerstörerischen Konsequenzen in Verbindung gebracht wird: Der wilde Sextrieb des Paares wird direkt mit der kriminellen Energie von Gruber und seiner Bande assoziiert.

[Bild 13&14: Unmögliche Lösungen: McClanes Rivale Harry Ellis und der Streifenpolizist Al Powell]

Ein weiterer nicht eingeschlagener Weg des Helden ist das Schicksal von Al Powell, dem schwarzen Streifenpolizisten. Auf der einen Seite stehen seine Ziele in Einklang mit denen der Hauptfiguren, vor allem McClanes, sowohl als Polizist (seine Pflicht zu tun) wie als Mann (eine Familie zu haben, zu der man nach Hause kommt). Er wird auf dem Heimweg zu seiner schwangeren Frau, der er ihren Lieblingskuchen bringen will, in die Handlung verwickelt. In dieser Hinsicht ist er ein McClane ohne den Machochip, doch wir sehen den schrecklichen Preis, den er dafür zahlen muss: Er ist traumatisiert, weil er einmal einen Jungen versehentlich erschossen hat, und fristet nun sein Dasein als Schreibtischpolizist (Kurzschrift für Entmannung in vielen Hollywoodfilmen, man denke etwa an Robert Duvalls Figur in FALLING DOWN [1993; R: Joel Schumacher]), der sich als Polizist und als (Fach-)Mann erneut beweisen muss. Er präsentiert von daher die inakzeptable Lösung für McClanes Dilemma, da der sorgende Mann für dieses Genre unvermeidlich ein traumatisierter oder »kastrierter« Mann ist.

Zusammenfassung der klassischen Lesart

Nach klassischer Lesart lässt sich bei DIE HARD folgende (Makro-)Struktur aus drei Akten mit Eröffnung und Coda herausarbeiten: Die Eröffnung endet, als McClane am Nakatomi Tower ankommt, während sich gleichzeitig die Terroristen nähern. Der erste Akt endet, als McClane mit seiner Frau im Badezimmer spricht. Er ist verwundbar (ohne Hemd, Schuhe und Socken), aber nicht reuig genug, um auf Hollys doppelte Einladung einzugehen: im Gästezimmer zu schlafen (anstatt mit ihr das Bett zu teilen) und ihr Zugeständnis, dass sie ihn vermisst, anzunehmen, indem er dafür um Entschuldigung bittet, dass er ihre Karriere nicht unterstützt hat. Der zweite Akt endet mit McClane auf dem Dach, der mit Al Powell über Funk seinen möglichen Tod diskutiert und ihn bittet, seiner Frau Holly zu sagen, dass es ihm leid tue. Der dritte Akt schließlich endet mit Hans Grubers Sturz in den Tod und der Rettung von Holly (und den Geiseln). Die Coda verzurrt die losen Enden und lässt auch Al Powell die vollständige, professionelle Männlichkeit wiedererlangen. Nachdem er um ein Haar den glücklosen Argyle getötet und damit seinen traumatischen Fehler wiederholt hätte, gelingt es ihm, den beinahe unzerstörbaren Karl (Alexander Godunow) zu eliminieren. Es folgt die Umarmung der beiden Männer McClane und Al über die Rassenschranken hinweg, gefolgt von Hollys »maskuliner« Geste, als sie dem Fernsehjournalisten einen Faustschlag ins Gesicht versetzt.

Anhand der Kriterien für ein gut gebautes (Dreh-)Buch, wie sie etwa Bordwell, Staiger und Thompson zusammenfassen, kann man weiterhin herausarbeiten, dass der Film einen zielorientierten Protagonisten hat, der seine Frau zurückhaben und seine Ehe kitten will, vorzugsweise ohne seine Machowerte aufzugeben. Dieser Held bewegt sich in einem psychologisch motivierten, auf ihn zentrierten Plot, dessen Zweck darin besteht, allen Figuren ihre Ziele auf lineare, entschiedene und einfallsreiche Weise verfolgen zu lassen. Der Film weist, ebenfalls regelgerecht, eine doppelte Handlungsstruktur auf, wobei beide Plotlinien miteinander verflochten sind: Um die Liebesgeschichte zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, muss der Held die Terroristen und die Polizei besiegen. Das Ende bringt einen befriedigenden Abschluss mit dem Tod aller Schurken, der Bildung des heterosexuellen Paares und der Rehabilitation von Al.

Eine Analyse nach dem »morphologischen« Ansatz von Propp hätte eine etwas andere Segmentierung ergeben, doch das kanonische Format und die Gesamtstruktur des Films wären dennoch bestätigt worden. Beispielsweise hätte man die Frage des Rätsels etwas anders formuliert, sodass der konstitutive Mangel oder die konstitutive Abwesenheit deutlicher in Märchenbegriffen zum Ausdruck gekommen wären: Holly als Prinzessin, die entführt wurde (zunächst von der Nakatomi Corporation durch ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte, und dann von Gruber und den Terroristen, die sie als besondere Geisel halten, sobald sie erfahren, dass sie die Frau ihres Antagonisten McClane ist). Natürlich ist es McClanes Aufgabe, sie zu retten und an ihren angestammten Platz zurückzubringen: die Familie. Damit er dies tun kann, muss er als Held erkennbar sein, und so werden wir tatsächlich Zeuge, wie ein Held erschaffen wird: Zunächst gibt es, wie im Märchen, mehrere Prüfungen mit magischen Gegenständen (beispielsweise die Dinge in der Tasche des Terroristen, den er tötet), schlechten und guten Helfern (wie Argyle oder Al Powell) und schließlich die Bestätigung des männlichen Protagonisten als »Helden« durch seine Konfrontation mit und Anerkennung durch den Schurken (trotz dessen Tarnung als Helfer). McClane erringt den Status als Held durch drei Phasen oder Stufen: Wettkampf, Sieg, Krönung. Die Frage der Helfer ist zwar komplizierter, stimmt aber auch mit Propps Modell überein, wo Helfer ebenfalls doppeldeutig, hinderlich oder täuschend sein können: Der Held in DIE HARD hat, wie in so vielen Hitchcockfilmen, sowohl die Schurken als auch die Polizei gegen sich. Einige der Bösen stellen sich als Helfer heraus (vor allem, wenn sie tot sind) und umgekehrt. Der Film beutet diese Doppeldeutigkeiten geschickt aus, besonders in Bezug auf die Polizei, von der sich McClane Hilfe erhofft, die aber unabsichtlich Gruber hilft; der Fahrer Argyle, der ein Helfer sein will, ist weitgehend nutzlos; das Fernsehteam unterstützt ebenfalls unabsichtlich Gruber, indem es die Identität von »Ms. Gennaro« als Mrs. McClane aufdeckt.

Angesichts der relativ geradlinigen und zielorientierten Handlung habe ich mich vielleicht allzu sehr auf die tiefenstrukturelle Handlungslinie konzentriert, die sich um Widersprüche bildete und von der Logik des Verlangens angetrieben wurde. Beide Linien kommen zusammen in der Interaktion zwischen den Figuren, einer Art Schlachtfeld der sich überkreuzenden Absichten, bestehend aus unvereinbaren Zielen, doch auch aus vielen parallelen Beziehungen, die über scheinbar unerschöpfliche Ressourcen der Wiederholung zusammengeschnürt werden. Verschiedene Arten der Inkompatibilität spiegeln sich. McClanes Ziele stellen sich als unvereinbar heraus: Er will seine Frau zurück (und in der häuslichen Sphäre als Vater und Familienoberhaupt fungieren), doch er muss auch ein guter Polizist sein (seine professionelle Selbstachtung aufrechterhalten). Der hierin enthaltene Widerspruch wird gelöst, indem sein Konflikt in anderen Figuren gespiegelt und parallelisiert wird. Holly McClane (Gennaro) will berufliche Anerkennung (ihre Karriere im Vorstand der Nakatomi Corporation), doch sie muss auch eine gute Mutter und Frau sein. Auch hier erscheinen zwei absolut vernünftige Absichten oder Ziele als inkompatibel und widersprüchlich: auf der Oberfläche, weil sie einen Polizisten mit Machokomplex geheiratet hat, und in der Tiefenstruktur, weil dies symptomatische Spannungen erzeugt, sowohl auf dem psychologischen Schlachtfeld der Geschlechterdifferenz und der menschlichen Subjektivität als auch auf dem ideologischen Schlachtfeld des »Kulturkampfs« in Reagans Amerika der 1980er Jahre, das die sozialen und innenpolitischen Folgen einer globalisierten und globalisierenden Wirtschaft zu spüren beginnt.

Ebenfalls herausgearbeitet wurde die Tatsache, dass Nebenfiguren in wichtiger Hinsicht die Hauptfiguren »spiegeln« und somit alternative Versionen von oder Variationen auf deren zentrales Dilemma durchspielen. So »spiegeln« Al Powell und Ellis McClanes Dilemma, einerseits Polizist zu sein und damit den »Machowerten« von Gesetz und Autorität anzuhängen, und andererseits Ehemann und Liebhaber zu sein, für den das Problem in der Akzeptanz von Holly als gleichberechtigter Partnerin besteht. Auf der anderen Seite spiegelt Ellis auch gleichermaßen Hollys Dilemma, und er ist in mancherlei Hinsicht ihr Alter Ego, selbst als sich herausstellt, dass er eine inakzeptable Lösung verkörpert. Er hält ihren beruflichen Ehrgeiz für selbstverständlich und akzeptiert ihren professionellen Status, ja er beneidet sie sogar um ihre Rolex. Er deutet auch an, wie sie ihr anderes Problem lösen könnte (alleinerziehende Mutter ohne männlichen Partner zu sein), als er mit ihr ausgehen will; jedoch sieht er sie nur als potenzielle Sex-Partnerin und scheint nicht bereit, ihre Verpflichtungen als Mutter anzuerkennen oder zu respektieren. Wie Holly will Ellis Chef sein, doch die Art und Weise, wie er daran arbeitet – sich bei jedem einschmeicheln, der verantwortlich ist –, ist für sie ein negatives Beispiel, und er wird prompt (und für das Publikum verdientermaßen) von Gruber getötet.

Ähnlich könnte man mehrere andere Nebenfiguren analysieren, etwa Hollys spanisches Kindermädchen (die die Familie zusammenbringen will, aber nicht bemerkt werden darf, weil sie eine illegale Einwanderin ist), den Journalisten (der dringend eine große Story braucht) und Karl (der den Tod seines Bruders rächen will, aber aufgrund dieser privaten Fehde eine Belastung für Gruber wird): Alle haben ihre eigenen Gründe, die als Echo der grundlegenden Struktur von gegenseitiger Ausschließlichkeit oder widersprüchlichen Verschränkungen fungieren. Ein besonderer Fall sind die »schwarzen Helfer« auf beiden Seiten: Bei den Terroristen will der schwarze Safeknacker einen Anteil vom Gewinn, und in McClanes »Team« will der Fahrer Argyle ebenfalls Geld – ein dickes Trinkgeld: eine Parallele der Subplots über die Diskrepanz ihrer jeweiligen Zugehörigkeit hinweg. Ähnlich verdoppelt und gespalten ist die Funktion der Polizei. Die Polizei von Los Angeles folgt in ihrem Verhalten dem Lehrbuch und liegt damit immer falsch; die Männer vom FBI wollen lieber ihre Kollegen von der LAPD demütigen als die Terroristen besiegen, weshalb sie diesen sogar unbeabsichtigt helfen (indem sie den Strom im Gebäude abstellen, wodurch sich der Tresor öffnet).

Die Rolle all dieser Figuren besteht somit nicht nur darin, Komplikationen und Hindernisse für die Protagonisten zu erzeugen, sondern auch mit ihren Absichten über Kreuz zu liegen; sie sind eher Funktionen (oder semiotische Ressourcen) als runde Charaktere, die sich um die Inkompatibilität von McClanes und Hollys Zielen gruppieren, also die augenscheinliche Unvereinbarkeit von Häuslichkeit und Karriere, von Privatsphäre und Beruf, die Unmöglichkeit, beruflich und privat »Mann« und »Frau« zu sein. In diesem Sinne hat jede der Figuren irgendwo einen Doppelgänger, und alle sind durch ein System von Parallelen und Binaritäten miteinander verbunden, die sich um Widersprüchlichkeit, Gegenteiligkeit und Ergänzung drehen, wobei jeder lokalisierte Wettkampf eine Version und Variation der Dilemmata der anderen (Haupt-)Figuren ist. Die übergreifende Kohärenz in der klassischen Erzählung ist daher das Ineinandergreifen von Makro-Konflikten und Mikro-Widersprüchen, die sich gegenseitig spiegeln: Wiederholung (und Differenz) als Auflösung (und Einheit).

3. Die postklassische Lesart: Theorie

Wenn die Handlung von DIE HARD mit den Begriffen des klassischen Modells so perfekt lesbar erscheint, warum besteht überhaupt die Notwendigkeit, sich auf eine andere Ebene zu begeben und die umstrittene Unterscheidung klassisch/postklassisch zu bemühen? Was genau im Film verlangt nach zusätzlicher Erklärung? Die Frage führt uns zu einem der Begriffe zurück, mit denen wir begonnen haben, nämlich dem des »Spektakels« (den wir danach zugunsten einer Diskussion der Handlung zunächst ignoriert hatten) und dem implizit polemischen Vorwurf, dass sich Spektakel und Erzählung gegenseitig ausschließen. Die bisherige Analyse hat hoffentlich deutlich gemacht – vielleicht sogar überdeutlich –, dass sich die Definition des Postklassischen als Vorherrschaft des Spektakels über den Plot nicht aufrechterhalten lässt und dass die in den Kritiken erhobenen Vorwürfe ungerechtfertigt sind: Selbst wenn man annimmt, dass es eine neue Art der Betonung des Spektakels im zeitgenössischen Hollywood gibt, dann scheint dies nicht auf Kosten des Drehbuchs oder der handwerklich gekonnten Plotstruktur zu gehen. Noch gereicht es der tiefenstrukturellen »Arbeit«, mit der die klassische Erzählung Ideologie (»imaginäre Auflösung realer Konflikte«) betreibt, zum Nachteil.

Deshalb können das Klassische und das Postklassische nicht anhand einer Gegenüberstellung von Spektakel und Plot unterschieden werden und auch nicht, so scheint nahezuliegen, auf der Grundlage irgendeiner anderen Entweder-oder-Konstruktion. Eine Andeutung ging dahin, dass wir für eine Definition des Postklassischen eher nach einem exzessiven Klassizismus (im Sinne des Barocks) als nach dessen Ablehnung oder Abwesenheit suchen müssten. Auf DIE HARD angewandt hieße dies, einerseits die (narrative, tiefenstrukturelle) Funktion der spektakulären Szenen erneut zu untersuchen und andererseits eine Dekonstruktion der Begriffe »Erzählung« und »Spektakel« vorzunehmen und damit diejenigen Elemente des Films neu zu betrachten, die ich bis jetzt so sicher als binäre Paare im semiotischen Quadrat identifiziert habe.

Zuvor möchte ich allerdings kurz die anderen Definitionen Revue passieren lassen, die das Postklassische als einen eigenständigen Modus zu beschreiben versuchen: nicht nur als Darstellung und Stil, sondern auch als Zäsur in der Produktion und Rezeption.

Postklassisches Hollywood: Produktion und Rezeption

Unter Filmwissenschaftlern herrscht inzwischen ein relativ breiter Konsens, wie die Transformationen der Filmproduktion in Hollywood zwischen den 1960er und 1980er Jahren zu verstehen sind, die zur unerwarteten Revitalisierung des amerikanischen Kinos als wirtschaftlicher wie auch kultureller Kraft führte. Zu den Schlüsselfaktoren gehört die schrittweise Umsetzung des sogenannten Paramount Decree von 1947/48, in deren Folge sich die Studios von ihren Kinoketten trennen mussten und die vertikale Integration, die die Filmindustrie als Trust und Kartell in den vorausgegangenen 25 Jahren erhalten hatte, aufgebrochen wurde. Mehrere Wellen von Zusammenschlüssen und Übernahmen innerhalb der Unterhaltungsindustrie in den Vereinigten Staaten der 1970er und 1980er Jahre (begünstigt durch eine laxe Handhabung der Anti-Kartell-Gesetzgebung der Regierung und flankiert von radikalen Veränderungen der Management- und Business-Praktiken) sorgten jedoch dafür, dass Mitte der 1980er Jahre eine der vertikalen Integration ähnliche Struktur wiederhergestellt war.

Der Motor dieses Revivals und das Symbol dieser neuen Schlagkraft Hollywoods ist der Blockbuster, ein in großem Umfang vermarktbares, multifunktionales Unterhaltungsprodukt nach der High-Concept-Logik, das zugleich als Ausstellungsstück für neue Technologien der Tontechnik (Dolby, THX) sowie der Bildverarbeitung und -wiedergabe (Spezialeffekte, computergenerierte Bilder) dient. Ein Blockbuster kann in relativ kurzer Zeit gewaltige Profite einfahren, weil er neue Publikumsgruppen anlockt sowie von gesättigter Medienpräsenz und globaler Vertriebsstruktur profitiert. Dies regt Fortsetzungen, Hybridgenres und formelhafte Produktionen an und begünstigt allgemein den package deal, indem entweder ein Star oder ein Team um einen Produzenten den Markt mit einem bestimmten Subgenre oder »Konzeptfilm« monopolisieren, wobei oft ein ausgewiesener literarischer Erfolg, ein bestimmter visueller Stil und ein Vermarktungskonzept kombiniert werden (auch bekannt als the book, the look and the hook – Buch, Look und Aufhänger). DIE HARD passt sehr gut in diese Produktionsstrategie, insofern der Film einem Subgenre angehört, dem »gemischtrassigen« Buddy-Film (48 HOURS [Nur 48 Stunden; 1982; R: Walter Hill]; die LETHAL WEAPON-Serie; PREDATOR; COMMANDO [1985; R: Mark L. Lester]), eine Marktnische, die erfolgreich vom kreativen Team um das Produzentenpaar Lawrence Gordon und Joel Silver kolonisiert wurde (dazu gehören unter anderem auch die Drehbuchautoren Jeb Stuart und Steven E. de Souza), das als halb-unabhängige Einheit arbeitet, dessen Filme aber von einem großen Studio verliehen werden, in diesem Fall von 20th Century Fox. Darüber hinaus war DIE HARD in der Lage, einen bestimmten Look des »Punk- Glamours« als modisch zu etablieren, und der Film hatte eine Pointe (»Yippee-kayay, motherfucker« / »Yippee-kayay, Schweinebacke«), die, wie andere berühmte Filmzitate (»Make my day, punk«, »Are you looking at me?!«), ein Eigenleben in der populären Kultur annahm.

Schließlich passten sich Blockbuster, wie auch andere Hollywoodproduktionen, den Unterhaltungserwartungen und Trends der Jugendkultur an, die sich in den 1980er Jahren von einer Identifikation mit der »Gegenkultur« hin zu einer aggressiven Partizipation an der Ereignis- und Erlebniskultur der Einkaufszentren, Themenparks, Spielhallen, Raves und des Musikfernsehens umstellte. Mainstreamfilme mussten lernen, dieses diversifiziertere, unberechenbare Publikum anzusprechen, das anders segmentiert war als das Familienpublikum von Kino und Fernsehen der 1950er und 1960er Jahre. Das neue Publikum von Hollywood, männlich wie weiblich, national wie international, erwartete, dass die vieldiskutierten Bild- und Tontechnologien intensive körperliche, sensorische und emotionale Erlebnisse liefern würden.

Postklassisches Hollywood: Formale und kulturelle Kriterien

Der Begriff des »Spektakels« bezeichnet jene technologisch raffinierte Affekt- und Erlebnis-Investition, mit der diese für Hollywood wichtigste Zielgruppe angesprochen werden soll. Technologische Fortschritte in sehr unterschiedlichen Feldern der populären Unterhaltung (von Animatronics in Themenparks bis zu Computerspielen auf Spielkonsolen) und auf allen Ebenen der Filmherstellung und Tonreproduktion (von IMAX-Leinwänden bis zum digitalen Ton, vom Morphing bis zu Virtual-Reality-Umgebungen) haben tatsächlich Eingang gefunden in die traditionelle, aber auch opportunistische Form der Massenunterhaltung, die das Kino nun einmal ist, und sie haben sich auf sein Standardprodukt, den abendfüllenden Spielfilm, ausgewirkt. Wie in früheren Epochen der Kinogeschichte waren es beim postulierten Übergang vom klassischen zum postklassischen Kino (von der Erzählung zum Spektakel) vor allem neue Technologien, die Druck auf die Herstellungsweise ausgeübt und auch die Rezeptionsart verändert haben. So war es schon immer die Aufgabe der Genres, der mise en scène und der Narration, diese Veränderungen durch die Anpassung der narrativen Strukturen, Schauplätze und Geschichten zu absorbieren. Auch das zeitgenössische Hollywood gibt zur Vermutung Anlass, dass es sich wiederum transformiert und den neuesten technologischen Veränderungen angepasst hat, während es in wichtigen Bereichen jene Merkmale beibehält, die seinen Erfolg in der Vergangenheit garantiert haben. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass das klassische Kino lediglich in neuer Gestalt im postklassischen Kino auftritt, also weder abwesend noch entgegengesetzt ist – oder, wie ich es oben formuliert habe: Das Postklassische ist auch das exzessiv-reflexive klassische Kino, eine Art »Klassisch plus«. Was dieses »Plus« im jeweiligen Fall bedeutet (und auch, ob man es nicht auch als »Minus« sehen kann), muss noch spezifiziert werden. In jedem Fall kann man sich das Postklassische als Pastiche des Klassischen vorstellen oder als dessen metadiskursives, selbstreferenzielles Zitat, doch auch als Austauschprozess der Absorption, des Tausches und der Modifikation, in dem Technologie nur ein Faktor unter vielen ist in der breiteren Neuausrichtung Hollywoods, seiner Art der Filmherstellung, seiner Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und den Erwartungen der Zuschauer/Nutzer gerecht zu werden. So kann man sich vorstellen, dass die binäre Gegenüberstellung klassisch/postklassisch völlig verschwinden wird, wenn Hollywood – wie einige vorhersagen – sich mehr und mehr darauf konzentriert, Erzählungen zu entwickeln, die Vorlagen, Prototypen oder Baupläne für interaktive Computerspiele abgeben. Ob dies nun wahrscheinlich ist oder nicht, für den Theoretiker reicht allein die Möglichkeit aus, um eine solch flexible, multifunktionale Erzählform als allgemeinere Kategorie zu betrachten, in der »klassisch« und »postklassisch« (wie nun schon analog und digital) nunmehr untergeordnete, spezialisierte oder dem Übergang verhaftete Kategorien sind.

Dies bringt mich zurück zum kulturellen Aspekt der Wechselwirkung zwischen »klassisch« und »postklassisch«, insbesondere zu dem Faktor, den wir als »Arbeit« bezeichnet haben, jenen sinnstiftenden Prozessen also, durch die interne (formale, stilistische, rhetorische) Prozeduren externe (soziale, ideologische, referenzielle) Materialien in eine Story verwandeln. Im Kino macht diese Umwandlung von Tönen und Bildern von der Welt in Behauptungen und Gefühle über die Welt die Erzählung im weitesten Sinne zu einem bemerkenswerten Vehikel der kulturellen Kommunikation und der sozialen Reproduktion. Was geschieht also mit dieser »Arbeit« im »postklassischen« Kino, das wir zunächst nur als Phase in einem fortlaufenden Prozess der Anpassung und Neuausrichtung verstehen wollen? Auf den ersten Blick und angesichts der Analyse der textuellen und ideologischen Arbeit in DIE HARD scheint es, als wäre auch in dieser Hinsicht alles wie gehabt: business as usual. Doch wir haben auch bemerkt, wie häufig der Film seine eigene Rhetorik in den Vordergrund rückt, wie auch das ideologische Material, das er eigentlich transportieren und transformieren soll.

In einem etwas anderen Vokabular und mit einem Argument, das sich im Rahmen der »Postmoderne« statt des Postklassischen verortet, beschäftigen diese Gedanken den Kulturwissenschaftler Fred Pfeil, der seine Diskussion der »männlichen Randalefilme« wie folgt beginnt:

»Nicht zuletzt durch die LETHAL WEAPON- und DIE HARD-Filme ist mir klar geworden, [...] dass postmoderne kulturelle Praktiken über die poröse Grenze zwischen Hipness und glatter Massenkultur hinweg wandern, treiben [oder] sich austauschen, wie Kopien von Markenprodukten oder mit Pocken infizierte Laken. In der Tat war eines der ersten Dinge, [...] die mir an diesen vier Filmen auffielen [...], gerade diese beunruhigende Nähe zu ehemals kanonisch hippen postmodernen Arbeiten. Zwar haben ihre geradlinigen Plots wenig gemeinsam mit den verrückten Überraschungen und multiplen Erzähllinien von BRAZIL [1985; R: Terry Gilliam] oder MY BEAUTIFUL LAUNDRETTE [Mein wunderbarer Waschsalon; 1985; R: Stephen Frears] [...], doch auf einer formaleren Ebene des filmischen Stils, der narrativen Struktur und der Raum-Zeit-Konstitution haben unsere Hochgeschwindigkeits-Haudrauf-Filme viel mehr gemeinsam mit anerkannten postmodernen Kunstfilmen wie etwa DIVA [1981; R: Jean-Jacques Beineix], als man vermuten würde.«35

Pfeil stellt anschließend eine Liste der wichtigsten Crossover-Merkmale auf: der »urbane Look« in der Farbgebung (»ausgewaschene Pastelltöne und dunkle Töne in Metallicblau und -grau«), der Bachtin’sche Chronotopos von zwei scharf gegeneinander abgegrenzten Räumen innerhalb einer diegetischen zeitlichen Welt (in DIE HARD »das brandneue Bürohochhaus [...] und die funktionierenden Eingeweide [von] Abluftkanälen und Fahrstuhlschächten«), in der raumzeitliche Beziehungen nur eine Zeit (jetzt) und einen Ort (hier) zu kennen scheinen (»die Handlung findet ganz einfach hier statt – und hier – und hier – in Räumen, deren Abstände voneinander nicht als Abstände gemessen werden können, sondern vielmehr in Unterschieden der Haltung und Intensität«). Pfeil macht sich die Position zu eigen, die uns schon in den Kritiken begegnet ist: »Ein älteres Modell der Plotentwicklung, die Bewegung von einem Zustand des Gleichgewichts [...] zu einem neuen und noch besser ausbalancierten Gleichgewicht wird weitgehend abgelöst von einer gedächtnisbetäubenden Abfolge von eigenständigen Teilen und spektakulären Ausbrüchen.«36

Es geht Pfeil jedoch weniger um eine genaue textuelle Analyse der überraschend ausgefeilten Plotentwicklung und der sorgfältigen mise en scène von DIE HARD, die sich meiner Analyse zufolge noch immer den Tugenden der klassischen Erzählung verschrieben haben. Vielmehr interessiert ihn, wie der Film kulturelle Formationen wie »Rasse«, Klasse und Gender handhabt, die Pfeil vor dem Hintergrund der politischen Realitäten der Reagan-Ära, im Besonderen der Iran-Contra-Affäre, betrachtet und in Beziehung setzt mit den wirtschaftlichen Realitäten der Globalisierung: zum Beispiel der Deregulierung des Arbeitsmarktes, auf dem die, wie Pfeil sagt, (produzierende) Mittelklasse zerrieben wird, während das obere Segment (der Manager) multinational wird und die (ungelernte) Unterschicht multirassisch:

»[DIE HARD] bildet eine sehr spezifische weiße/männliche/heterosexuelle/amerikanische kapitalistische Traumlandschaft ab, ›oben‹ inter- und multinational und ›unten‹ multikulti, in der das Interrassische erotisiert wird, selbst wenn die scharfe Trennlinie der Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau weiterhin mit Nachdruck behauptet wird: in der aber tatsächlich alte Kraftlinien zwischen Ethnien, Klassen und Geschlechtern überschritten und neu gezogen werden. Auch wenn die Ergebnisse all dieser Konstruktionen und Operationen wohl kaum als Beispiele für eine radikale oder befreiende Kulturproduktion gelten können [...], so deuten sie dennoch eine neue und schwindelerregende psychosoziale Mobilität an, einen Moment des Flusses.«37

Trotz der Charakterisierung der Handlung als »gedächtnisbetäubend« erwartet Pfeil immer noch, dass die Handlungsführung von DIE HARD ihre gewohnte Arbeit der ideologischen »Konstruktionen und Operationen« leistet, wenn auch nicht länger unzweideutig im Dienste des vorherrschenden Wertesystems, sondern stattdessen Mobilität und Fluss hervorbringend. »Neue Mobilität« und »ein Moment des Flusses« sind natürlich selbst Begriffe, die zum (positiven) Vokabular des postmodernen Diskurses gehören, sodass sich an diesem Punkt die ideologische Arbeit des Films und die kritische Arbeit des Theoretikers auf wundersame Weise spiegeln.

Doch beruht dieser Effekt, was Pfeil selbst nur allzu klar erkennt, darauf, dass im postmodernen Denken die Auflösung der binären Oppositionen auf der Tagesordnung steht, darunter jener grundlegenden, die für beinahe drei Jahrzehnte einen Großteil der textuellen Analyse geprägt haben: radikal/ konservativ, progressiv/reaktionär, kritisch/affirmativ, links/rechts. Die Konsequenz daraus ist, dass die Art des Engagements mit dem Gegenstand der Analyse nicht länger dieselbe ist, denn statt beispielsweise seine kritische Distanz zu wahren, drehen sich die Taktiken des Kritikers nun um solche Konzepte wie »Aneignung«, »Übernahme« und »Dekonstruktion«, und selbst konservative oder hegemoniale Kritiker sind inzwischen Dekonstruktivisten, darin geübt, die mobilen Zeichen der Hybridität und Bricolage rund um solche ehemals radikalen oder kritischen diskursiven Formationen wie »Rasse«, Klasse, Gender oder Nation mühelos lesen zu können.

4. Postklassische Analyse von DIE HARD

Mehr oder weniger das gleiche Dilemma begegnet uns in unseren Definitionen des »Postklassischen«, insbesondere wenn wir versuchen, die wirtschaftlich-technologische Analyse der Produktionsweise des zeitgenössischen Hollywood (das heißt der Blockbuster als Produktform und ein globales, mode- und hightech-bewusstes Jugendpublikum als Zielgruppe) und Pfeils formal-kulturelle Definitionen des postmodernen Kinos (die Spannungen im Verhältnis der Geschlechter, Ethnien und Klassen unter den Bedingungen der Globalisierung narrativ auszutarieren) in Einklang zu bringen: Postklassisch, diese These möchte ich jetzt aufstellen, sind vor allem jene Momente in einem klassischen Film, in denen die eigene Theorie oder Problematik im Film selbst auftaucht und uns ins Gesicht blickt: entweder als ernst nickende Zustimmung oder selbstironisch augenzwinkernd. Um diese Momente des Zunickens oder Blinzelns zu orten und zu untersuchen, ist eine Weiterführung meiner eigenen klassischen Analyse notwendig:

  • Die narrative Struktur muss erneut geprüft werden, um zu sehen, ob diese noch etwas anderes preisgibt als bisher ermittelt.
  • Auch die heuristische Unterscheidung zwischen Oberfläche und Tiefenstruktur, die der Film buchstäblicher versteht als sie gemeint war, sollte insbesondere in Bezug auf die ödipale Logik umformuliert werden.
  • Letzteres erlaubt eine Neubewertung der Rolle, die »Rasse«, Gender und der männliche Körper spielen. Zu zeigen ist, dass bestimmte Gebiete des Tabus, der Zensur und der Mittelbarkeit im klassischen Darstellungsmodus (von Körpern, Geschlechtern und Ethnien) »geöffnet« wurden, wenn auch möglicherweise mit dem Resultat, dass die »Transgression« selbst zu einem »Oberflächeneffekt« geworden ist.
  • Im Abschnitt zum transnationalen/postkolonialen Globalisierungs-Thema umfasst nun eine doppelte Perspektive die soziopolitischen Themen des Films: Während die Geschichte offensichtlich von bestimmten Aspekten des transnationalen Kapitalismus aus amerikanischer Sicht handelt, weiß der Film, dass er ebenso sehr ein Teil dieser Globalisierung ist und ein internationales Publikum erreichen will, eine Situation, die er anspricht, indem er zu einer Art halbdurchsichtigem Spiegel der nationalen Klischees in einer multikulturellen Umgebung wird.
  • Was den Spiegel an seinem Platz hält und die Zuschauer in ihren Sitzen, so die These des letzten Abschnitts, ist die Vorliebe des Films für Wortspiele: Von den Witzeleien des Stars als Erkennungszeichen über die visuellen Gags bis hin zu strukturellen Ironien, die um Marketingslogans und verrätselte Bemerkungen aufgezogen werden, hält uns DIE HARD auf den Zehenspitzen, ohne uns festen Boden zu geben, dank der, wie ich sie nennen werde, gleitenden Signifikanten.

Narrative Struktur

Vielleicht ist die These, DIE HARD sei ein postklassischer Film, trotz Pfeils Bemerkungen gerade dann am schwächsten, wenn man sie auf der Grundlage der Handlung vertritt, die recht geradlinig der kanonischen dreiaktigen Struktur folgt und auf einen männlichen Protagonisten fokussiert ist. Wenn man sich jedoch die Akteinteilung noch einmal ansieht, fallen zwei Merkmale auf, die einen weiteren Kommentar verdienen: einmal die räumliche und zeitliche Einrichtung der gewalttätigen Actionszenen, die das sich entwickelnde Drama spicken, und zum anderen die Tatsache, dass die Dreiaktstruktur auch »gedreht« werden kann, sodass sie nicht John McClane, sondern Holly Gennaro oder Hans Gruber zum Zentrum hat. Obwohl die übergreifende Entwicklung der Handlung McClane zu bevorzugen scheint, bietet jeder Akt parallele Knotenpunkte für die anderen Figuren. Beispielsweise endet der erste Akt dann mit Holly, die zugibt, dass sie John noch immer liebt; am Ende des zweiten Aktes wird sie von Hans Gruber als Geisel genommen, und der dritte Akt schließt mit dem Abschied von ihrer Rolex, Symbol ihres sozialen Status als Karrierefrau, um ihr Leben zu retten. Die Coda endet mit ihrem Faustschlag gegen den Journalisten, der in ihrem Familienleben herumgeschnüffelt hatte.

Ähnlich kann man den Aufstieg und Fall von Hans Gruber über eine dreiaktige Struktur nachzeichnen: sein erfolgreiches und überraschendes Eindringen, die Entdeckung eines unerwünschten Einzelgängers im Haus, der innerliche Zerfall und die Dezimierung seiner Bande und sein tödlicher Sturz mit einer Rolex in der Hand. Die Geschichte ergibt also Sinn aus der Perspektive jeder der drei Hauptfiguren, wobei die spektakulären Actionsequenzen die Initiative beinahe gleichmäßig zwischen McClane und Gruber verteilen – der Sprung mit dem Feuerwehrschlauch und die Klettereien im Aufzugsschacht gehören ganz McClane, während Gruber der Handelnde in einer der brutalsten Szenen ist (mit McClane als passivem Zuschauer), der Ermordung von Hollys Boss Tagaki. Das Argument für eine postklassische Lesart hängt also nicht von der Abwesenheit/Anwesenheit der kanonischen Geschichte per se ab, sondern baut auf der »Schichtung« des traditionellen Drehbuchs auf, das diese Struktur auf mehrere Mitspieler oder Avatare hin öffnet, womit der Film recht bequem von der großen Leinwand in die Spielhalle und das Computerspiel wandern kann. Ungewöhnlich für einen klassischen Film, aber wiederum relevant für ein interaktives Szenario, ist die Motivverschiebung des Schurken: Gruber scheint seine Begründung, weshalb er das Gebäude besetzt hält, mindestens dreimal zu ändern. Vom internationalen Terroristen wird er zum Dieb und von diesem wiederum zu einem Mann mit einer Mission, ausgerüstet mit dem taktischen Verstand und den Schusswaffen, dahingehend zu handeln.

Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur

In der klassischen Analyse spielte die Unterscheidung von Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur eine wichtige Rolle. Diese Begriffe sind jedoch lediglich räumliche Metaphern, um die Aufmerksamkeit auf eine Disparität der dramatischen Bewegung zu lenken, auf eine kognitive Spannung, auf eine Differenz der emotionalen Schemata und Intensitäten. Auf gewisse Weise verhält sich der Film so, als wüsste er um diesen rein heuristischen Unterschied. Beispielsweise spielt er fortlaufend auf seine Oberflächenstruktur an, indem er ein recht ungewöhnliches Spiel mit »Glas« in Szene setzt. In der Tat ließe sich das »Spektakel« in DIE HARD dahingehend definieren, dass der Film einige seiner erinnerungswürdigsten Effekte aus zersplitterndem und berstendem Glas gewinnt – die großen Fensterscheiben, die McClane zerschlagen muss, um die Leiche hinauszuwerfen, die den Streifenpolizisten darauf aufmerksam machen soll, dass im Nakatomi Plaza nicht alles so ruhig ist wie es scheint; Grubers Befehl an seine Männer (im englischen Original in fehlerhaftem Deutsch), das Glas in einen Scherbenteppich zu verwandeln, der McClanes Füße in blutende Fetzen schneidet; die Glastrennwand mit dem Blut und den Hirnresten von Tagaki, die McClanes Blick versperren. Glas bietet auch einige der intensivsten Toneffekte, und in Hollys Büro hängt sogar ein von Roy Lichtenstein inspiriertes Pop-Art-Bild einer zerberstenden Glasscheibe an der Wand, das zweimal zu sehen ist – das zweite Mal vom knatternden Geräusch der Maschinenpistolen begleitet.

Ähnliches lässt sich in Bezug auf die Tiefenstruktur der Erzählung feststellen. Ich hatte argumentiert, dass sich darin die ödipale Logik der Geschichte entfaltet. »Ho-Ho-Ho«, sagt der Film nicht nur zu Ödipus, sondern zum Patriarchat und gibt uns stattdessen den Weihnachtsmann. Wenn einer der Kritiker fragt: »Warum Weihnachten?«, so kann er den Film nicht allzu gründlich gesehen haben. Tatsächlich ist dies in mindestens zweierlei Hinsicht entscheidend. Für Familien ist Weihnachten die Zeit der Zusammenkunft und der Versöhnung, was auch McClanes Rückkehr zu Holly motiviert. Zudem ist es ein kulturell überdeterminiertes Fest (weiß, westlich, christlich), und es wirkt etwas schräg, dass die Nakatomi Corporation ein großes Weihnachtsfest feiert (der Film macht musikalisch darauf aufmerksam, als er zwischen Bach und Beethoven auf dem Firmenempfang und Rap in der Limousine hin- und herschneidet). Weihnachten im sonnendurchfluteten Los Angeles mit schneebestäubten Weihnachtsbäumen trägt immer einen surrealen Zug. Dieses Missverhältnis wird in der Eröffnungsszene vor allem von Argyle angesprochen, der in der Limousine Rap und Hip-Hop hört und sich entsprechend über »weiße« Weihnachtsmusik mokiert: Als McClane ihn fragt: »Haben Sie nicht ein bisschen Weihnachtsmusik?«, antwortet er: »Das ist Weihnachtsmusik.«

[Bild 15: Weihnachten als semantische Ressource]

Aber »Weihnachten« ist noch tiefer in die visuelle, verbale und thematische Textur des Films eingearbeitet, fungiert auf mehreren Ebenen als semantische Ressource. Eine explizite Referenz etwa ist Grubers Freude darüber, dass das FBI ihm ein Weihnachtsgeschenk bereitet, als es den Strom abdreht und »seinen Baum anzündet«: Er hofft auf ein Wunder, und es geschieht, als die Lichter ausgehen und die letzte Tür des Tresors sich öffnet, wie bei einem Adventskalender an Heiligabend. Eine indirektere, aber ebenfalls kaum zu übersehende Anspielung ist McClanes makabrer Streich, den er mit der Leiche eines von ihm getöteten Terroristen, des Intellektuellen Fritz (Hans Buhringer), spielt. McClane bedient sich aus Fritz’ Sack mit einem Feuerzeug, einer Maschinenpistole und einem Funkgerät und setzt ihm eine Weihnachtsmannmütze auf, verziert das T-Shirt mit der Aufschrift »Ho-Ho-Ho« und schickt ihn dann im Fahrstuhl in die von den Terroristen besetzte Etage, als wäre es ein Schornstein (»Der Weihnachtsmann kommt durch den Schornstein«). Dieser visuelle Gag wird nochmals aktiviert, als McClane den Sprengstoff in den Fahrstuhlschacht wirft und die Explosion diesen wie ein Feuer im Ofen erleuchtet. Und noch ein Element des (angloamerikanischen) Weihnachtsrituals ist in die Geschichte eingearbeitet: Es scheint, als habe McClane durch das Ausziehen seiner Socken den »Weihnachtsmann« eingeladen, diese mit Geschenken zu füllen, sodass die magischen Gegenstände, die er für den Kampf gegen die Räuber/Terroristen braucht, tatsächlich seine Weihnachtsgeschenke sind.

Mit anderen Worten: »Weihnachten« ist sowohl ein »gleitender Signifikant« (siehe unten) als auch im Zentrum eines kulturell, visuell und kognitiv reichen Sediments von Bedeutung, das der Film (in Drehbuch und mise en scène) ausbeutet, um den Handlungen eine besondere Textur und Resonanz zu geben. Im Drama der Familienzusammenkunft fungiert »Weihnachten« als ein Element der Glaubwürdigkeit; im Verhältnis zum Schauplatz Los Angeles erzeugt es eine Atmosphäre der Dissonanz und macht uns auf das ethnische Thema aufmerksam; in Bezug auf Gruber und McClane fügt es den Märchenmotiven von Spender und Helfer weitere dramatische Ironie hinzu; McClane bietet es die Gelegenheit für Streiche auf Kosten seiner Gegner, und für die mise en scène motiviert es den metaphorischen Gebrauch der räumlichen Konfiguration zwischen unfertigem Gebäude und unerledigten Sachen (Fahrstuhlschächte und Ventilationsrohre / tote Terroristen, deren man sich entledigen muss); schließlich enthält die Socken/Strümpfe-Anspielung eine Ironie, die auf McClanes emotionale Unreife abzielt, während die Weihnachtsmann-Referenzen sarkastisch auf die patriarchale Suche des Helden nach einer neuen Grundlage seiner Vaterschaft und männlichen Identität hinweisen.

[Bild 16&17: Der ausgestellte männliche Körper]

»Rasse«, Gender und der männliche Körper

Ebenfalls auf die »Oberflächenstrukturen« verweist ein anderes Element, das der Aufmerksamkeit der Kritiker nicht entging und das, so wird häufig gesagt, dem Arsenal des postklassischen Kinos zuzurechnen ist, nämlich die Betonung des Körpers und vor allem die Zurschaustellung des männlichen Körpers:

»Bruce Willis verkörpert eine weitere dieser Hollywood-Actionrollen, in denen dem Helden das Hemd im ersten Akt heruntergerissen wird, sodass man sehen kann, wie viel Zeit er im Fitnessstudio verbracht hat.«38

Roger Ebert impliziert, dass der Film die Beschäftigung der Populärkultur und insbesondere der Medienkultur seit den 1980er Jahren mit dem erotisierten männlichen Körper reflektiert, die von Bodybuilding, Baywatch (USA 1989-2001) und Jogging bekannt ist, was einen anderen Kritiker dazu verleitete, DIE HARD als »körperintensiven, kardio-vaskularen Fitnessfilm« zu bezeichnen39.

Nicht zuletzt aufgrund des Fernsehens und seiner Fähigkeit, Sportlern durch Großaufnahmen eine besondere Art des körperlichen Glamours zu verleihen, hat sich das Bild des männlichen Körpers in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert. Zeitlupe und Wiederholungen haben den Fernsehfußball zu einer der lukrativsten Unterhaltungsformen aller Zeiten gemacht und darüber hinaus dafür gesorgt, dass dieser traditionell rein männliche Zuschauersport auch für ein weibliches Publikum interessant wurde. Der männliche Körper in allen Medien ist zum großen Geschäft und zum visuellen Spektakel geworden, im Gegensatz zum männlichen Körper im klassischen Kino, wo er – abstrahiert von seiner physischen Manifestation (außer in der Pornografie) – weder erotisiert noch »markiert« war (aus Furcht, den homosexuellen Subtext, der in Hollywood immer präsent war, zu unterstützen40). Obwohl es Ausnahmen in bestimmten Genres (wie dem Boxerfilm und dem Kriegsfilm), bei bestimmten Stars (Clark Gables Netzhemd) und bei bestimmten Regisseuren (vor allem Anthony Manns Western und beinahe alle Filme von Robert Aldrich) gibt, hat das klassische Kino seine Männer ganz überwiegend bekleidet und physisch unbeschädigt gezeigt: Ihre ödipalen Wunden sind symbolisch geblieben, die körperliche Hülle weitgehend unversehrt. Ganz anders in DIE HARD, wo Bruce Willis’ Körper ausgestellt und vorgeführt wird. Indem er physisch verwundet und unerbittlich bestraft wird, kommt McClanes Verletzlichkeit grafisch ins Bild; tatsächlich wird sein Körper »somatisiert«, und damit auch die Zuschauer: Wir »fühlen«, wie schmerzhaft es ist, wenn man über zerbrochenes Glas läuft und die zarte Haut an den Fußsohlen aufreißt und blutet.

Filmwissenschaftler haben diese Betonung der männlichen Haut als Oberfläche – zart wie Fleisch, im buchstäblichen Sinne des Wortes – vielfach in Theoretisierungen der sich verschiebenden Geschlechterverhältnisse und insbesondere der Darstellung von Schwulen kommentiert. Ob als Pinups für die visuelle Lust männlicher und weiblicher Zuschauer oder in Szenen mit gleichgeschlechtlichem physischem Kontakt zwischen Männern verschiedener Ethnien, Hollywood hat nicht gezögert, Trends der Mode- und Werbewelt sowie anderer Bereiche der populären (Sub-)Kultur zu folgen, um das, was einst mit »Devianz« oder »Perversion« bezeichnet wurde, konsumierbar zu machen. Ich erinnere hier an die These von Pfeil, der das Fallen der einst tabuisierten »Rassenschranken« in der Darstellung von Männern mit der problematischen »multirassischen Gemeinschaft« der ungelernten Arbeiter in Verbindung bringt, die sich als Reservearmee in schlechtbezahlten Dienstleistungsindustrien sammeln. Wiederum bemerkenswert ist, dass DIE HARD aussieht, als hätten seine Macher die gesamte relevante kulturwissenschaftliche Literatur gelesen, als wollten sie »jedem etwas bieten«. Mit dem »gemischtrassigen« Buddy-Motiv (McClane und Al Powell und ihre tränenreiche Schlussumarmung), mit dem »Johnson and Johnson«-Witz der zwei FBI-Agenten (»nicht verwandt«) und mit dem Latino-Kindermädchen, das strukturell im Verhältnis zu Holly dieselbe Rolle besetzt wie Al zu McClane (womit »Nicht-Weiße« klischeehaft als ungefährliche Pfleger und verweiblichte Helfer dargestellt werden), hat DIE HARD sichergestellt, dass die interpretative Gemeinschaft der »Rasse – Klasse – Gender«-Studien einen Festtag hat: Altehrwürdige Stereotypen werden bedient, aber zugleich werden die Kategorien und Grenzen auch so weit aufgeweicht, dass selbst radikale Aktivisten wie Pfeil ein wenig beeindruckt sind.

Weniger beeindruckt ist Sharon Willis. In ihrem Essay über das Genre41, der ein ähnliches Feld abdeckt wie Pfeils, nimmt sie sorgsam eine Unterscheidung zwischen den Formationen von Gender und »Rasse« vor, wenn sie argumentiert, dass letztere Kategorie, gerade weil sie so exzessiv in den Vordergrund gerückt wird, der uneingestandene Angelpunkt der ideologischen Konstruktion von DIE HARD bleibt. Sie sieht den Film nicht die Kodifizierungen von »Rasse« in solche des »Geschlechts« verwandeln, sondern für sie ist ein ständiges Gleiten und Umkehren am Werk. Dieses Hin und Her ist symptomatisch für den Handel zwischen »Rasse« und Gender aus der Sicht der krisengeschüttelten Männlichkeit; von hier gehen verschiedene »erotische Ökonomien« aus, die als Konsequenz nach sich ziehen, dass »schwarz« und »weiblich« sich als inkompatibel herausstellen und nicht im gleichen diskursiven Raum existieren können. Für sie bleibt deshalb »Rasse« das tatsächliche Trauma des »gemischtrassigen« Buddy-Films, das durch hemdsärmelige Homoerotik, ausgestellte Körper und eine liberale Darstellung der Kommunikation zwischen Schwarz und Weiß im Dienste des Gesetzes (der Polizei) verdeckt wird. Diese Strategie verleugnet die ganz reale Unfähigkeit des weißen Amerika, mit seinem eigenen Rassismus fertigzuwerden: Schwarze in den USA verkörpern weniger das Gesetz, als dass sie vielmehr das Gesetz ihren Körpern eingeschrieben haben in den Strafinstitutionen, die sie in so unproportional hohem Masse bevölkern. Der Liberalismus oder die »Freiheit«, die sich der Film in seinen Darstellungen herausnimmt, sowie die fortwährenden sexuellen Anspielungen und physischen Höchstleistungen sind die Maske, die sich ein zutiefst reaktionäres Genre aufsetzt, um noch die kleinsten sozialen Räume und die klischeebeladensten diskursiven Orte, die für Nicht-Weiße reserviert sind, zu reklamieren und die Linien der Geschlechter- und »rassischen« Differenz noch deutlicher nachzuzeichnen.

[Bild 18&19: Ein Fest für »Rasse«-, Klasse- und Gender-Studien: ...]

Transnationalismus, Postkolonialismus, Globalisierung

Sharon Willis’ Bemerkungen und Pfeils Argument treffen sich darin, dass der nicht zu überschreitende Horizont des postklassischen (oder, in Pfeils Terminologie, postmodernen) Kinos der transnationale-globale Kapitalismus ist. Wenn wir nach einem historischen Rahmen suchen, in dem wir die tektonischen Platten und sich verschiebenden Oberflächen der Identitätspolitik von DIE HARD verorten, dann erscheint der Hinweis auf die Informationsgesellschaft der Dienstleistungen und das »Outsourcen« der Arbeit in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten durch multinationale Unternehmen auf der einen Seite und auf die Sorgen und Nöte der urbanen Afroamerikaner auf der anderen Seite überzeugend. Und doch stürzen uns diese politischen Reflexionen andererseits in wenigstens zweierlei Hinsicht nur noch tiefer in die selbstreferenziellen double binds, die so typisch für den postklassischen Modus sind.

Zum einen erlaubt sich DIE HARD einen Witz über die Bedingungen seiner eigenen Möglichkeiten. Für das Hauptquartier der Nakatomi Corporation, den zentralen Schauplatz des Films, diente das damals brandneue Century-Plaza-Bürohochhaus, Sitz der 20th Century Fox, der Produktions- und Vertriebsgesellschaft, für die Gordon und Silver diesen Film und seine Fortsetzungen herstellten. Der Witz ist doppeldeutig: Indem sie ihre eigene Immobilie als Drehort nutzen, haben sie eine clevere Investition gemacht, doch darin steckt auch die Ironie, dass sich das Budget eines Blockbusters in den 1980er Jahren zunehmend den Baukosten eines Bürohochhauses annäherte. Die Tatsache, dass die Produzenten den Turm im halbfertigen Zustand nutzen, nur um ihn dann in Flammen aufgehen und in Trümmern zurückzulassen, ist selbst wieder eine hübsche Note, ein ironisches Dankeschön an die Adresse des Gast- und Auftraggebers.

Die andere Ebene der Selbstreferenz besteht in dem extensiven Einsatz von Signifikanten der »Nation«: der nationalen Identität und internationalen Wirtschaft, vor dem Hintergrund der transnationalen Globalisierung seit dem Zweiten Weltkrieg. Wenn wir davon ausgehen, dass sich der Plot tatsächlich mit den Ängsten der amerikanischen Arbeiterklasse um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze beschäftigt und, allgemeiner, mit der Position der US-Wirtschaft im Wettbewerb mit Japan und Europa (in der Zeit, bevor die New Economy zu ihrem Höhenflug angesetzt hatte, die in den 1990er Jahren die Vereinigten Staaten wieder in Front brachte), dann ist die Auswahl der Nationalitäten und der Ausländer im Film tatsächlich sehr geschickt konstruiert:

»Auch die Terroristen sind eine multinationale Gruppe, die von einem Deutschen namens Hans Gruber (Alan Rickman) angeführt wird, der gut angezogen ist, einen gepflegten Bart trägt, wie ein Intellektueller redet und sich für besser hält als das Gesindel, mit dem er sich abgeben muss. Er hat mit der Präzision eines Uhrwerks einen Plan ausgeklügelt.«42

[Bild 20&21: ... Grenzen werden aufgeweicht]

Wiederum versucht Ebert in seiner Kritik den Geschmack des Films mimetisch wiederzugeben, indem er getreu die zirkulierenden nationalen Klischees reproduziert, bis zur »Präzision eines Uhrwerks«, was noch immer unvermeidlich (Nazi-)Deutschland evoziert. So ließe sich ohne große Schwierigkeiten für die (trans-)nationale Achse ein weiteres semiotisches Viereck entwerfen. Die Schurken sind Deutsche, die Bosse Japaner: Aus der Perspektive der Vereinigten Staaten haben diese zwei Nationen viel gemeinsam. In der Vergangenheit, während des Zweiten Weltkriegs, waren sie ihre bedrohlichsten Gegner, doch jetzt gehören sie zu ihren engsten politischen Verbündeten. Doch selbst zur Zeit, als DIE HARD in die Kinos kam, waren sowohl Japan als auch die Bundesrepublik Deutschland noch immer eine wirtschaftliche Bedrohung, vor allem für die US-Autobranche und damit für das Symbol der produzierenden Industrie, die die USA an das Ausland verlieren könnten. Das binäre Paar Vergangenheit/Gegenwart wird von einem anderen Paar verdeckt, das anders geteilt, doch nicht weniger relevant ist, weil es in der gleichen zeitgeschichtlichen Periode situiert ist, insofern die deutschen Terroristen die Rote Armee Fraktion der 1970er Jahre assoziieren lassen – notorisch antiamerikanisch und provietnamesisch in ihren Bombenattentaten und Mordanschlägen auf US-Militärziele in Westdeutschland –, während jene, die sie besiegen sollen, das FBI und die Polizei von Los Angeles, entweder zu jung sind, sich an das Trauma von Vietnam zu erinnern, oder die älteren Kollegen sogar um ihr Vietnam- Erlebnis beneiden. Wenn sich der Film ungehindert seinen antideutschen Gefühlen hingibt, dann verschont er aber auch die Japaner nicht, selbst wenn diese hier als good guys auftreten. Dieser latenten Feindseligkeit liegt die Furcht vor japanischen Übernahmen zugrunde – nicht zuletzt von Hollywood selbst, wenn wir uns die aggressiven Schachzüge von Gesellschaften wie Sony oder Matsushita in den 1980er Jahren in Erinnerung rufen, die Studios wie Columbia oder Universal kauften. Der Insiderwitz hierbei wäre, dass die Nakatomi Corporation im Hauptquartier eines anderen Hollywoodstudios, der 20th Century Fox, beheimatet ist, das ebenfalls in Besitz eines »Fernostlers« ist, des eingebürgerten Amerikaners, aber gebürtigen Australiers Rupert Murdoch.

Darüber hinaus macht sich eine weniger offensichtliche, aber ebenso überdeterminierte Rivalität zwischen Vereinigten Staaten und Vereinigtem Königreich bemerkbar: Sie ist präsent über den Schauspieler Alan Rickman, der den gewandten Hans Gruber spielt, welcher nach James-Bond-Manier mit dem Vorstandsvorsitzenden der Nakatomi Corporation Name und Adresse seines Schneiders austauscht, bevor er ihn brutal und beiläufig erschießt. Die wahrlich teuflischen und heimtückischen Schurken Hollywoods werden seit jeher von Engländern gespielt (man denke an Laurence Olivier in SLEUTH [Mord mit kleinen Fehlern; 1972; R: Joseph L. Mankiewicz] und THE MARATHON MAN [Der Marathon-Mann; 1976; R: John Schlesinger] oder in jüngerer Zeit an Anthony Hopkins als Hannibal Lecter und an den wandlungsfähigen, aber doch stets diabolischen Gary Oldman). Die Koalition der Ethnizitäten nach Art des Schmelztiegels oder der Salatschüssel, die seit den 1980er Jahren für die US-Film- und Fernsehindustrie obligatorisch geworden ist, ist ebenfalls präsent und wird repräsentiert von den Kontingenten der Iren/Schotten (McClane), der Italiener (Holly Gennaro), der Schwarzen (Al Powell) oder der Hispanics (das Kindermädchen).

Ein besonderer Ort in der interkulturellen und transnationalen Semiotik von DIE HARD ist für Hans Gruber reserviert: internationaler Terrorist, Racheengel, gewöhnlicher Krimineller. Auf der einen Ebene will er Japan und den USA eine (politische) Lehre erteilen, auf einer anderen will er 600 Millionen Dollar in Wertpapieren stehlen (monetäres Instrument der wirtschaftlichen Globalisierung?). Doch wie wir aus seinem vornehmen Betragen und seinen teuren Maßanzügen erkennen können, ist er auch in den Vorstandsetagen der internationalen Wirtschaft zu Hause. Von daher scheint er ein internationaler Terrorist zu sein, der sich als internationaler Banker darstellt, aber sich als gewöhnlicher, wenn auch einfallsreicher Dieb erweist. Auf noch einer weiteren (symbolischen) Ebene ist er eine Figur aus einer anderen Art von Film, weil er ein Meister der Verkleidung ist. Terrorist, Geschäftsmann, Bankräuber, Angestellter und Opfer: Seine Fähigkeit zur Tarnung weist ihn nicht nur als Schurken aus, sondern als Monster wie im Märchen oder im Horrorfilm. Es ist, als seien Gruber (und Karl) Dracula-artige »(Todes-)Trieb-Kreaturen« (statt »Begehrens-Kreaturen«, um eine in der Lacan’schen Psychoanalyse gebräuchliche Unterscheidung zu zitieren), die anscheinend nicht durch gewöhnliche Mittel besiegt werden können, nicht weil sie über übernatürliche Fähigkeiten verfügen, sonder weil sie »unternatürlich« sind: Sie kennen weder Verlangen noch Todesangst, und sie stehen für einen a-persönlichen Lebenswillen. Gleichzeitig steht Gruber scheinbar über den Parteien: Selbst die Polizei von Los Angeles und das FBI helfen ihm, ebenso das Fernsehen und die Medien. Wenn man ihn schließlich strukturell in Beziehung zu McClanes Dilemma von Klasse und Status betrachtet, ist Gruber ein Vermittler und Alter Ego: Er verfügt über ähnlich brutale Gewalt und handwerkliche Geschicklichkeit wie Mc- Clane, aber er gehört auch der Welt der Vorstände und des globalen Kapitals an, mit der sich Holly identifiziert.

Die gleitenden Signifikanten

»On a technical level, there’s a lot to be said for DIE HARD. It’s when we get to some of the unnecessary adornments of the script that the movie shoots itself in the foot.«43

Aller Wahrscheinlichkeit nach wollte Ebert mit dieser Formulierung einen Witz machen, aber man fragt sich, ob er nicht mehr Wahrheit kundtat, als ihm bewusst war. Dem Film jedenfalls kann man nur schwerlich dieses Bewusstsein absprechen, da er gewiss McClanes Füße intensiver fetischisiert als jeden anderen Körperteil, seinen nackten Oberkörper nicht ausgenommen. Angefangen mit dem Mitpassagier im Flugzeug, der McClane rät, seine Zehen zu Fäusten zu ballen, ist das Motiv den ganzen Film hindurch präsent mit Großaufnahmen von McClanes nackten, blutenden und verbundenen Füßen, die sich über den Boden schleppen. Wie kann man, angespornt durch Eberts Witzelei, nicht an den Namen eines mythischen Helden denken und an die Behinderung, die ihm seinen Namen gab: Ödipus, der Klumpfüßige?

[Bild 22-24: Gleitende Signifikanten]

Diese Art der kalauernden Wortspiele – innerhalb und außerhalb des Textes – mag selbst wieder ein Indikator des Postklassischen sein: nicht als Stil, sondern eher als Geisteshaltung der Fans und der Kritiker gleichermaßen. Es besteht sicherlich kein Mangel an plumpen und geistreichen, hintergründigen und drolligen Wortspielen im Film, was noch durch Bruce Willis’ Starimage als unbezähmbaren Besserwisser und Witzbold in vielen seiner Rollen vor und nach DIE HARD unterstrichen wird. Dieser Trend wird, wie angedeutet, verstärkt durch den Einfluss, den Marketingexperten auf die Herstellung von Blockbustern gewonnen haben, und durch die erhöhte Bedeutung von Werbeslogans und zitierfähigen Aussprüchen (als Vermarktungskonzepten). Doch anstatt sie als solche zu betrachten, möchte ich sie mit dem verdächtig semiotischen Begriff »gleitende Signifikanten« bezeichnen, um die variablen Beziehungen eines Wortspiels zwischen Signifikant und Signifikat anzudeuten. Wo die Sprache die Pluralität auf der Seite der Signifikanten nutzt (verbale oder visuelle Dubletten), da nutzt der Film Pluralität auf der Seite der Kontexte (Ambiguität, Ironie und Umkehrung gestatten es auch den Signifikaten, also den Bedeutungen, zu gleiten). Obwohl dies lediglich eine Erweiterung des strukturellen Gebrauchs von Symmetrie und Wiederholung im klassischen Kino ist, werden solche Wortspiele im postklassischen Modus zugleich inszeniert und verdichtet, sie lenken die Aufmerksamkeit auf den Kunstgriff selbst und auf die Umkehrbarkeit der Relationen und Situationen, um die es geht. Mit der Bezeichnung dieser Momente der Verdichtung als gleitende Signifikanten wird die Aufmerksamkeit auch auf ihre »Mobilität« und ihr »Driften« gelenkt, da sie nicht nur zwischen verschiedenen Referenten fließen und gleiten, wie Witze dies immer tun sollten, sondern auch vom Inneren eines Films zu seiner Werbung und Verpackung wandern und manchmal sogar, wie McClanes Kriegsschrei (»Yippee-kayay, motherfucker!«), in die Alltagssprache der Populärkultur eingehen. Schließlich soll auch auf eine weitverbreitete Ansicht über das postklassische Kino angespielt (oder diese in Erinnerung gerufen) werden, nämlich dass es Oberfläche und das Äußere, auch im Sinne des Rekto und Verso, sind, die Bedeutung organisieren, und nicht, wie in der Hochkultur, Tiefe und Innerlichkeit. Doch sollte man sich damit nicht der vorherrschenden Meinung anschließen, dass ein Bearbeiten der Oberfläche gleichbedeutend ist mit intellektueller oder emotionaler »Oberflächlichkeit«.

Gute Beispiele dafür, wie das Kino die verbalen Oberflächen eines Textes bearbeitet, finden sich in Namen und Titeln. Dies ist freilich nicht auf das Kino allein beschränkt und noch weniger ein exklusives Merkmal des Postklassischen. Wir müssen nur an Charles Dickens’ Romane denken, in denen Namen wie Mr. Gradgrind, Mrs. Sparsit, Mr. Bounderby, Mr. Harthouse und Mrs. M’Choakumchild (aus Hard Times) für sich genommen schon die moralische Atmosphäre einer fiktional abgeschlossenen Welt definieren. Auch im klassischen Kino könnte man eine Reihe von Beispielen anführen, von Mrs. Ruttland in THE BIG SLEEP (to rut = in der Brunst sein) bis zum mittleren Initialen »O.« von Roger Thornhill in NORTH BY NORTHWEST. In seinem Essay zu THE MOST DANGEROUS GAME hat Kuntzel das dreifache Wortspiel des Titels erklärt, doch wäre dies kaum nötig gewesen, denn im Film legt der Schurke selbst, Graf Zaroff, die unterschiedlichen Bedeutungsebenen von game (Spiel, Tier) ausführlich dar.

Der postklassische Modus bricht wiederum nicht mit diesem seit langem existierenden Standard der populären Fiktion in verschiedenen Medien, sondern treibt diese Entwicklung energisch auf die Spitze. Es ist kein Zufall, dass John (McClane) als Rivalen Hans (Gruber) hat, sind ihre Vornamen doch in ihren jeweiligen Sprachen identisch. McClanes Name assoziiert das schottische Wort »Clan«, also »Familie«, was wiederum der ursprünglichen Bedeutung des Mädchennamens seiner Frau, »Gennaro«, nahekommt. Ihr Vorname »Holly« erinnert (angloamerikanische) Zuschauer an Weihnachten, während »Tagaki«, der Name ihres Vorgesetzten, auf Japanisch »großer (Tannen-) Baum«, aber auch paterfamilias heißt. Johnson und Johnson, die beiden FBI-Agenten, sollen sicher nicht an Babypuder denken lassen, sondern vielleicht an das größten Verlagshaus für schwarze amerikanische Magazine (gegründet von John H. Johnson), während Al Powell seine »Freundeskraft« (pal power) für John McClane unter Beweis stellt. Er kauft auch seine Süßigkeiten (hostess cake), während einer der Terroristen beim Bewachen der Geiseln (hostages) der Versuchung nicht widerstehen kann, Süßigkeiten zu stehlen.

In DIE HARD lagert sich diese Mehrdeutigkeit, Polysemie und Ironie auch um den Titel ab: mehrdeutig insofern, als ein die-hard jemand ist, der nicht leicht aufgibt wie McClane, aber auch jemand, der sich weigert zu sterben, was im Film auf Grubers Kompagnon Karl zutrifft, dessen (Todes-)Trieb ihn fast absurd unzerstörbar macht. Die Polysemie besteht darin, dass das Wort hard sich aufs Bruce Willis’ Starimage als Actionheld mit einem harten Körper bezieht wie auch auf McClane als harten Mann (der sich nicht bei seiner Frau entschuldigen will, bis es beinahe zu spät ist) und auf die Rolle, die »Klasse« im Film spielt (hard-hat bedeutet Arbeiterklasse). Ironisch am Titel ist schließlich, dass – wie Pfeil mit einem Zitat aus Webster’s Dictionary klar macht – die-hard auch einen extremen Konservativen bezeichnet, so als ob der Film seinen progressiven Kritikern eine lange Nase zeigen wollte.

Diese Spiele mit Bedeutung müssen nicht notwendigerweise verbal sein, auch wenn selbst die visuellen oft einen impliziten linguistischen Referenzpunkt benötigen: Weil Weihnachten ist, liegt die Idee von Schnee in der Luft, wie unpassend auch immer dies im Süden Kaliforniens sein mag, trotz des Vaughn-Monroe-Songs Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow! oder Argyles abschätziger Bemerkung. Doch in einer der ersten Szenen im Nakatomi-Gebäude sehen wir Ellis Kokain (»Schnee«) schnupfen, und am Ende wird die aufragende Ruine des Turmes so etwas wie ein Weihnachtsbaum, von dem Tausende von Blättern wie Schneeflocken herunterrieseln, womit John und Holly McClane schließlich doch noch ihre weiße Weihnacht bekommen.

Die Tatsache, dass solche verbalen und visuellen Gags selbst die scheinbar unbedeutendsten Elemente durchdringen, sagt viel über den Professionalismus, der in die Herstellung des angeblich »hirnlosen Spaßes« von Hollywood einfließt. Als fortlaufender Metakommentar in Moll erinnert er den Zuschauer auch an die besondere Rhetorik, die aus Differenz und Ähnlichkeit, aus Metapher und Metonymie Bedeutung herstellt, die ihn auf die Einführung etwa eines besonderen Objektes vorbereitet, das mehrfach motiviert ist und sinnstiftende Kraft an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Kontexten ausstrahlt. Ein solches symbolisches – oder totemistisches – Objekt ist Hollys Rolex. Es kondensiert eine ganze Reihe von Motiven wie ihren raschen Aufstieg im Unternehmen, ihren Status als arbeitende Frau und ihr ambivalentes Verhältnis zu Ellis, der sie dazu drängt, die Uhr McClane zu zeigen, halb stolz auf sie und halb neidisch. Doch der glorreiche Rolex-Moment kommt, wenn Holly von ihrer Uhr Abschied nehmen muss, um ihr Leben zu retten. Als McClane die Uhr schließlich sieht, streift er sie von ihrem Handgelenk ab: Die Uhr, die symbolisch aufgeladene Ikone ihrer Unabhängigkeit, tritt in das Drama als Hitchcock’sche Handschellen ein, wobei die Wahl nicht schwerfällt – es geht um Leben und Tod. Doch die Tatsache, dass Gruber sich daran festklammert, ist wie eine Verschiebung von Hollys Wunsch, daran festzuhalten, als wertvollen Platzhalter ihrer Identität als »arbeitende Mutter«, sodass es doppelt ironisch ist, dass McClane derjenige ist, der den Verschluss öffnet. Diese wiederholten Auftritte der Rolex an verschiedenen Gabelungen der Handlung weisen der Uhr eine Funktion zu wie einer semantischen Batterie, die an den narrativen Kreislauf angeschlossen wird, um immer wieder mit Bedeutung aufgeladen zu werden. Auf ihre Art ist auch die Rolex ein gleitender Signifikant: niemals mehr als in dem Moment, als sie mitsamt Gruber von Hollys Handgelenk gleitet.

Doch wenden wir uns jetzt einem Wortspiel zu, das zunächst gar nicht wie eines aussieht und deshalb einer besonderen Behandlung bedarf, weil es ein Rätsel und ein Mantra ist – die traditionellen Arten, enigmatische Sprache für »seriöse« Zwecke einzusetzen, also wiederum nichts, was ausschließlich dem postklassischen Modus zu eigen ist. Wir denken an den Ratschlag, den McClane im Flugzeug erhält: »Ballen Sie Ihre Zehen wie Fäuste.« Auch wenn es gut gemeint ist, so stellt sich das Mantra als desaströs wie auch hellseherisch in einem ganz anderen Kontext als in dem ursprünglich gemeinten heraus. Desaströs, weil sich McClane durch das Befolgen des Ratschlags auf der Toilette eingeschlossen findet, nicht (wie Vincent Vega in PULP FICTION [1994; R: Quentin Tarantino]) mit heruntergelassenen Hosen, sondern mit ausgezogenen Socken. Seherisch insofern, als sein Rückzug auf die Toilette bedeutet, dass er dem Überfall und der Geiselnahme entgeht. Wie in der klassischen Analyse fungiert die Phrase auch figurativ in einem weiteren Kontext, dem des zentralen Widerspruchs des Films zwischen »männlich« und »weiblich«, für den sie bereits die Begriffe der möglichen Lösung vorhersagt und bereitstellt. Wie? Indem kulturelle Konnotationen von Körperteilen genutzt werden, die geschlechtsspezifisch sind. »Faust« deutet relativ eindeutig auf Männlichkeit und Gewalt hin, doch was ist mit den »Zehen«? »Ballen Sie Ihre Zehen« spielt auf gefesselte Füße an, mit deutlich weiblichen Konnotationen. Dies wird unterstrichen, wenn man an die Verbände denkt, die McClane später tragen muss, um die Blutung zu stoppen. Die Metonymien von Zehen/Füßen/Sohlen/Blutung/Verband unterstreichen die Assoziationen von Weiblichkeit und geben so einen Schlüssel für die metaphorische Bedeutung von McClanes blutenden Füßen: Sie sind Teil seiner »Feminisierung«, seiner schmerzhaften Reise zur Entschuldigung, seines Lernens, verwundbar zu sein, seiner Anerkennung der Innen- und Unterseite seiner knallharten Widerstandsfähigkeit und seines muskelbepackten Männlichkeitspanzers. »Ballen Sie Ihre Zehen zu Fäusten« muss von innen nach außen gelesen werden und von hinten nach vorne, um die heilende Formel für McClanes Dilemma als Macho preiszugeben: »Mache Zehen aus Deinen Fäusten«, also, gestehe die weibliche Seite der Männlichkeit ein, öffne die Gewalt auf Verletzlichkeit hin. Um ein guter Vater und Ehemann zu sein, muss der alte Macho zum neuen Mann werden – bevor er wieder zum neuen alten Macho werden kann: Diesen Stadien eifert McClane nach, und sie folgen der klassischen narrativen Triade vom Zustand des Gleichgewichts über die Destabilisierung bis zum neu und besser hergestellten Gleichgewicht, die Pfeil gerade in DIE HARD vermisst hatte. Als Prophezeiung gelesen, sagt der Ratschlag McClanes Drama voraus; in der Rückschau (und von hinten, als kodierter Diskurs der Geschlechtlichkeit) bezeichnet die Botschaft des Sitznachbarn, wie das Rätsel der Sphinx für Ödipus, sein Dilemma und gibt ihm die Begriffe seiner möglichen Errettung mit auf den Weg.

Ein paralleler Handlungsverlauf der Rückführung in traditionelle Geschlechterbilder lässt sich für Holly feststellen. Sie muss alle ihre (traditionell männlichen) professionellen Merkmale ablegen: Zunächst wird sie als Handelnde dargestellt, und sie übernimmt (wie ein Mann) die Kontrolle, nachdem ihr Boss erschossen wurde. Doch in der direkten Konfrontation mit Gruber »fällt« sie auf weibliche Forderungen »zurück«: ein Sofa für ihre schwangere Kollegin und die Erlaubnis für die Frauen, zur Toilette zu gehen. Zur Geisel wird sie nicht als Chefin der Firma, sondern als Ehefrau von John McClane und verwandelt sich damit wieder zum stereotypen Tauschobjekt zwischen Männern. In einer anderen Szene sieht man sie bei der schwangeren Frau sitzen, und sie wirkt wie eine Hebamme. Am Ende bekommt sie John zurück, doch sie wird gründlich auf ihre Rolle als Mutter und Pflegerin reduziert mit nur einem Trost: Sie ballt ihre »Zehen« zu einer Faust, als sie dem Journalisten einen Schlag aufs Kinn verpasst, ehe sie dann mit McClane davongeht – die klassische »Vereinigung des Paares« hat sich in eine postklassische Wiedervereinigung des Paares verwandelt.

Mit seinen weitreichenden Assoziationen, seiner »transgressiven« Qualität und auch seiner thematischen Ökonomie und Verdichtungskraft erfüllt der gleitende Signifikant »Zehen/Faust« tatsächlich, so glaube ich, die Kriterien des Postklassischen, zumindest in der Form, in der ich es hier diskutiert habe. Doch auf der anderen Seite bleibt das Postklassische das Klassische, wenn auch verschieden, wobei »verschieden« eher im (dekonstruktivistischen) Sinne von »verschoben« verstanden werden sollte, denn als Verlängerung und Verzögerung, was schließlich eine der Bedeutungen des Wortes »post« ist, nämlich die Markierung einer temporalen Verschiebung statt einer substanziellen oder qualitativen.

5. Fazit

Inwieweit habe ich, indem ich die postklassische Lesart von der klassischen abgeleitet und sie ihr nicht gegenübergestellt habe, die Frage nach dem Gegensatz von Spektakel und Handlung beantworten und die polemische Opposition »klassisch/postklassisch« auflösen können? Ausgegangen bin ich von der Annahme, dass die Grenze zwischen dem klassischen und dem postklassischen Kino eher eine Funktion des kritischen Blicks und der kritischen Aufmerksamkeit ist, als dass der Film selbst als Artefakt oder Objekt eine bestimmte Entscheidung in die eine oder andere Richtung behauptet oder verlangt. Sobald man die Bedeutung von Handlung und Spektakel erklärt hat, wie ich es hier versucht habe, kann man die Grenze zwischen dem Klassischen und dem Postklassischen im Kontext des übergreifenden Status des Films wahrnehmen: Nicht nur haben wir es mit einem logisch und narratologisch lesbaren »Text« zu tun, sondern auch (angesichts des Drucks, den Technologie, Konsumverhalten und Zuschauererwartungen auf das Mainstreamkino ausüben) mit einem kohärent orchestrierten »Erlebnis«. Mein Argument ging dahin, dass man die Kategorie des Spektakels weniger im Sinne des visuellen Exzesses betrachten sollte oder als indiziert durch physische Gewalt und ein spektakuläres Ausstellen der Technologie, nicht einmal als jene Momente, in denen das »Zeigen« an sich die (narrativen) Gründe für das Zeigen übertrifft. In dem breiteren Kontext jenseits der binären Gegensätze konnotiert das »Spektakel« eine andere Art von Selbstdarstellung oder eine bestimmte Variante des reflexiven »Wissens« um die Kodierungen, die die klassische Darstellung und ihre Genrekonventionen beherrschen und die nun so offen liegen, dass der Zuschauer als Mitwisser daran teilhaben kann. Diese Art des Spektakels manifestiert sich unter anderem im Einsatz der von mir so genannten gleitenden Signifikanten; ein Exzess der Signifikation und der Bedeutungserzeugung, der sich an die visuellen, verbalen und auditiven Materialien heftet und das semantische Spiel (Wortspiele) und die Oberflächendarstellung (spiegelglatter Look) wie auch die (Ton- und Bild-)Spezialeffekte hervorhebt. Wie wir gesehen haben, spielt in DIE HARD der Signifikant »Glas« eine solche Rolle: Als semantisches Kennzeichen, materielles Objekt, piktoriales Thema und Toneffekt ist es narrativ integriert als eine effiziente dramatische Ressource und verleiht damit DIE HARD eine vielschichtige, multimediale, polysemische »Textur«: Glas als Material wie auch als Metapher wird performativ, um so zu einem Teil der somatisch-körperlichen Erfahrung des Films zu werden.

Es ist dieses Wissen um und das Spielen mit dem eigenen Selbstverständnis wie auch mit der eigenen Rolle auf dem Markt der Populärkultur und Kulturpolitik, das dem Film seine multiplen Zugänge für unterschiedliche Zuschauergruppen verleiht. Dies umfasst die Bedürfnisse von Fans, von technischen Aficionados, von radikalen Intellektuellen und von definitionshungrigen Wissenschaftlern, wird aber auch einer neuen Art der Warenform des Hollywoodproduktes gerecht, die es dem interaktiven Videospiel angleicht: Damit ist angedeutet, dass der postklassische Film weiß, dass er nicht nur das angeblich homogene Publikum der USA erreichen muss, sondern das inzwischen hochspezialisierte, kulturell und ethnisch diversifizierte Publikum von globalem Ausmaß, unter dem beispielsweise Frauen einen hohen Prozentsatz selbst bei Actionfilmen ausmachen.

Mit anderen Worten: Im Endeffekt entscheidend für das postklassische Kino, und die Kategorie zugleich begrenzend und überschreitend, ist das »Wissen« gewisser Filme, dass sie postklassisch sein müssen, um am Weltmarkt teilhaben zu können. Aus der Sicht der Produktion stehen die postklassischen Filme in einer Tradition: Sie beherrschen die Codes des Klassischen, und sie scheuen sich nicht, diese Beherrschung als »Spiel« auszustellen. Und zwar indem sie das, was zunächst gegen das Klassische opponiert, absorbieren, transformieren oder sich aneignen – seien es andere Traditionen des Filmemachens wie das europäische Autorenkino oder das asiatische Kino, Fernsehwerbung oder sogar Installationskunst, oder seien es die kulturkritischen und identitätspolitischen Diskurse rund um die Formationen von »Rasse«, Klasse, Gender und Nation. Aus der Sicht der Rezeption ist es dieses Wissen – das, wie wir angedeutet haben, sich ohne Weiteres der hinterfragenden Reflexion einer theoretischen oder politischen Kritik anpassen kann, wenn es vom hochglänzenden, glatten und verchromten Oberflächen- »Look« des Films gespiegelt wird –, das mit seinen vielfachen reflexiven Drehungen dem Etikett »postklassisch« seine stichhaltigste Geltung und letztlich seine einzige stabile Anwendbarkeit verleiht. Die »Arbeit« der klassischen Narration – Traumarbeit, textuelle Arbeit und ideologische Arbeit – wird, so scheint es, zum Ort des Spielens, zur Playstation des Post-Postklassischen. Das würde, wenn dem so ist, tatsächlich den Übergang zu einem anderen Paradigma erfordern.

Notes

1

Zur Verwendung des Begriffs »Rasse« vgl. Anmerkung 2 im ersten Kapitel dieses Buches.

2

DIE HARD 2 (Stirb langsam 2; 1990; R: Renny Harlin); DIE HARD WITH A VENGEANCE (Stirb langsam: Jetzt erst recht; 1995; R: John McTiernan); LIVE FREE OR DIE HARD (Stirb Langsam 4.0; 2007; R: Len Wiseman).

3

Tim Corrigan: A Cinema without Walls. Movies and Culture after Vietnam. New York: Routledge 1991.

4

Vladimir Propp: Morphologie des Märchens. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1975.

5

Peter Wollen: Readings and Writings: Semiotic Counter Strategies. London: Verso 1982.

6

Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie I. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1978.

7

Algirdas J. Greimas: Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen. Braunschweig: Vieweg 1971.

8

Bill Nichols: Movies and Methods. Berkeley: University of California Press 1976, S. 493-529.

9

Colin MacCabe: Realism and Cinema: Notes on Some Brechtian Theses. In: C.M.: Theoretical Essays: Film, Linguistics, Literature. Manchester: Manchester University Press 1985, S. 33-57; Colin MacCabe: Theory and Film: Principles of Realism and Pleasure. In: Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology: A Film Theory Reader. New York: Columbia University Press 1986, S. 179-197.

10

Robert Stam: Subversive Pleasures: Bakhtin, Cultural Criticism, and Film. Baltimore: Johns Hopkins University Press 1992.

11

Roland Barthes: S/Z. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2007.

12

Julia Lesage: S/Z and RULES OF THE GAME. In: Bill Nichols (Hg.): Movies and Methods. Volume 2. Berkeley: University of California Press 1986, S. 476-500.

13

Thomas Elsaesser / Warren Buckland: Studying Contemporary American Film. A Guide to Movie Analysis. New York: Oxford University Press 2002.

14

Michael Hauge: Writing Screenplays That Sell. London: Elm Tree Books 1988, S. 83.

15

David Bordwell / Janet Staiger / Kristin Thompson: The Classical Hollywood Cinema. Film Style & Mode of Production to 1960. London: Routledge 1985.

16

David Bordwell: Narration in the Fiction Film. London: Routledge 1985.

17

Bordwell/Staiger/Thompson 1985, a.a.O., S. 11.

18

Raymond Bellour: The Analysis of Film. Bloomington: Indiana University Press 2000, S. 72.

19

Ebenda.

20

David Bordwell: Classical Hollywood Cinema: Narrational Principles and Procedures. In: Rosen 1986, a.a.O., S. 18.

21

Bellour 2000, a.a.O., S. 205-206.

22

Mary Ann Doane: The Desire to Desire: The Woman’s Film of the 1940s. Bloomington: Indiana University Press 1987.

23

Bellour 2000, a.a.O.

24

Vgl. Bellours Analysen von Hitchcocks NORTH BY NORTHWEST [Der unsichtbare Dritte; 1959] oder die abschließenden Bemerkungen in seinem Essay über GIGI. In: Bellour 2000, a.a.O.

25

Ebenda, S. 69-76.

26

Christian Metz: Film Language: A Semiotics of the Cinema. New York: Oxford University Press 1974, S. 108-146.

27

Stephen Heath: Film and System: Terms of Analysis. In: Screen, Frühjahr 1975, S. 7-77; Screen, Sommer 1975, S. 91-113.

28

Bordwell 1985, a.a.O., S. 40-47.

29

Edward Branigan: Narrative Comprehension and Film. New York: Routledge 1992, S. 125-140.

30

In seinem Buch On the History of Film Style setzt sich Bordwell zum Beispiel mit Noël Burch und Jean-Louis Comolli auseinander und vertieft die Analysen des frühen Kinos von Barry Salt, Kristin Thompson, Ben Brewster und Yuri Tsivian. Vgl. David Bordwell: On the History of Film Style. Cambridge: Harvard University Press 1998.

31

Thierry Kuntzel: The Film Work, 2. In: Camera Obscura, Frühjahr 1980, S. 6-69.

32

Siehe http://us.imdb.com/Goofs?0095016 für eine Liste der vermeintlich falschen Anschlüsse.

33

Algirdas J. Greimas: The Interaction of Semiotic Constraints. In: P.J. Perron / Frank Collins (Hg.): On Meaning: Selected Writings in Semiotic Theory. Minneapolis: University Minnesota Press 1987, S. 48-62.

34

Stephen Heath: Narrative Space. In: S.H.: Questions of Cinema. London: Macmillan 1981, S. 19-75.

35

Fred Pfeil: From Pillar to Postmodern: Race, Class and Gender in the Male Rampage Film. In: Socialist Review 23, 2/1993, S. 124.

36

Ebenda, S. 124-125.

37

Ebenda, S. 147.

38

Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 15.7.1988.

39

Hal Hinson, Washington Post, 15.7.1988.

40

Steve Neale: Masculinity as Spectacle. Reflections on Men and Mainstream Cinema. In: Steven Cohan / Ina Rae Hark (Hg.): Screening the Male. Exploring Masculinities in Hollywood Cinema. London, New York: Routledge 1993, S. 9-22.

41

Sharon Willis: Mutilated Masculinities and Their Prostheses. In: S.W.: High Contrast. Race and Gender in Contemporary Hollywood Films. Durham: Duke University Press 1997.

42

Ebert 1988, a.a.O.

43

Ebenda.