Fortsetzungen, neue Blicke
Die Gelegenheit, zentrale Aspekte von Der Müll, die Stadt und der Tod aufzugreifen, bot sich Fassbinder zwei Jahre später, unter auf den ersten Blick vollkommen anderen Umständen. Im Mai 1978, während einer Reise nach New York, trennte sich Fassbinder von Armin Meier, der vier Jahre lang sein Liebhaber gewesen war. Meier fuhr allein nach München zurück, während Fassbinder direkt zum Filmfestival nach Cannes reiste. Wahrscheinlich an Fassbinders Geburtstag (dem 31. Mai; die Leiche wurde erst eine Woche später entdeckt) beging Meier im gemeinsamen Apartment Selbstmord, indem er eine Überdosis Schlaftabletten nahm. Sein Tod sorgte für einen kleineren Skandal und wurde von der Boulevardpresse ausgeschlachtet. Der Ruf nach einer gerichtlichen Untersuchung wurde laut, und Fassbinder erhielt anonyme Morddrohungen. Dass Armin Meier mit der Trennung nicht fertig geworden war, zeigte einmal mehr, wie gefährlich es für Fassbinder war zu lieben, und mehr noch, wie gefährlich es für andere war, ihn zu lieben.
Fassbinders Reaktion auf diese Tragödie war, sich in noch mehr Arbeit zu stürzen. Ob es sich dabei um den »üblichen Kniff, Situationen aus dem eigenen Privatleben in Material für Filme zu verwandeln«1 handelte oder ob ein Monument für den toten Freund zu errichten Fassbinders persönliche Form der Trauer gewesen ist, darüber haben Kritiker seither viel spekuliert2. Der Film, der drei Monate später vorlag, ist, obschon dem Andenken an Armin Meier gewidmet, weder eine Biografie noch autobiografisch, nicht einmal die Fiktionalisierung einer homosexuellen Beziehung3.
Trotzdem ist IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN immer als einer von Fassbinders persönlichsten Filmen wahrgenommen worden, dafür sorgte der sensationsheischende Prä-Text ebenso wie die Tatsache, dass Fassbinder den Film nicht nur produzierte, das Drehbuch verfasste, Regie führte, sondern auch hinter der Kamera stand und die Montage besorgte4. Dies allein erklärt natürlich nicht, weshalb IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN in Fassbinders Œuvre einen derart außergewöhnlichen Rang einnimmt. Wilhelm Roth bezeichnete ihn als Fassbinders
»wohl [...] radikalste[n] [Film]. Er macht betroffen gerade durch die Konzentration seiner Mittel. Jedes Selbstmitleid liegt ihm fern: Die mögliche Larmoyanz ist aufgehoben durch eine im deutschen Film vielleicht noch nie so erlebte Härte der Verzweiflung. Volker Spengler als Elvira gibt sich in einer Weise preis, wie es nur durch völlige Identifikation möglich ist; er treibt die Figur dadurch so sehr ins Extrem, daß sie schon wieder künstlich wird, den scheinbaren Naturalismus der Darstellung transzendiert.«5
Von der Eingangsszene, in der Elvira von einigen Homosexuellen zusammengeschlagen wird, als die entdecken, dass sie eine »Frau« ist, bis hin zur Schlusseinstellung, die ihn/sie tot in ihrem Apartment zeigt, umgeben von den wichtigen Bezugspersonen ihres Lebens, lässt der Film nichts aus, schichtet Erniedrigung auf Erniedrigung, führt in eine Sackgasse nach der anderen, erspart dem Zuschauer keine der grausigen Enthüllungen über Elviras Vergangenheit, die Ungerechtigkeiten, die ihm/ihr widerfahren sind, die Schwierigkeiten, die ihr aufgebürdet wurden.
Insofern IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN Momente von Armin Meiers Biografie aufgreift, erzählt der Film von den letzten fünf Tagen im Leben eines Menschen, der Selbstmord begeht, als sein langjähriger Geliebter ihn verlässt und ihn die große Liebe seines Lebens zum zweiten Mal zurückweist. In seinem Anspruch auf eine weiterreichende Bedeutung scheint er näher an Der Müll, die Stadt und der Tod angelehnt als an Meiers Schicksal vor oder mit Fassbinder.
Die Geschichte selbst verläuft unbarmherzig in eine Richtung. Der/die transsexuelle Erwin/Elvira Weishaupt wird eines Morgens durch die unerwartete, aber offenbar lang erhoffte Rückkehr des Freundes Christoph überrascht, der aber nur gekommen ist, um seine Koffer zu packen und ihn/sie zu verlassen. Erwins/Elviras Beschimpfungen und Proteste führen zu einer heftigen Auseinandersetzung, an deren Ende sie halbnackt auf der Straße liegt. Dort wird sie von der Roten Zora aufgelesen, der »Hure mit Herz«, die ihr einen Schnaps spendiert. Sie verbringen den Tag gemeinsam und besuchen den Schlachthof, in dem Erwin einst als Metzger arbeitete, und auch das Kloster, in dem das Waisenkind Erwin von Schwester Gudrun aufgezogen wurde. Als ihn seine ihm entfremdete Ehefrau wegen eines Zeitungsinterviews zur Rede stellt, sucht er/sie den mächtigen Grundstücksspekulanten Anton Saitz auf, dem zuliebe er zur Frau wurde, um ihn wegen seiner/ihrer Indiskretion um Verzeihung zu bitten. Der wiederum erkennt ihn/sie kaum wieder, begleitet ihn/sie aber auf einen Kaffee in seine/ihre Wohnung. Dort schläft Seitz mit der Roten Zora, während eine immer verwirrtere Elvira sich ihre Haare abschneidet, Männerkleidung anzieht und losgeht, um Frau und Kind zu bitten, ihn wieder bei sich aufzunehmen. Aber für eine Rückkehr ins Familienleben ist es zu spät, und in der Nacht wird Erwin/Elvira tot in seiner/ihrer Wohnung aufgefunden.
Selbst solch eine einfache Inhaltsangabe eröffnet eine Reihe von Fragen. Handelt es sich um eine Meditation über unglückliche Liebe? Eine Studie zu sexueller Devianz und der daraus resultierenden Diskriminierung? Geht es um ein Plädoyer für Toleranz gegenüber dem Anderen in seiner/ihrer Andersheit? Oder handelt es sich um eine Studie über die Qualen äußerster Verzweiflung als Folge menschlicher Missachtung und Zurückweisung? Die zeitgenössische Kritik war gespalten. Ein Kritiker bezeichnete den Film als »einen wilden Aufschrei, den Fassbinder tun musste, um gesund zu bleiben«6, während David Robinson den Film als unappetitlich und krass empfand und viel zu untypisch, um noch als Fallstudie durchzugehen7. Demgegenüber zeigte sich Richard Roud, Fassbinders treuester Fürsprecher in den USA, tief berührt und interpretierte den Film als eine »Parabel von den Schwachen, die von den Starken ausgebeutet werden«, die zeige, »dass diejenigen, die Gefühle haben, von denen ausgebeutet werden, die keine haben«8. Andere Kritiker kamen darin überein, dass der Film wenig mit Armin Meier zu tun habe. Sie erkannten ein Statement zu Frankfurt, mehr noch, ein Statement zu der psychischen Verelendung in den seelenlosen Städten des modernen multinationalen Kapitalismus9.
[Bild 1: Erwin/Elvira (Volker Spengler) mit Tochter (Eva Mattes)]
Der rohen, quälenden und verstörenden Kraft dieses schmerzhaft nackten Films kann man sich ebenso wenig entziehen, wie man sie auf einen Nenner bringen kann. Natürlich besteht die Versuchung, beim Biografischen zu bleiben, allein schon, um mit der verwirrenden Bedeutungsfülle zurecht zu kommen. Wenn man deshalb die These wagt, IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN, dessen Anlass so offensichtlich ist, dass alles gegen weitere Subtexte zu sprechen scheint, reagiere auf ein spezifisch deutsches historisches Trauma, so tut man dies nicht ohne Risiko10. Formal ein experimenteller Kunstfilm – ein Kritiker bezeichnete ihn als rau, im Gegensatz zur Glätte des kommerzielleren DIE EHE DER MARIA BRAUN –, konstituiert der Film dennoch eine Erzählung, die (wie alle Erzählungen) als eine imaginäre Lösung eines realen Problems angesehen werden kann. Das allerdings führt zu der strittigen Frage, für welches Problem Elviras scheinbar so sinnloser Tod eine Lösung darstellen mag? Fassbinder selbst hat seinen Film als Lösung verstanden, als er erwähnte, wie wichtig es ihm gewesen sei, diesen Tod zu einer »Entscheidung fürs Leben«11 zu machen. Dem kann man hinzufügen, dass auch Erwins Entscheidung, Elvira zu werden, eine Lösung darstellt – wenngleich eine, die (weil sie nicht dazu taugt, Anton Saitz’ Liebe zu gewinnen) sich als falsch erweist.
So wäre auch diese Erzählung erst einmal als Geschichte einer unmöglichen Liebe zu begreifen, die – wie in den vorangegangenen Kapiteln bemerkt – Fassbinders Filmen oft als emotionale Matrix und narrativer Motor dient, um seine sozio-historischen Allegorien zu entwerfen. Einmal mehr wäre das gewählte Genre das Melodram: mit seinen Teufelskreisen und einer Handlung, die genau registriert, wie verschlossen alle Auswege für die Figuren sind, die ihrem Schicksal zu entkommen versuchen. Aber im Falle von Erwin/Elvira ist das grundlegende Dilemma der sich gegenseitig bedingenden Unmöglichkeiten nicht der Teufelskreis »A liebt B, B liebt C, und C liebt/hasst nur sich selbst«12. In IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN hat Erwin einmal Anton geliebt, der ihn zwar seinerseits nicht liebte, aber andeutete, er könne sich in ihn verlieben, wenn er nur eine Frau wäre. Daraufhin wird Erwin eine Frau und erlebt, wie Anton (im Treatment) in Gelächter ausbricht, anstatt in Erwin »Elvira« (also die Gleichheit in der Verschiedenheit der Person vor ihm) zu erkennen. Seine Verantwortung verleugnend und das Geschenk ausschlagend, zahlt er Erwin/Elvira aus und schickt ihn fort. Als sei dies nicht genug, verschachtelt Fassbinder den Sachverhalt noch einmal, indem er das unmögliche Paar mit einer historisch besonderen, ganz deutschen Unmöglichkeit auszeichnet: Saitz ist Jude und war in Bergen-Belsen13.
Die Tatsache, dass Saitz Jude und Überlebender eines Konzentrationslagers ist, ist nicht die einzige Verbindung zwischen IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN und Der Müll, die Stadt und der Tod. Zudem gibt es einen gemeinsamen Handlungsort (Frankfurt am Main), eine gemeinsame Schlüsselszene (das Treffen mit dem jüdischen Grundstücksspekulanten) und einen Protagonisten, der Selbstmord begeht, was von den übrigen zugleich beobachtet und ignoriert wird. Die offenkundigste Parallele ist jedoch der Monolog eines von Saitz’ Bodyguards gegenüber Erwin/Elvira, als sie durch die leeren Büros gehen:
»Früher war hier die Hölle los! [...] Alte Häuser haben wir gekauft und leergemacht. War ganz schön hart manchmal, können Sie ruhig glauben, aber meistens haben wir es dann doch immer wieder geschafft, weiß Gott! Dann haben wir sie abreißen lassen, unsere alten Schuppen, und haben neue gebaut, Hochhäuser meistens, und die dann gut verkauft. Klasse, nicht? [D]ie Stadt hat uns geschützt. Der Polizeipräsident ist ein Freund von ihm und der Bürgermeister von damals, glaub’ ich, und mehrere Stadtverordnete. Versteht sich von selbst. Übrigens: Der Plan selbst stammte wohl nicht von ihm. Den gab es, Beschlüsse gab es, Entscheidungen gab es. Er hat nur die Schmutzarbeit übernommen, für die, die zwar entschieden hatten, nach außen hin aber den Abstand wahren wollten. Weil sie wiedergewählt werden wollten. Da Macht die wohl mehr befriedigt als irgendein Profit, den sie so lieber verschenkten, zum Beispiel an ihn.«
Für Kenner des Werks transformieren diese Erklärungen IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN in ein Sequel des Frankfurtstücks, das die Periode abdeckt, in der der »Reiche Jude« von den Stadtvätern ausgezahlt worden ist und sein Immobiliengeschäft harte Zeiten erlebt, weil die neuen Bürokomplexe leer stehen14.
[Bild 2: Anton Saitz (Gottfried John) und die Rote Zora (Ingrid Caven)]
Ohne diesen Intertext erinnert die Geschichte von Erwin/Elvira vielleicht mehr an Fassbinders archetypische Opfergeschichte FAUSTRECHT DER FREIHEIT, wo der männliche Protagonist von seinen Liebhabern ausgebeutet und missbraucht wird und schließlich zurückgestoßen im Selbstmord endet. Dass der Selbstmord von Erwin/Elvira halböffentlich vonstatten geht, erinnert an Hans in HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN, der sich vor seinen Freunden zu Tode trinkt. Dennoch handelt es sich bei IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN letztlich nicht um eine Opfergeschichte, denn dazu bedürfte es einer Subjektivität und einer negativen Identität, die Erwin/Elvira trotz ihrer offensichtlichen Qualen und ihres Unglücklichseins nachdrücklich zurückweist. Insofern es sich bei diesem Film um eine Fortsetzung handelt, ist er aber zugleich eine Revision: Die zentrale Beziehung zwischen Erwin/Elvira und Saitz ist von einer anderen emotionalen Energie erfüllt als die Beziehung zwischen Roma B. und dem »Reichen Juden«. Auch sind die Charaktere Christoph, die Rote Zora, Irene und ihre Tochter mit größerer emotionaler Subtilität ausgestattet als vergleichbare Figuren in FAUSTRECHT DER FREIHEIT oder HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN. Diese Bewegung fort von der Opferrolle und hin zur Offenheit hat zu tun mit der Art der Beziehungen Erwins/Elviras zu denen, denen er/sie begegnet. Allesamt zeichnen sie sich durch ein großes Verständnis und noch größere Zärtlichkeit aus15.
Plausibler als das Szenario eines Opfers wäre die Überlegung, es handle sich um eine Geschichte über Außenseiter: Marginalisierte, Abweichler, Fremde, Ausgestoßene und soziale Verlierer. Unter den gezeigten Umständen ist selbst Anton Saitz weit von den Schalthebeln der Macht entfernt, dazu verdammt, sich alte Jerry-Lewis-Filme im Fernsehen anzuschauen und sich bei kindischen Spielchen mit seinen Leibwächtern zu vergnügen. Weiterhin lebt jeder der Außenseiter in seiner oder ihrer eigenen Welt und pflegt nur oberflächlichen Kontakt mit den anderen16. Es gibt Solidarität zwischen Erwin/Elvira und der Roten Zora, aber kaum eine Beziehung zwischen Erwin/ Elvira und all den anderen Anderen: den Kroaten, die ihn/sie zusammenschlagen; Christoph, dem verbitterten »Ehemann«; der Machowelt von Saitz; Saitz’ schwarzem Bodyguard Smolik mit seinem bayrischen Akzent; dem Nordafrikaner mit dem amerikanischen Akzent, der sich in den leeren Büroräumen erhängt; nicht zu reden von den Männern im Spielcenter. Es ist diese Kombination von emotionaler Ehrlichkeit im Umgang miteinander und ihrer fundamentalen Isolation als Außenseiter in einer Gesellschaft ohne Zentrum, die den Figuren ihre trostlose Endlichkeit verleiht und all die falschen Lösungen, die versperrten Auswege als niemandes Schuld und gleichzeitig doch als unausweichlich unterstreicht. Gegen dieses engmaschige Gitter der Hoffnungslosigkeit anzugehen birgt eine andere Dynamik, noch paradoxer, noch verzweifelter, noch utopischer, weil den Gesetzen eines anderen Genres als dem Melodram verpflichtet. Um dies zu verdeutlichen, muss man sich Fassbinders ausführlichen Notizen zuwenden, die dieser während der Vorbereitungen des Films zu Papier brachte.
Fassbinders »unmögliche« Fantasie
Der 40-seitige Entwurf für IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN scheint unmittelbar nach Fassbinders Rückkehr aus Cannes und unter dem Trauma der Verantwortlichkeit für einen Selbstmord geschrieben worden zu sein, denn bereits im Juli und August 1978 wurde der Film in 25 Tagen gedreht. In der veröffentlichten Form ist der Entwurf in drei Teile gegliedert: »1978, ein Jahr« (»in dem emotional sensible Menschen besonders verletzlich sind und sich in Lebensgefahr befinden«), »Eine Biographie« (des Waisenkindes Erwin Weishaupt, verstoßen von der Mutter, aufgewachsen in einem Kloster, eine ausgeschlagene Adoption, eine Lehre bei einem Metzger) und »Ein Film« (die Geschichte der letzten fünf Tage im Leben des/der Transsexuellen Erwin/Elvira, der/die, verlassen vom Liebhaber, bei der Ehefrau und der Tochter keine Aufnahme findet, von dem Mann, dem zuliebe er sein Geschlecht veränderte, betrogen, schließlich im Keller des Schriftstellers stirbt, der seine/ihre Geschichte für die Boulevardpresse ausgebeutet hatte) 17.
So wie die Geschichte von Erwin/Elvira Weishaupt nicht die Geschichte von Armin Meier ist, so ist das Treatment nicht der Film, den Fassbinder drehte oder besser, wie er selbst formuliert: Es gibt ein Jahr, eine Biografie und einen Film. Trotz der quälenden Unmittelbarkeit, die solch einen überwältigenden Eindruck der autobiografischen, direkten Bezugnahme erzeugt, ist der Film sorgfältig konstruiert und gestaltet Erzählfäden, die wenig mit dem zu tun haben, was das Treatment »Eine Biographie« nennt. In dieser Hinsicht lässt der Film jeden Teil des Treatments die anderen kommentieren, so dass Informationen, die im Film nicht vorkommen, als Anhaltspunkte dienen können, die den Ereignissen neue Bedeutungen verleihen. Dennoch ist die Liebesgeschichte von Erwin/Elvira von Beginn an so konzipiert, dass es sie nur deshalb gibt, weil sie in zentralen Aspekten unmöglich ist. Die Gründe für diese Unmöglichkeit sind aber in den Lücken verborgen, die der Film bereitwillig zu schaffen scheint. Während bei anderen unlebbaren Liebesgeschichten, wie zum Beispiel in DIE EHE DER MARIA BRAUN oder LILI MARLEEN, die offensichtlichen Hindernisse den Umständen geschuldet sind (dem Krieg; der Unvereinbarkeit von Liebe und Karriere für eine Frau), liegt die Sache in diesem Fall anders: Es besteht eine derart radikale und extreme Asymmetrie, dass sich allein der Gedanke an einen Liebhaber, an ein Wesen, das lieben könnte und dennoch eine Person, ein Subjekt, eine Identität wäre, zu verbieten scheint. Diese Radikalität enthüllt sich teilweise unterhalb der anderen Unmöglichkeiten, am offensichtlichsten der des Geschlechts und der unmöglichen sexuellen Identität, die den Körper und die Person von Erwin/Elvira charakterisiert. IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN zeigt die leidend-lebendige, unmäßig-maßlose Erscheinung Erwins/Elviras als Ursache wie auch als Ergebnis der unmöglichen Liebe, die ihn/sie mit Anton Saitz verbindet. Als Liebesgeschichte ist sie nicht etwa unmöglich, weil die Liebe zurückgewiesen wird, weil sich die Familien der Liebenden befehden oder auch nur, weil ein Mann einen Mann liebt. Saitz erzählt es: »Er schaute mich immer so komisch an, also fragte ich ihn, was er wirklich denkt. Und er sagte, dass er mich liebe. Darauf sagte ich, dass das wirklich schön wäre, wenn er ein Mädchen wäre. Und er dachte genauso. Und dann passierte es einfach – er war ein Mädchen.« Worum es hier zu gehen scheint ist, dass ein Mann zum Liebhaber wird, indem er die körperlichen Merkmale seiner sexuellen Identität umkehrt, aber nicht, weil er sich als Frau fühlt oder sich mit »der Frau« identifiziert, sondern weil er dadurch zum Liebesobjekt seines Geliebten werden will18. Elviras Liebe macht den anderen zum Herrn ihrer Sehnsucht, indem sie den anderen für ihre Sehnsucht in Verantwortung setzt. Dadurch findet sich Elvira ohne die gesellschaftlich akzeptierten und körperlich gesicherten Zeichen einer Identität wieder – und zwar mit höchstem Risiko der Indifferenz. Dieses Dilemma thematisiert der Film auf zweierlei Weise. Durchgängig vermischt er die Kodierung der Geschlechter: Weder Körper noch Kleidung, weder öffentliches Auftreten noch Personalpronomen erlauben eine Verortung der Person im Sinne von männlich und weiblich, sondern vermehren nur die Orte ihrer Verzweiflung und die Zeichen ihrer Unbekleidetheit. Christoph zerrt die halbnackte Elvira vor einen Spiegel, um ihr zu zeigen, wie unförmig und unattraktiv ihr Gesicht und ihr Körper geworden sind; die Rote Zora nimmt die verzweifelte Elvira mit in die Damentoilette eines Nachtclubs19.
In Schlüsselszenen, wie beispielsweise der Schlachthausszene, trennt IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN Bild und Tonspur: Wir hören Elviras Stimme, sehen ihn/sie aber nicht. Im Kloster bei Schwester Gudrun sehen wir ihn/sie ohnmächtig am Boden liegen, während andere ihn/sie »sprechen«, als seine/ihre Vertreter, die vorgeben, seine Gefühle in dem Augenblick beschreiben zu können, als sich einst seine Adoptionshoffnungen zerschlugen. Aus anderer Perspektive unterscheiden die verschiedenen Stationen von Erwins/Elviras Leben verschiedene soziale Rollen – Liebhaber, Ehemann, Vater, Waisenkind – und auch verschiedene Berufe: den Metzgermeister, den Berater Christophs, die »weibliche« Prostituierte. Insbesondere im Hinblick auf letztere wird die Unmöglichkeit von Identität in der Eröffnungsszene drastisch demonstriert: Ein Mann, der sich aus Liebe zu einem anderen Mann zu einer Frau machen ließ, verkleidet sich als Mann, um Männer anzuziehen, die von Männern angezogen werden, weil er/sie sich schämt, »als Frau« für Sex zu bezahlen. In der Folge wird er/sie zusammengeschlagen, weil die Männer, die er/sie anzieht, nicht auf die erhofften Zeichen der Männlichkeit stoßen und weil sie eine Frau, die sich als Mann verkleidet, verachten. Sexuelle Identität wird hier in einer Folge unmöglicher double binds sowohl inszeniert als auch gleichzeitig ausgelöscht. Es scheint jedoch, dass die Unmöglichkeit einer fixierbaren sexuellen Identität hier so zugespitzt eingeführt wird, um das metaphorische Arsenal und die strukturellen Relationen für eine andere Unmöglichkeit bereitzustellen. Dieser anderen Unmöglichkeit nähert sich der Film im Genre des Science-Fiction-Films, insbesondere dem Zeitreise-Film. Auf den ersten Blick scheint es merkwürdig, eine derart gradlinige Geschichte über die Reise eines Menschen in die Selbstvernichtung als Zeitreise zu bezeichnen, aber es gibt verschiedene Gründe, warum sich dies als das geeignete Genre erweist, um eine Bewegung zu charakterisieren, die in Fassbinders Film die Gegenbewegung zum Melodram stiftet.
Bereits der Titel des Films enthält eine Anspielung auf eine ungewöhnliche Zeitdimension, eine Zeit außerhalb der Zeit. Im Vorspann heißt es: »Und wenn ein Mondjahr gleichzeitig ein Jahr mit 13 Monden ist, kommt es oft zu unabwendbaren persönlichen Katastrophen.« Zweitens besucht Elvira in ihren letzten Tagen die Orte und Stationen, die sein/ihr Leben bestimmt haben, allerdings in umgekehrter Reihenfolge: der Schlachthof, in dem er als Metzger arbeitete, seine frühere Frau und seine Tochter, das Kloster, in dem er als Waisenkind aufwuchs, und vor allem das Hauptquartier von Anton Saitz, dem Mann, dessentwegen er sich seiner Geschlechtsoperation unterzog. Es scheint, als liefe der Film des Lebens von Erwin/ Elvira rückwärts, so wie es im Augenblick des Todes geschehen soll, oder wie es Kurt Vonnegut versucht hat, in seinem Roman Slaughterhouse 5, über den Feuersturm, der Dresden vernichtete. Aber Erwins/Elviras Tod ist nicht so sehr die Vernichtung eines Lebens als vielmehr das erneute Durchleben eines vernichteten Lebens, und zwar auf die Art eines Zeitreisenden, dessen Zukunfts-Vergangenheits-Erfahrung sich durch die Vorhersehbarkeit des Unausweichlichen auszeichnet. Dies geschieht nun im Wissen um die Wiederholung, in dem er/sie Differenz erfahren kann, um daraus Hoffnung zu schöpfen, ohne dem Wiederholungszwang zu erliegen.
Schließlich gibt es einen weiteren Bezug auf Science-Fiction, zwar nicht im Film, dafür aber exponiert im publizierten Treatment20. Wir erfahren, dass Elvira an dem Tag, an dem sie von Christoph verlassen wird, schließlich über der Lektüre eines Science-Fiction-Romans mit dem Titel Welt am Draht einschläft, der auf einer Idee basiert, die ihr unmittelbar als vernünftig und wahr einleuchtet, nämlich dass die Welt, in der sie lebt, nichts als die Versuchsanordnung einer höheren Intelligenz ist, die unter realen Bedingungen menschliche Verhaltensweisen untersucht21.
[Bild 3: Unscharfe Kodierung des Geschlechts: Elvira/Erwin und ihr/sein
Liebhaber (Karl Scheydt)]
Dieser innere Rahmen der Fiktion, ob im Film ausdrücklich präsent oder nicht, bestätigt den Eindruck, dass es sich dabei um eine Welt ohne Transzendenz handelt, in der Hierarchien und Identitäten umgekehrt werden, weil die Leben in der mise-en-abyme ihrer eigenen Unmöglichkeit(en) gelebt werden. Auch Anton Saitz ist in einer Zeitschleife gefangen, nicht nur aufgrund seiner Abhängigkeit vom Auf und Ab der »realen« Ökonomie der Frankfurter Baulöwen und Banken. Indem er den Part von Jerry Lewis spielt, in einem Jerry-Lewis-Dean-Martin-Vehikel, das selbst eine Zeitfalle thematisiert, verfällt Anton in dem Maße einem Wiederholungszwang, wie er versucht, sich dessen Faszination zu entziehen, um einen anderen Bann zu brechen. Wie Jerry Lewis in YOU’RE NEVER TOO YOUNG (Man ist niemals zu jung; 1955; R: Norman Taurog) einen Mann spielt, der versucht ein(e) andere(r) zu werden22, so ist Saitz’ Jerry-Lewis-Routine die Nachahmung des Verhältnisses von Erwin/Elvira zu ihm selbst. Er spielt spiegelbildlich durch, was es bedeutet haben könnte, ein anderer werden zu wollen, um den anderen, der er selbst ist, von der Realität seines Wunschbilds zu überzeugen. Damit begegnen sich Saitz und Erwin/Elvira auf einer gegenläufigen Zeitschleife, die ihre parallelen Leben bestimmt, deren Treffpunkt aber in der Unendlichkeit liegt. Deshalb kann man Elviras Körper durchaus als Zeitmaschine sehen, deren Motorik bestimmt ist durch die Mobilität der Geschlechter, oder besser, deren unterschiedliche Artikulationen – männlich, weiblich, homosexuell, asexuell, transsexuell – aufeinanderfolgen, aber nicht nacheinander als Prozess, sondern durcheinander und asynchron. Die unbeschreiblichen Qualen, die Elvira aus seinem/ihrem Leben beichtet, erscheinen als schreckliche Experimente über die Bedeutung des Mensch-Seins. Erwins/Elviras Körper in seiner Unbestimmtheit wird zu einer Art von »Theater der Grausamkeit«, in dem eine Reihe von Versuchen zur Identität und der Wechselseitigkeit durchgeführt werden.
Negative Symbiose und »Auschwitz-Bonus«
Die jüdische Thematik und »Bergen-Belsen« als Codewort für die Zugangsberechtigung zu Saitz’ Privaträumen hat Fassbinder bei dieser Geschichte über aufgegebene Identitäten den Vorwurf geschmackloser und unpassender Wichtigtuerei eingebracht. Schlimmer noch: Hier wird ein »guter« Deutscher von einem »bösen« Juden zurückgewiesen, verhöhnt und verlacht, als sollten die historischen Fakten auf den Kopf gestellt werden. Solch ein Vorwurf mag gerechtfertigt sein, ginge es tatsächlich um die fiktionale Auseinandersetzung mit einem konkreten Fall. Aber die Grundstruktur des Films, seine Spannung und seine Zeitstruktur sprechen gegen eine solche Annahme. Vielmehr hat die Logik der Episoden ebenso wie die tiefergehende Logik des Problems, das Fassbinder hier zu lösen versucht, zwei Hypothesen zur Voraussetzung. Einerseits das »Wenn-bloß« des Melodrams mit der Spannung des verpassten Moments, der Reue und des nie wieder aufzuholenden Versäumnisses, andererseits das »Was-wäre-wenn« der Science-Fiction mit der Spannung, das Unmögliche zu denken. Wie immer bei Fassbinder konstituiert sich die Handlung als Ansammlung emotionaler und moralischer Blockaden, double binds und Sackgassen. Eine unmögliche Liebesgeschichte, gleichermaßen tragisch und lächerlich; eine leidenschaftliche Hingabe, der mit schroffer Zurückweisung begegnet wird. Aber das Bekenntnis der Liebe wird eigentlich erst zum Bekenntnis, nachdem diese Liebe von einem Reporter öffentlich gemacht wird. Doch selbst im Modus der Kompromittierung erfährt sie eine Zurückweisung, denn Saitz reagiert auf Elviras Indiskretion mit vollkommener Indifferenz. Keine Geste des Verzeihens erlöst sie von ihren Schuldgefühlen, Saitz verraten zu haben. Beide bleiben verstrickt in der ethischen Entscheidung: Wie erkennt man eine Schuld an, wie verhält man sich gegenüber einer angetragenen Verantwortung, wie erwidert man ein Geschenk? Dass es zum Zwiespalt kommt, rührt aus der Tatsache, dass weder der eine noch der andere eigentlich unter den Lebenden ist, wenn man sich ihre tragisch-komplementären Schicksale vor Augen hält. Erwin, so lässt es die »Biographie«, nicht der Film, vermuten, ist ein Waisenkind, ein Produkt jenes infamen »Lebensborn«-Projektes, mittels dessen die Nazis den arischen »Übermenschen« züchten wollten. Anton Saitz dagegen war Kind in Bergen-Belsen, wurde als »Untermensch« stigmatisiert und sollte genau wie seine Eltern ausgelöscht werden. Zwei Deutsche, zwei Waisen, zwei extreme Optionen im Spannungsbogen des Bedeutungsfelds »Rasse«, zwei Leben, die in gewisser Hinsicht bereits ihren Tod hinter sich haben. Denn im Nachkriegsdeutschland war der »Über-Deutsche« aus der Ideologie-Retorte unsichtbar, ein No-Body geworden, während Anton Saitz – gemäß dem alten antisemitischen Klischee einst als »Super-Jude« gefürchtet – ebenfalls zur Un-Person im Frankfurt des Jahres 1978 geworden war23. Aus einer solchen Perspektive erweisen sich Erwin/Elvira und Anton als Spiegelbilder der Unmöglichkeit, wodurch ihre Liebesgeschichte zu einer unerträglich scharfen Konfrontation zweier Menschen wird, die einander wechselseitig der/das Andere sind – durch eine Zeitverschiebung und durch die Geschichte, die für beide ein persönliches Desaster darstellt: für Anton Saitz der Holocaust, für Erwin Weishaupt die »Herrenrasse«-Fantasien des Nationalsozialismus. Als Reaktion auf diese Desaster liefert die Verbindung des Melodrams einer zurückgewiesenen Liebe und die Science-Fiction-Geschichte eines schrecklichen Experiments den doppelten Genrekontext, der es gleichermaßen erlaubt, ein historisches Problem und eine utopische Lösung zu formulieren.
[Bild 4&5: Ein anderer werden: Saitz’ Jerry-Lewis-Imitation]
Das historische Problem betrifft natürlich die Beziehung »der Deutschen« zu »den Juden«. Wie im vorangegangenen Kapitel argumentiert wurde, ist diese Beziehung schlechterdings nicht darstellbar 24, weil es die wechselseitigen Antworten nicht nur nach Auschwitz, sondern auch aufgrund von Auschwitz umfassen müsste, was bedeutet, dass man eine Vergangenheit ebenso wie eine Gegenwart innerhalb eines einzigen Kontinuums denken müsste, das nicht beides beinhalten kann. Deutsche und Juden sind deshalb fürderhin durch eine monströse Schuld und eine fast ähnlich monströse Unschuld aneinander gekettet, was zu einer unausweichlichen Symbiose führt:
»Seit Auschwitz – welch traurige List – kann tatsächlich von einer ›deutsch-jüdischen Symbiose‹ gesprochen werden – freilich einer negativen: Für Deutsche wie für Juden ist das Ergebnis der Massenvernichtung zum Ausgangspunkt ihres Selbstverständnisses geworden; eine Art gegensätzlicher Gemeinsamkeit – ob sie es wollen oder nicht. Solch negative Symbiose, von den Nazis konstituiert, wird auf Generationen hinaus das Verhältnis beider zu sich selbst, vor allem aber zueinander, prägen. [...] Die Erinnerung an Auschwitz, die Präsenz jenes euphemistisch als ›Vergangenheit‹ apostrophierten Geschehens, ergreift verstärkt Besitz vom in Richtung Zukunft flüchtigen Bewusstsein. So mag es scheinen, das einer vergangenen Ereignisgeschichte zugehörige Phänomen Auschwitz habe seine bewusstseinsstiftende Zukunft erst noch vor sich.« 25
Im Herzen dieser Symbiose findet sich ein weiteres Mal die ungelöste, immer wieder zu öffentlichen Fehlleistungen und »Ausrutschern« neigende Doppel-Identifikation, gelebt als ungemütlicher Burgfrieden zwischen einstudierter Vermeidung und vorsichtiger Konfrontation, so wie die deutsch-jüdische Koexistenz innerhalb der Bundesrepublik an den Antisemitismus gebunden bleibt, sowohl in seiner nicht-rekonstruierten, historischen Form wie auch in seiner modernen, aktuellen Version26.
Die Bundesrepublik verfügte, wie bereits ausgeführt, über ein recht engmaschiges Protokoll zur Verleugnung des Antisemitismus, hauptsächlich durch einen offiziellen Philosemitismus, der, wie von Kritikern angemerkt wurde, immer Gefahr lief, ein bloß umgekehrter und damit äquivalenter Antisemitismus zu sein27. Die vielen öffentlichen philosemitischen Manifestationen während der fünfziger und sechziger Jahre, mit denen die Bundesrepublik internationale Anerkennung suchte, sind ausführlich dokumentiert. Hierzu zählte auch die nach außen getragene Entente cordiale mit dem Staat Israel28. Allerdings erwies sich selbst diese formale Solidarität in den folgenden Jahrzehnten mitunter stark überfordert, insbesondere nach dem Sechstage-Krieg 1967, als die bundesdeutsche Rechte versuchte, durch ihren wohlfeilen Philosemitismus gegenüber einem gleichfalls fast risikolosen Anti-Zionismus der Linken Punkte in der Innenpolitik zu machen. Soweit es um Angelegenheiten mit der in der Bundesrepublik lebenden jüdischen Gemeinde ging, war die durch die demonstrative Überkompensation bloß verdeckte Ambivalenz Indiz einer tiefergehenden und »realen« Sackgasse: Wie konnte eine Sprache und ein sozialer Raum gefunden werden für die umfassenden Fragen der Schuld, kollektiv oder individuell, die die »Erbschaft« des Antisemitismus war? Wenngleich sich ein Teil der offiziellen Bundesrepublik in gewisser Weise der juristischen Verantwortlichkeit für die Nazi-Verbrechen stellte29, so fungierte diese Angelegenheit in der Nachkriegs-Bundesrepublik als die Schulden einer Schuld, die besser nicht einzufordern wäre. Eine »negative Symbiose«, die das gegenseitige stillschweigende Abkommen bezeichnet, den erklärenden Dialog unter diesem ausgleichenden Austausch auszusetzen. Mit den Worten eines genauen Beobachters: Wenn ein Jude der professionellen Unschuld eines Deutschen begegnete, sagte er: »Ich glaube dir«, meinte aber: »Ich nehme dein Leugnen als Zeichen deines Gewissens.« 30 Das bedeutet, wenn man es mit den Worten Sartres beschreiben wollte, dass der Jude geradezu verpflichtet ist, seinem deutschen Freund zu versichern, dass er selbst dessen schlechtes Gewissen als authentische Selbstäußerung und damit als ehrlich akzeptiert. Aus dieser Dynamik der Schuld, die ihrer Ent-Deckung entgegenarbeitet, während sie gleichzeitig ihre »Aufrichtigkeit« im Voraus angerechnet bekommt, erwuchs eine Konstellation, die sichtbare, wenngleich unkommentierte Spuren in der Kultur der Nachkriegs-Bundesrepublik hinterließ31. Geht man davon aus, dass dieser ausweglose Bruch, der weder durch Worte noch durch Gesten überbrückt werden konnte, lange Jahrzehnte überdauerte, dann erscheinen viele Handlungen und auch die Geschäftigkeit und das Gerede auf Seiten der Deutschen in der Tat als plumpe Kalkulation, die versuchte, Schuld in handhabbare Schulden zu transformieren und durch »Wiedergutmachung« das untilgbare Ungleichgewicht zwischen zugefügten Leiden und anerkanntem Leid auszugleichen. Während die Trauer nur langsam wuchs, waren die Wiedergutmachungsleistungen großzügig, in der vergeblichen Hoffnung, dadurch könne die offene Rechnung beglichen werden32.
Zur Verdeutlichung dieses aussichtslosen Versuchs, die Rechnungen auszugleichen, mag eine Anekdote dienen, die von Wiener Juden erzählt wurde, die ihre deutschen Vettern um das beneideten, was sie den »Auschwitz-Bonus« nannten:
»1964 besuchten mein Vater und ich Verwandte in Frankfurt. Nach einem Kinobesuch fanden wir einen Strafzettel am Auto unseres Gastgebers vor. Der reagierte wütend und fuhr zum Polizeirevier und verlangte dort, den verantwortlichen Polizisten, der ihn in einer klar erkennbaren Parkverbotszone angezeigt hatte, zu sprechen. Ohne sein Handeln in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, [...] fragte er den Beamten in einem feindseligen Ton, ob er während des Krieges geduscht habe. Als der verunsicherte Polizist, der Mitte 50 war, bejahte, reagierte der Vetter meines Vaters: ›Ich wollte nur wissen, ob Sie sich mit Seife gewaschen haben, die aus meiner Familie gemacht wurde.‹ Eingeschüchtert und sprachlos zerriss der Polizist daraufhin den Strafzettel.« 33
Ob wahr oder erfunden, dieses Erlebnis ist insofern aufschlussreich, als man es als tragikomische Demonstration lesen kann, dass zwei Verstöße nicht zu Recht führen, aber auch als eine Reversion der Schuld-Schulden-Dialektik, wobei die hypothetische Schuld »der Deutschen« – aufgebracht und auch sadistisch – gegen aktuelle Schulden »des Juden« ausgespielt wird. Beides tilgt sich gegenseitig – und streicht sich trotzdem nicht aus – in einem Tauschprozess, der auf groteske Weise asymmetrisch ist und trotzdem absolut präzise die grundsätzliche Asymmetrie unterstreicht, die der Tausch nicht aufheben kann und die so nochmals zutage tritt34. Durch die Struktur eines (freudianischen) Witzes thematisiert die Geschichte vom »Auschwitz-Bonus« auch die Macht des Opfers, die – natürlich – illusionär ist, weil bloß geborgt. Präziser formuliert, handelt es sich um die Macht desjenigen, der einmal Opfer gewesen ist, und als solche trifft sie naturgemäß selten den Schuldigen, sondern oft den unschuldig Schuldigen, denjenigen mit der »Gnade der späten Geburt«35, der dann im Gegenzug irgendwann fordert, dass »genug genug sei«, dass die »Schonzeit ein Ende haben müsse«, dass ein »Schlussstrich gezogen werden müsse«36 – eine Situation, die beide Beteiligten des Tausches tief frustriert und als Betrogene zurücklässt.
Den Anderen lieben: Zur Zeitlichkeit von Zorn und Trauer
Die Reversion von Begriffen als Reaktion auf die monströse Asymmetrie wurde zum zentralen Komplex sowohl des sozialen Diskurses als auch des psychischen Haushaltes, wenn Deutsche und Juden nach Auschwitz in Kontakt zueinander traten. Fassbinders Wahl des Paares Erwin/Elvira erscheint vielleicht weniger unbegründet und willkürlich, wenn man sie im Licht der »negativen Symbiose« (als Beispiel für die unmöglich verstrickten Stadien der Identifikation) und des »Auschwitz-Bonus« (als illusionäre Macht des vormaligen Opfers) sieht. Dann bringt es die zentrale Beziehung in IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN tatsächlich zu einer allegorischen Signifikanz. Indem er eine solche Konstellation entwirft – nicht, wie sie sich »objektiv« einem Betrachter von außen präsentiert, sondern als notwendig verzerrte, gebrochene subjektive Realität –, motiviert der Film gleich zweifach die offensichtlich heimtückische Form der Zurückweisung, durch die der/die »unschuldige« Erwin/Elvira von Anton Saitz zum Opfer gemacht wird. Ein Ursprungsmechanismus der Projektion wird hier ausgestellt – Peter Gay bezeichnete die deutsch-jüdische Beziehung einmal als die »Geschichte einer weitgehend unerforschten wechselseitigen Übertragung«37 –, der sich direkt an das westdeutsche Publikum wendet. Diese veränderte Konstellation verdeutlicht, in welcher Hinsicht IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN als Re-Vision von Der Müll, die Stadt und der Tod gelten kann. Indem er in der Nicht-Begegnung von Elvira und Anton die Beziehung zwischen Roma B. und dem »Reichen Juden« neu schreibt und überarbeitet, lässt Fassbinder nicht nur die allgemein menschlichen, dabei historischen Bedingungen hervortreten, unter denen diese Liebesgeschichte als (unmögliche) Lösung fungieren könnte. IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN ist weniger schematisch als das Frankfurter Stück, dafür aber konziser und ökonomischer in der Figurengestaltung. Franz B. und Roma B. sind nun deutlich eine Figur: Erwin/Elvira38. Selbst der Vater von Roma B. – der Nazi, der sich als Transvestit verkleidet – kann in Erwins/Elviras ungelöster Geschlechtsidentität und überdeterminierter Biografie »präsent« sein.
[Bild 6: Unmöglichkeit von Identität: Die Eröffnungsszene]
Aber wie kann eine derart konstruierte Figur entstehen, oder besser, was ist ihre Funktion? Der »Hintergrund« dieser Beziehung, so, wie Elvira sie dem Journalisten erzählt, offenbart bestimmte Machtstrukturen: Während er als Metzger arbeitet, freundet sich Erwin mit Anton Saitz an, der ihn für einige gefährliche und illegale Transaktionen benutzt, die Saitz reich machen, Erwin aber ins Gefängnis bringen. Glücklich über die Gelegenheit, seine Liebe zu beweisen, nimmt Erwin die Schuld auf sich, aber als er Anton nach seiner Entlassung wiedertrifft, wird er zurückgestoßen, was Erwins Liebe nur noch leidenschaftlicher werden lässt. Diese Genet-Version einer homosexuellen Liebesgeschichte dient allerdings nur dazu, die »experimentelle« Natur des zentralen Themas in IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN zu unterstreichen. Erwins Opfer muss extrem und auch unbegründet sein: Die moralische Kraft der Geschichte rührt aus der Tatsache, dass jemand bereit ist, sich um der Liebe willen zu verändern, und zwar ohne Rücksicht auf sich selbst und seine Identität. Gleichermaßen muss die Figur Antons extrem sein, weil es die Natur dieses Opfers sowohl in psychologischer als auch in historischer Hinsicht erfordert, dass Anton so ist, wie er geworden ist – brutal und rücksichtslos. Erst lässt er Erwin ins Gefängnis gehen, später will er mit Elvira nichts mehr zu tun haben. Ist es nicht ein Beweis für die existenzielle Innigkeit einer Liebe, wenn man jemanden liebt, der nicht zu lieben ist? Dieser Aspekt wird im Film indirekt thematisiert – in der Szene im Schlachthof, wenn Elvira erzählt, wie sie, ohne sich von seiner Lieblosigkeit entmutigen zu lassen, Christoph zu einem neuen Lebensziel und Selbstrespekt verhalf39. Sowohl Christoph als auch Saitz – mehr noch als der »Reiche Jude« in Der Müll, die Stadt und der Tod – sind Monstren der Undankbarkeit – und sie müssen es sein, um der Möglichkeit wahrer Liebe, des Liebesbeweises willen40. Denn es wäre zu leicht für einen Deutschen, einen Juden zu lieben, wenn er ein »Netter«, ein Aufrichtiger wäre41. Dies ist die Antwort, die Fassbinder über Erwin/Elvira auf die Frage gibt, was es bedeutet, die deutsch-jüdischen Beziehungen nach Auschwitz darzustellen. Aber deren labile, ungleiche Machtbeziehungen indizieren zugleich eine utopische, unmögliche Dimension: Elviras Liebe/Opfer kann nur einen ins Irreale verlegten Fluchtpunkt real gelebter Intersubjektivität markieren. Andererseits, einen deutschen Juden bloß als irgendeinen Deutschen zu zeigen, würde bedeuten, entweder Auschwitz zu leugnen (und damit die Implikationen der »negativen Symbiose« zu ignorieren) oder aber vorzugeben, Zugang zur Subjektivität des Anderen zu besitzen. Also genau das, wofür die bundesdeutsche Gesellschaft – gefangen in der Dialektik des Philosemitismus, der den Antisemitismus zugleich überkompensiert und unterdrückt – keine Worte gefunden hat. Dieses Dilemma könnte erklären, warum es im Nachkriegsfilm so wenige Repräsentationen des Juden und des Jüdischen gibt (unter der Voraussetzung, dass die meisten Regisseure Nicht-Juden gewesen sind), beziehungsweise warum das Thema sich immer wieder allegorisch sichtbar/unsichtbar gemacht hat, wie zum Beispiel bei Alexander Kluge42.
Auf der Ebene, auf der sich »Schuld« in bloße »Schulden« verwandelt oder der »Auschwitz-Bonus« widerstrebend amortisiert wird, kann es keine Lösung für die Tragikomödie der deutsch-jüdischen Beziehung geben. Beide Begriffe beinhalten zugleich eine quälende Nähe und eine unüberbrückbare Distanz, sowohl die erhoffte Instrumentalisierung des Tausches seitens der Deutschen, als auch die Nachdrücklichkeit der Zurückweisung dieser Münze seitens der Juden. Unwiderruflich geprägt vom Mangel (oder dem Mangel einer verabredeten Definition) dessen, was als Währung dienen könnte, bleibt der völlig ungleiche Tausch notgedrungen unrealisiert. Angesichts des historischen Dramas der deutsch-jüdischen Beziehungen reproduziert das Elvira-Saitz-Drama lediglich die moralische Ausweglosigkeit und die emotionalen double binds, aus denen viele andere Fassbinder-Filme ihre stärksten Subjekteffekte herleiten43. IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN scheint jedoch über die gewohnten Sackgassen hinauszugehen, bricht doch seine Zeitstruktur die Binarität und auch die bislang beschriebenen Asymmetrien auf. Die veränderten Modalitäten und Zeitlichkeiten eröffnen andere Räume und neue Dimensionen, insbesondere im Hinblick auf den bereits angesprochenen utopischen Lösungsvorschlag. Weil die rückbezügliche Identifikation, die Elvira in Leibeigenschaft hält, sich hin zur »Wenn-bloß«-Zeitstruktur des Melodrams und zur »Was-wäre-wenn«-Struktur der Science-Fiction erweitert, versucht IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN eine andere Frage zu formulieren und über eine andere Antwort zu spekulieren. Durch seine Liebe zu Saitz scheint Erwin zu fragen: »Wie muss ein Deutscher nach Hitler sein, wie muss er/sie werden, um von einem Juden nach Bergen-Belsen geliebt zu werden?« Ein solches »Was-wäre-wenn« impliziert als sein eigenes Spiegelbild die komplementäre Frage: »Was muss ein Jude vor Hitler gefühlt haben, wenn er/sie sich als Deutsche/r gedacht hat?« Zusammengenommen implizieren diese »Was-wäre-wenns« eine Ergänzung zur Logik von Melodram und unerwiderter Liebe, während die Modalität des »Wenn-bloß«, die in erster Linie die Kraft von Sehnsucht und Verlangen ausdrückt, sich als offen für das Gefühl der Reue erweist. Mit anderen Worten: Diese konkreten historischen Fragen, die sich Nachkriegsdeutsche stillschweigend wohl immer wieder gestellt haben, produzieren als Antwort den Körper von Erwin/Elvira und damit ihr unbeschreibliches Leid, aber auch einen Körper, der fähig ist, eine radikalere Form der Empathie zu (er)tragen.
Hier überschreitet die Verwandlung von Erwin in Elvira jede Form sexueller Pathologie (egal, ob als Fallstudie oder fiktive Biografie), um in einer umfassenderen allegorischen Form aufzugehen. Indem er die extremste Form wählt, die die menschliche Gesellschaft und Kultur für das Opfern der Identität kennt – tiefer verankert als Glauben, Nationalität und Ethnizität, nämlich diejenige, die mit Geschlecht und sexueller Differenz zu tun hat –, zeigt Fassbinder einen Mann, der sich dem Wechselspiel von Entschlossenheit und Widersprüchlichkeit, von Leidenschaft und Verletzung öffnet, indem er nicht seine moralischen, religiösen oder politischen Überzeugungen, sondern seine »Männlichkeit« preisgibt. Als Fundament des Patriarchalismus, aber auch des faschistischen Körpers ist sie vielleicht ebenso grundsätzlich in die Tragödien der deutschen Geschichte eingebettet wie der Antisemitismus, dem sie damit als allegorisierende Bezugsebene dienen kann44. Erwin wird zu Elvira, aber nicht als Homosexueller und auch nicht als Frau, sondern als Wesen, das zwischen allen Formen der Geschlechteridentität steht und damit zu einer Person wird, die allen Einschreibungen der Liebe zum Anderen offen ist einschließlich der Zurückweisung und der Verhöhnung der Liebe. Die unbestimmte Geschlechteridentität Elviras ist insbesondere offen gegenüber dem Zorn, den andere auf sie projizieren und der eine andere Zeitlichkeit benötigt, um einer Beziehung Gestalt zu verleihen. Elvira lebt in einem Jetzt, das weder Zukunft noch Vergangenheit kennt, weil sie in einer endlos andauernden Gegenwart von Hass und Schmerz existiert, so intensiv, als lebe sie jenseits von Gerechtigkeit, Vergebung und Erlösung. In dieser Hinsicht handelt es sich bei Erwin/Elvira um eine idealisierte Figur, eine Heilige der Immanenz. Durch ihre bloße Existenz drückt sie die Zeitlichkeit der Trauer aus, eine Zeiterfahrung, die von dem Wunsch beherrscht wird, etwas ungeschehen zu machen, was nicht ungeschehen zu machen ist. Sie denkt sich zurück bis vor jenen Augenblick, der jetzt Zorn und Ohnmacht zu stummen Gästen am Tisch deutscher Geschichte macht.
»Was-wäre-wenn« gegen »Wäre-doch-nur«
Der von Fassbinder gewählte Weg zu jenem »Was-wäre-wenn« von Erwins/ Elviras »Verwandlung« ist (auch) eine implizite Antwort auf ein anderes »Wäre-doch-nur«, das sich ebenfalls als Ausdruck von Trauer versteht: Das »Wäre-doch-nur« des Filmemachers Hans Jürgen Syberberg, dessen Revisionismus als private »Was-wäre-wenn«-Spekulation auch die deutsch-jüdischen Beziehungen im Visier hat. In Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege, einem Band mit Reflexionen und Grübeleien, erschienen 1990 im Gefolge der Wiedervereinigung, denkt Syberberg laut vor sich hin, was mit Deutschland schiefgelaufen ist: nicht nur bei der Reichsgründung 1871 oder dem Kriegsausbruch 1914, der gescheiterten Revolution von 1918/19 oder der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten 1933, sondern auch 1945. Warum nutzte Westdeutschland nicht die Chance, sich zu reinigen, um wieder zur »Kulturnation« von Goethe und Schiller, Kleist und Wagner zu werden? Nach einem knappen Anprangern des Schadens, den die Rehabilitierung des kompromittierten Beamtenapparates und der Nazi-Justiz nach dem Krieg angerichtet hat, erlaubt sich Syberberg eine Fantasie, die gleichfalls die Trauer des »Wäre-doch-nur« in ein spekulatives »Was-wäre-wenn« überführt. Er imaginiert, was aus der deutschen Populärkultur geworden wäre ohne Hitler, aber eben auch ohne die Befreier Deutschlands, das heißt ohne die Amerikaner und ihre Massenkultur, deren Dominanz er als unmittelbares Resultat des Sieges Hollywoods über Hitler betrachtet. Wie stünden »wir« da, heute, hätte sich eine authentische »deutsche (Film-)Kunst« ohne »fremde« Einflüsse etabliert? 45
Syberberg fügt diesen Überlegungen jedoch einen weiteren Gedanken hinzu: Was wäre aus dem kulturellen Leben Westdeutschlands nach dem Krieg geworden, wenn die junge Generation nicht derart inbrünstig, in einem missverstandenen Anflug von Wiedergutmachung, mit dem melancholischen Pessimismus der jüdischen Vorkriegs-Intelligenz geliebäugelt hätte. Sie habe aus Walter Benjamin und Theodor W. Adorno ihr gutes Gewissen bezogen, um (ihrer Eltern) Schuld zu mindern. Indem sie die negative Perspektive der Frankfurter Schule auf die deutsche Romantik, den post-napoleonischen Nationalismus und die Volkskultur übernahm, versäumte die Sechziger-Jahre-Generation ihre eigene Auseinandersetzung mit der »deutschen Frage«. Stattdessen habe die Intelligenz sich selbst exiliert und fatalerweise selbst-entfremdet von der Frage, was es bedeuten könnte, deutsch zu sein – ebenso wie die Massen, die sich in die Arme Hollywoods, Disneylands und amerikanischer Popmusik begeben hätten46.
Dass diese »Träumereien« etwas zutiefst Anstößiges haben, bedarf keiner Erläuterung. Wie Eric Santner gezeigt hat, sind Syberbergs Gedanken zum zeitgenössischen Deutschland durchwirkt von einem weitgehend unbewussten Antisemitismus47. Ebenfalls bemerkenswert ist die eigentümliche Ungleichzeitigkeit dieser Fantasie. Syberbergs Trauer und der Groll über all das, was in der jüngsten deutschen Geschichte schiefgelaufen ist, machen die deutsch-jüdische Kulturphilosophie gar nicht einmal explizit zum Sündenbock, denn Benjamin und Adorno gehören ja nicht zum »wir«. Merkwürdig ist, dass sich die historische Abfolge umgekehrt hat und die luziden Diagnosen der Frankfurter Schule von den späten zwanziger Jahren bis in die vierziger Jahre so behandelt werden, als seien sie intendiert gewesen als »Verführungsversuche« der westdeutschen Jugend der sechziger Jahre.
Im Unterschied zur Logik des Syberberg’ schen »Was-wäre-wenn« versucht Fassbinder eine Form der Trauer zu entwerfen, die weder mit offiziellen Statements der Trauer (deren Heuchelei auch Syberberg verachtet) noch mit dem retrospektiven Umschreiben der Geschichte etwas zu tun zu haben. Unsentimental, ohne Selbstmitleid oder Anbiederung allegorisiert IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN die deutsch-jüdischen Beziehungen in einer Weise, die aus vorangegangenen Filmen Fassbinders bekannt ist: als eine Form der Liebe, die einen im Innersten unmöglichen und doch notwendigen Dialog impliziert48. Indem er diese Beziehung als solche präsentiert, erkennen wir sie als zweifach unmöglich: unmöglich, weil nicht einmal Liebe die Geschichte rückgängig machen kann, und unmöglich, weil selbst diejenigen, die, wie Elvira, bereit sind, Risiken zu übernehmen, über keine Sprecherposition verfügen, kein Selbst verorten, von dem aus sie einem anderen der oder die Andere sein können. Insofern diese Unmöglichkeit als Liebe verkleidet ist, präsentiert Fassbinder auch eine Herausforderung. Ein »Deutscher« habe zumindest bis zu diesem Punkt zu gehen, damit ein »Jude« nach Auschwitz überhaupt auf ihn reagieren kann.
Andersheit nach Überidentifikation und Assimilation
Vor dem Hintergrund einer solchen »Algebra« von Ausgleichen, Äquivalenzen und gerechtem Tausch ist die deutsch-jüdische »negative Symbiose« weder darstellbar noch auflösbar. Es bleibt eine Asymmetrie, die stets Gefahr läuft, aus dem fragilen Gleichgewicht, das die Parteien mühsam herzustellen versuchen, zu kippen. Anton Saitz muss stets lachen oder weinen, wenn ein Erwin versucht, einen Wechselkurs von Schuld in Schulden zu etablieren, oder wenn eine Elvira versucht, die Rechnung zu begleichen, indem sie eine gemeinsame Opfersolidarität anbietet. In keinem Fall existiert eine gemeinsame Wertgrundlage, auf der die Währung fixiert werden könnte, und somit wird jede Art des Austausches unmöglich. Fassbinders Film beschreitet insofern neue Wege, als die zentrale Figur – anders als die meisten fiktionalen Figuren – nicht damit beschäftigt ist, durch die Suche nach Liebe, Anerkennung oder dadurch, dass der Andere zum Spiegel des Selbst gemacht wird, eine stabile Identität auszubilden. Im Gegenteil: IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN beschreibt eine entgegengesetzte Bewegung, die Auflösung des Ich und die Auflösung von Identität. Während eine Reihe westdeutscher Filme der siebziger und achtziger Jahre, die sich mit der (deutschen) Geschichte auseinandersetzten, dies als ödipale Suche mit mal männlichen (JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE [1974; R: Werner Herzog], HEIMAT [1980–84; R: Edgar Reitz], DIE REISE [1986; R: Markus Imhoof]), mal weiblichen (DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER [1979; R: Helma Sanders-Brahms], DIE BLEIERNE ZEIT [1981; R: Margarethe von Trotta], HUNGERJAHRE – IN EINEM REICHEN LAND [1980; R: Jutta Brückner]) Protagonisten anlegen, rebelliert die zentrale Figur in IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN nicht mehr gegen eine Vaterfigur und sucht auch nicht nach matriarchalen Vorbildern49. Ein grundsätzlich anderer Prozess scheint hier am Werk, obwohl einiges mittlerweile durchaus vertraut wirkt.
Fassbinders Protagonisten, so kann man sagen, erreichen durch ihre Formen der unmöglichen Liebe sehr unterschiedliche Stufen des Selbst-Seins, die wenig mit dem bürgerlichen Ideal des Selbst-Bewusstseins gemein haben: Ihr radikaler Exhibitionismus lässt sie im Blick des Anderen ein flüchtiges, instabiles Spiegelbild ihres Selbst erkennen. Das ist beispielsweise der Fall bei Emmi und Ali – in ANGST ESSEN SEELE AUF – am Morgen nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht50. Andererseits mag sich eine Figur danach sehnen, vom Anderen Besitz zu ergreifen, wie etwa Hermann Hermann in EINE REISE INS LICHT – DESPAIR, dessen Überidentifikation mit Felix dazu führt, dass er »sich« selbst tötet, um der Andere werden zu können. Auf die Spitze getrieben, mag Liebe den Wunsch signalisieren, vom Anderen einverleibt zu werden, eine Sehnsucht nach Selbst-Auslöschung in und durch den Anderen, so als bereite diese Selbst-Auslöschung die Einverleibung durch den Anderen vor – das zeigt die Geschichte von QUERELLE. Wie dezidiert sich IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN von den genannten Filmen unterscheidet, zeigt die Szene zu Beginn, als Elvira von Christoph vor einen Spiegel gezogen und angebrüllt wird: »Du schaust dich jetzt an! [...] Schau! Na, was ist? Siehst du, weshalb ich nicht mehr nach Hause komme?« Worauf Elvira antwortet: »Ich seh’ mich dich lieben«, als wolle sie damit unterstreichen, dass ihre Suche erst beginnt, nachdem solch eine selbstbestätigende Liebe nicht länger möglich ist und damit der Austausch der Blicke, die Spiegelblicke, die diese nach sich zieht, das Ich nicht länger sichern kann.
Nach der Trennung von Christoph zirkuliert im Film ein neues Element, bedeutsam nicht nur für das Verständnis des Verlaufs dieser besonderen Erzählung über deutsch-jüdische Identitäten nach Auschwitz, sondern gleichfalls für Fassbinders größeres Projekt einer Neubestimmung der Grenzen zwischen dem Selbst und dem Anderen. Dieses Element ist Erwins/Elviras Körper, oder vielmehr die Art und Weise, wie sein/ihr Körper sich allmählich als Ort von Unmöglichkeiten erweist, der gleichzeitig unauflösbare Widersprüche und deren Transzendierung »verkörpert« und damit zum Vehikel für zeitliche Verschiebungen und Existenzmöglichkeiten wird, das es erlaubt, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden. Aber was bedeutet der Entwurf eines solchen selbst-entfremdeten und »doppelten« Körpers? Zunächst einmal bestätigt dieser die materielle Immanenz der grundsätzlichen Kategorien des Anderen: Die Wendung zum Körper bringt Bewegung in die Dichotomien von Präsenz/Absenz, Innen/Außen, Ausschluss/Einschluss und erfordert eine andere Form, mit der sich »Liebe« manifestiert. Erwins/Elviras Liebe ist buchstäblich auf seinen/ihren Körper geschrieben und zwar so, als sei der Körper mit Zeichen des Deutsch-Seins versehen.
[Bild 7&8: Leiden und Erlösung: Erwin/Elvira und die Rote Zora im
Schlachthof]
Was bedeutet diese »Markierung« des Körpers für die Mischung aus Grenzziehung und Überidentifikation, die anscheinend die deutsche Situation charakterisiert, in der ein moderner Philosemitismus einen alten Antisemitismus verdeckt? Wie kann sie die Alternativen von Assimilation und Integration auf der einen Seite, von Vertreibung und Vernichtung auf der anderen Seite abschwächen und vielleicht gar die »negative Symbiose« beenden? In dieser Hinsicht ist der auffallendste Aspekt von Erwin/Elvira sein/ihr Leiden: roh, quälend und scheinbar ohne Unterlass und Erleichterung. Aber das wäre bloß negativ gesehen. Man könnte ebenso gut vom Glück des Leidens sprechen. Beim Besuch des Schlachthofes, in dem er/sie einmal arbeitete, antwortet Erwin/Elvira auf die Frage, wie er/sie es an einem Ort ausgehalten habe, an dem Tiere getötet würden, weil das doch »gegen das Leben« sei:
»Gar nicht ist’s gegen das Leben. Das Leben selbst ist’s. Das Blut, wie es dampft, und der Tod, der ihm erst Sinn gibt, dem Leben vom Tier. Und der Geruch, wenn sie sterben und wissen genau, daß er kommt, der Tod. Und schön sind sie und warten darauf. Komm’ mit, ich zeig’s dir. Du wirst es riechen und sehen, diese Schönheit. Und hören die Schreie, die Schreie der Erlösung.«
Elviras Affirmation des Leidens ist innerhalb der komplexen psychischen Ökonomie masochistischer Ekstase interpretiert worden51, aber es ist auch als Indiz für Fassbinders heimlichen Antisemitismus gelesen worden, weil er durchgängig die spirituell wertvolleren »Qualen des Leibes« für seine deutschen Figuren reserviere, während die jüdischen Figuren kalt und zurückgenommen erscheinen52. Die Verbindung zwischen Leiden und Erlösung, die Elvira ausspricht, wird durch die Umgebung aus dampfendem Blut, Gestank und Geschrei auf eine Weise verstärkt, die in gewisser Weise sowohl die negative Theologie des gequälten Leibes, durch Gertrud Koch kritisiert, als auch die »Heteropathie« – eine nach außen verlagerte Identifikation mit dem Aggressor –, wie sie von Kaja Silverman analysiert worden ist, vorwegnimmt.
Der historische Körper als »offene Wunde«
Das Einschreiben eines ebenso deutlich wie widersprüchlich markierten Körpers wie den von Erwin/Elvira in die westdeutsche Nachkriegsgeschichte muss unweigerlich auch die Begriffe verändern, mittels derer diese Geschichte verstanden und in Richtung einer Zukunft getragen wird. Aus welcher Perspektive man sie auch betrachtet, es ist eine von Gegensätzen, double binds und ausweglosen Konfrontationen durchpflügte Geschichte. Auf einen konkreten Körper bezogen, wird dieser zu einer Fläche, in der sich die Risse, Schnitte und Zusammenstöße einschreiben. Die einzige Möglichkeit, diesen Prozess des Registrierens als hoffnungsträchtig darzustellen, ist Elviras Leiden als »offene Wunde« zu begreifen, die nicht nur die fatale Asymmetrie von »Schuld und Schulden« transzendiert, sondern auch eine radikale Alternative entwirft – einen Körper ohne Haut, weich und zart, und dennoch immer »Oberfläche«. Verstanden als Ablösung aller Haut, als Selbst-Häutung, ist die Erzählung von den fünf letzten Tagen Elviras – den Stationen auf ihrem Weg zur Erlösung – um unterschiedliche Intensitäten reorganisiert. Man kann eine dreifach verschränkte »Jenseits«-Bewegung ausmachen: die Vergangenheit jenseits von Sehnsucht und Verzeihung, der Körper jenseits des Geschlechts und die Liebe jenseits von Identifikation und Einverleibung. So können beispielsweise Erwins/Elviras Besuche in Seelenfriedas Apartment und im Kloster von Schwester Gudrun als Versuche angesehen werden, sich seine/ihre eigene Vergangenheit anzueignen, ohne sich die Erinnerungen an diese Vergangenheit ein weiteres Mal einverleiben zu wollen. Seelenfriedas Traum von einem Friedhof nicht für die Toten, sondern für die wenigen Momente, in denen »ein Mensch einen wirklichen Freund hatte«, oder seine Überlegungen zu dem, »was ich als anschauliche Vorstellung meinen Leib nenne«, werden verständlicher, wenn man sie in die Nähe zu Schwester Gudruns Erzählung von der starken Sehnsucht des Jungen Erwin nach den Besuchen seiner potenziellen Stiefeltern im Waisenhaus rückt. Während dieser Erzählung fällt Erwin/Elvira in Ohnmacht, eine Form der Ent-Äußerung antizipierten Glücks, zu wertvoll, um vergessen zu werden, und zu schmerzlich in der Nichterfüllung, um erinnert zu werden. Elvira kann den Satz auf sich beziehen, den Seelenfrieda an seine Pinnwand geheftet hat: »[M]eine größte Angst ist, eines Tages meine Gedanken in Worte fassen zu können [...].«
Insoweit es sich bei IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN um ein Melodram handelt, ist es ein Film über Leiden, Stummheit und Unterdrückung. Integraler Bestandteil des Genres ist es, dass die leidende Figur ihren Gefühlen keine Stimme verleihen kann. Während das Melodram in seiner klassischen Form seinen Ausdrucksverlauf anhand von Symptomen präsentiert, sei es durch den Körper der Protagonisten (wie zum Beispiel in MARTHA) oder, häufiger, durch den metaphorischen »Körper« des Films mit seiner mise-en-scène, seiner Farbdramaturgie und seiner Ausstattung53, dann handelt es sich bei IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN um ein post-klassisches Melodram, das nicht länger entlang des Repressions-/Expressions-Modells funktioniert, sondern durch eine radikalere Form der Verschiebung und Aufhebung der Werte. Das »Ich«, das in diesem Film so quälend und exzessiv leidet, ist ein »Ich«, das seine Qual nicht unterdrückt, sie aber auch nicht verbalisiert, sondern entäußert, indem der Film mit Elementen arbeitet, die der filmische Diskurs nicht länger zu binden vermag: Modulierte Soundeffekte, Licht, Musik, Geräusche konstituieren sich zu einer fast abstrakten Figuration, wie zum Beispiel in der Szene, die Elvira weinend in einem Spielcenter zeigt – ein action painting wie es unter den modernen Filmemachern nur noch Godard hätte einfallen können.
Zeuge dieser Entäußerung wird der Zuschauer in der Schlachthausszene: Während die Tiere getötet, zerteilt und enthäutet werden, hören wir, wie Elvira der Roten Zora von ihrem Leben mit Christoph erzählt, wie sie einen »Mann« aus ihm machte, dabei eine bekannte Passage aus Goethes Torquato Tasso zitierend, die sich direkt auf den Schmerz, sich auszudrücken, auf Einverleibung und Entäußerung, auf Beherrschung und Stummheit bezieht: »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.« Jedoch ist die Ironie dieser Szene eine doppelte: Zunächst einmal identifiziert sich Elvira nicht mit dem Dichter Tasso, sondern mit den Menschen, die in ihrer Qual verstummen. Erinnert man sich an die bereits zitierte Passage über die Tiere, wird klar, dass sich Elvira gerade ganz direkt mit den Tieren identifiziert, die allerdings nicht, wie die Menschen, verstummen, sondern sprechen. Was aber in ihnen spricht, ist nicht eine Poesie der Worte, sondern eine Poesie des Fleisches, abgehäutet, die schöne Wunde öffnend – eine höchst wörtlich genommene Form der Ent-Äußerung, die der Film als Schlüssel für seine bevorzugte Form körperlichen Seins anbietet.
Durcharbeiten oder in Gang setzen?
Abschließend lässt sich die Eingangsfrage noch einmal stellen, nun in ihr Gegenteil verkehrt: Was hat die deutschjüdische Geschichte mit dem Leben und Tod von Armin Meier zu tun? Ausgangspunkt war Fassbinders Dilemma, als er mit der Tatsache von Meiers Tod konfrontiert wurde. Die moralische Frage, mit der er sich auseinandersetzen musste, war eine Frage der Schuld – der Schuld, die er sich selbst am Selbstmord Meiers gegeben haben mag, aber mehr noch der Schuld und Verantwortung, die andere ihm aufbürden wollten. In dieser Hinsicht trifft sich dies auf sehr direkte Weise mit der umfassenderen Frage nach der Art der »Trauerarbeit« in einer Situation, die man zwar nicht selbst herbeigeführt hat, für die man aber dennoch persönlich zurechenbar ist. Fassbinder wurde zu dieser Zeit für Armin Meiers Tod öffentlich geschmäht und dafür verantwortlich gemacht, was ihn angeregt haben könnte zu erkunden, was es bedeutet, Schuldgefühle aufoktroyiert zu bekommen, ohne sich schuldig, aber doch verantwortlich zu fühlen.
Die Frage, die bislang nur am Rande berührt wurde, ist, ob ein Film wie IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN in der Film- und Mediengeschichte durch seine Qualität des Intervenierens, des Durcharbeitens, des Dokumentierens, des Ingangsetzens und des Vorantreibens eine Symbolisierung des Maskulinen bezeichnet, weil sie in den (klassischen) Erzählungen von Suche und Reise traumatischen Formationen von Rasse, Geschlecht und Ethnizität begegnet. Jede dieser Formen verdient eine Lektüre, eine Lesart, die ihrer Textualität und auch der Institution, die die Rezeption vermittelt (und damit die Bedeutungen determiniert) entspricht. Damit wird eine weitere Grenze überschritten, nämlich diejenige, die traditionell das Mainstream-Kino vom Autoren- oder Avantgarde-Kino (im Hinblick auf ihre Bezugsrahmen) trennte: Vor dem Hintergrund des nicht-transzendierbaren Horizonts des modernen Kinos als einer Ansammlung von Waren und der Zurschaustellung von Konsumgütern werden Filme notwendig Allegorien ihrer raison d’être. Ihr immer wieder erst zu bestimmender Gebrauchswert steht quer zum Tauschwert, den sie verfremden, nicht indem sie sich kritisch davon distanzieren, sondern indem sie ihn verdoppeln.
Das bedeutet, dass einige Fassbinder-Filme, die auf IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN folgten, insbesondere BERLIN ALEXANDERPLATZ und QUERELLE, auch eine solch doppelte Lektüre verdienen. Wenn sich das Kino am Ende seines ersten Jahrhunderts von den großen Figurationen des Imaginären löst und in eine andere Beziehung zum Realen tritt, dem unaufhebbaren Rest des Nicht-Symbolisierbaren im sozialen Körper und im Selbst, wie es bei David Lynch oder dem amerikanischen Horrorfilm seit den achtziger Jahren zu beobachten ist, dann bezeichnen Fassbinders Filme gerade den Anfang und den Scheidepunkt dieser Entwicklung. Nicht länger paktiert die Sehnsucht in IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN mit dem patriarchalischen Gesetz, um sich selbst zu erkennen, um sich als »Sehnsucht« zu entwerfen und sich vor dem Todestrieb zu schützen. Während Sehnsucht vormals das Gesetz (oder das Verbrechen) brauchte, um überhaupt Gestalt annehmen zu können, selbst wenn gerade diese Gestalt sie hinderte, Realität zu werden, scheint jetzt eine letztlich nicht darstellbare Entität, insbesondere der Körper als verlässlicher Teil des Selbst, an diese Stelle getreten zu sein und bestimmt die Materialität und auch die Währung des Austausches. Selbst der Autor von Querelle, Jean Genet, imaginierte Körper/Wunsch als antagonistisch und lebte seinen Protest unter dem schützenden Mantel bürgerlicher Gesetze. Aber es scheint, als habe Fassbinder gegen Ende seines Lebens aus der Sicherheitszone heraustreten wollen, in der Gesetz und Verbrechen einander wechselseitig implizieren als zwei Seiten des Symbolischen, die Subjektivität allein erst produziert. In dieser Hinsicht wäre DIE DRITTE GENERATION fast schon ein nostalgischer Film, weil er eine Form der symbolischen Ordnung zeigt, die gerade im Verschwinden begriffen ist. Die Situation, aus der Fassbinder seine letzten Filme, darunter auch DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS, formulierte, war nicht mehr die Übereinstimmung zwischen dem gütigen/kriminellen Vater und dem gütigen/kriminellen Staat, sondern die einer Gesellschaft, in der diese Balance nicht länger funktioniert (niemand überwacht die Wächter am Schluss von VERONIKA VOSS), was diesen Film eher in die Nähe der Geschichte von Roma B. und Erwin/Elvira rückt als in die Nähe jener von Maria Braun oder Lola: Veronika als Figur einer antizipierten Verwandlung des Körpers, jenseits von Masochismus und Schuld-Lust, und damit den Fluchtpunkt einer ganz speziellen (west-)deutschen Freiheit andeutend.
Abschließend könnte man sagen, dass Fassbinder in IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN versucht hat, die deutsche Geschichte auf eine Art und Weise zu »normalisieren«, die sich in einem absoluten Gegensatz zu den Bemühungen damaliger und zeitgenössischer Politiker befand. Auch Fassbinder wollte scheinbar wissen, wie und warum er deutsch war, aber nicht um den Preis des Verschweigens der Kosten, die es bereitete, einmal wieder deutsch zu fühlen. Ohne das Andere zu metaphorisieren54 und ohne »die Juden« zu Symptomen zu machen55, wählte er in seinen Filmen, mit seinen Figuren, einen Weg, an dessen Anfang nach seiner Auffassung für jeden Deutschen der Antisemitismus und seine Beziehung zur deutschen Identität steht. Nach Auschwitz in Deutschland zu leben, bedeutet lernen zu müssen, »Deutscher zu werden«, was auch bedeutet, »deutscher Jude zu werden« und in der Lage zu sein, sich vorstellen zu können, »Elvira zu werden«.
Notes
Vergleiche Kurt Raabs Bemerkung: »Erst machst du die Menschen kaputt, und dann setzt du ihnen ein Denkmal [...].« In: Raab/ Peters 1982, S. 367.
»Es war eine existentielle Notwendigkeit für mich, überhaupt etwas zu machen. Es gab für mich drei Möglichkeiten: Die eine war die, nach Paraguay zu gehen und Farmer zu werden [...]. Die andere war, daß ich quasi aufhöre, mich für das, was um mich herum ist, zu interessieren. Das wäre dann sicherlich zu so was wie einer Geisteskrankheit geworden. Die dritte Möglichkeit war, einen Film zu machen. Für mich natürlich die einfachste.« Fassbinder nach dem Tod von Armin Meier, zitiert nach: Limmer 1981, S. 95.
Vergleiche ebenda, S. 95f.: »Wichtig ist für mich, daß ich es geschafft habe, einen Film zu machen, der nicht simpel das überträgt, was meine Gefühle waren zu diesem Selbstmord. Also Schmerz und Traurigkeit, darüber, daß mir in dieser Beziehung vieles missglückt ist und was weiß ich, sondern daß ich einen Film gemacht habe, der [...] weit darüber hinausgeht; der sehr viel mehr erzählt, als das, was ich von Armin erzählen könnte. Und das war für mich eine Entscheidung fürs Leben.«
Vergleiche hierzu auch Nigel Andrews’ Anmerkungen in: The Financial Times, 29.6.1992, S. 17.
Wilhelm Roth in: Jansen/Schütte 1992, S. 217f.
Hans Dieter Seidel: Monströse Frankfurter Passion. In: Stuttgarter Zeitung, 18.11.1978.
»Der Film ist über weite Strecken ein Solo des Schauspielers Volker Spengler und bietet in seiner mehr als zweistündigen entmutigenden Niedergedrücktheit keinerlei menschlichen oder philosophischen Ansatz.« David Robinson: IN A YEAR OF THIRTEEN MOONS. In: The Times, 5.9.1980.
Richard Roud: Armin/Erwin/Elvira: Rest in Peace. In: The Guardian, 30.3.1979.
Jan Dawson in: The Listener, 30.8.1979, und Tony Rayns in: Time Out (London), 4.9.1980.
Indem es dieses Risiko eingeht, bietet das vorliegende Kapitel mehr als bloß eine weitere Lektüre eines der verwirrendsten Filme des Regisseurs an: Sowohl ihn als »unlesbaren Film« abzuhaken als auch sich daran zu machen, ihn einfach nur zu »erklären«, wäre zu billig.
Limmer 1981, S. 96.
Vergleiche Fassbinders Beschreibung von Douglas Sirks WRITTEN ON THE WIND in: Fassbinder 1984, S. 15ff., oder die narrative Crux seines Films ANGST ESSEN SEELE AUF. Dort liebt Ali Emmi, aber Emmi liebt ihre Kinder und ist abhängig von ihren Nachbarn, die sich vor Ali ekeln, weshalb Emmi sich entscheiden muss, ob sie ein Außenseiter wie Ali werden oder Ali durch Betrug ausgrenzen will.
Für eine soziologische Interpretation der Liebe als Trope der Unmöglichkeit vergleiche Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982, S. 212. Luhmann charakterisiert die Liebe als Zeichensystem, das das Paradox einer Semantik von Instabilität und Leiden birgt – gleichzeitig
Vergleiche hierzu auch das vorangehende Kapitel. Der sogenannte »Kampf ums Westend« ist eine der Schlüsselepisoden der Geschichte des modernen Frankfurt. Sie wurde unter anderem dargestellt in dem Roman Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond von Gerhard Zwerenz, dem Film IN GEFAHR UND GRÖSSTER NOT BRINGT DER MITTELWEG DEN TOD (1974; R: Alexander Kluge / Edgar Reitz) und ist Gegenstand zahlreicher soziologischer Studien. Vergleiche ebenfalls Elisabeth Kiderlen (Hg.): Deutsch-jüdische Normalität ... Fassbinders Sprengsätze. Frankfurt/Main: Pflasterstrand 1985, und Jürgen Roth: z.B. Frankfurt: Die Zerstörung einer Stadt. Frankfurt/Main: Fischer 1975.
Alle Beziehungen von Erwin/Elvira sind nach menschlichen, moralischen und emotionalen Begriffen unbeschädigt, niemand wird beispielsweise durch einen anderen ausgebeutet. Sie sind auch formal intakt, insofern sie nicht bloß als »normal«, sondern in unserer Sicht als konventionell, auch als ritualisierte zwischenmenschliche Beziehungen dargestellt sind.
Seit KATZELMACHER hat Fassbinder gezeigt, dass es in der Konfrontation mit der Unterdrückung wenig Solidarität unter Außenseitern gibt, wenngleich »objektive« Gemeinsamkeiten zwischen ihnen bestehen. Vergleiche hierzu Thomas Elsaesser: A Cinema of Vicious Circles. In: Rayns 1980, S. 31ff.
Vergleiche Fassbinder 1984, S. 43ff.
Zora: »Sie hat sich einfach alles abschneiden lassen, da unten.« Seelenfrieda: »Na und? Das kann doch nicht der Grund sein, dass sie unglücklich ist. Wahrscheinlich war sie in ihrer Seele schon immer eine Frau!« Zora: »Eben nicht. Das ist es ja gerade: Sie hat es einfach gemacht. [...] Nicht mal schwul ist sie gewesen, glaub’ ich.«
Vergleiche Al LaValleys Beschreibung von Elvira in: Al LaValley.: The Gay Liberation of Rainer Werner Fassbinder. In: New German Critique, Nr. 63, Herbst 1994, S. 130f.
Fassbinder 1984, S. 65.
Diesen Roman adaptierte Fassbinder für seine zweiteilige Fernsehproduktion WELT AM DRAHT (1973).
Jerry Lewis verkleidet sich als Schulmädchen, um an einer Schulparade als Cheerleader teilnehmen zu können.
Indirekt impliziert der Film, dass sich Saitz und seine Bande durch Kleinkriminalität und Raubüberfälle finanzieren.
Wenn das Nicht-Darstellbare bei IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN ein Problem der Unmöglichkeit wird, zerstreut sich auch die Annahme, Fassbinder habe den Juden als »Subjekt« (mit dem sich anschließenden Vorwurf der Mystifikation) oder Antisemitismus (als Projektion des unterdrückten Teil des Selbst auf den Anderen, der damit zum Sündenbock gemacht wird) ins Zentrum rücken wollen.
Dan Diner: Negative Symbiose. Deutsche und Juden nach Auschwitz. In: Babylon, Nr. 1, 1986, S. 9.
Was »das deutsch-jüdische Gemeinschaftswerk« (Henryk M. Broder in: Lichtenstein 1986, S. 212) genannt wurde, muss mit den Statistiken eines andauernden Antisemitismus in der BRD verglichen werden. Vergleiche Kiderlen (siehe Anm. 14), S. 58.
Vergleiche die Bemerkung Robert Neumanns, von Fassbinder zitiert: »Philosemiten sind Antisemiten, die die Juden lieben.« Fassbinder 1986, S. 83.
Frank Stern: The Whitewashing of the Yellow Badge. Antisemitism and Philosemitism in Postwar Germany. Oxford: Pergamon Press 1992.
Im Unterschied zur DDR, die niemals die Verantwortung für die Nazi-Verbrechen gegen Juden, die auf ihrem Territorium begangen wurden, übernommen hat – bis schließlich während der letzten Wochen ihrer Existenz die Regierung Modrow eine Entschuldigung veröffentlichte, die in wesentlichen Punkten weiter ging als jedes offizielle Statement der Bundesrepublik.
Vergleiche auch Henryk M. Broder: »Das Problem mit dem Antisemitismus ist nicht, daß es ihn nicht gibt, sondern, daß sich niemand offen dazu bekennt.« Zitiert nach: Lichtenstein 1986, S. 211. Und: »Wovor wir Angst haben müssen, das sind die unterdrückten Gefühle der Deutschen uns gegenüber.« Yaacov Ben-Chanan zitiert ebenda, S. 241.
Belege finden sich in der Literatur junger deutsch-jüdischer Autoren der achtziger und neunziger Jahre. Vergleiche hierzu Sander L. Gilman: Jews in Today’s Germany Culture. Bloomington: University of Indiana Press 1995.
Insbesondere während des Historikerstreits und dem Besuch in Bitburg, diskutiert im vorangegangenen Kapitel, kam es zu einer hoffnungslos naiven und verletzend relativierenden Aufrechnung »ihrer« Opfer und »unserer« Opfer. Vergleiche Geoffrey Hartman (Hg.): Bitburg in Moral and Philosophical Perspective. Bloomington: University of Indiana Press 1986, S. 4ff.
Andrei S. Markovits: Rainer Werner Fassbinder’s Garbage City and Death: Renewed Antagonisms. In: New German Critique, Nr. 38, Frühjahr/Sommer 1986, S. 5.
Vergleiche Sander L. Gilmans Diskussion von Masochismus und Schuld, wie sie von Rafael Seligmann im Zusammenhang mit der »Macht« der Juden im Nachkriegsdeutschland thematisiert werden. In: Gilman (siehe Anm. 31), S. 40–45.
Helmut Kohls berühmt-berüchtigter Ausspruch. Das asymmetrische Äquivalent zum »Auschwitz-Bonus« ist natürlich die bereits angeführte Cartoon-Unterzeile »Die Schuld lassen wir uns nicht nehmen«.
»Genug ist genug«, »Das Ende der Schonzeit«, »Man muss endlich einen Schlussstrich ziehen« waren Klischee-Formeln, die im Verlauf der westdeutschen Debatte auftauchten. Vergleiche hierzu Kiderlen (siehe Anm. 14) und Lichtenstein 1986.
Peter Gay: Freud, Jews and other Germans. Oxford: Oxford University Press 1978, S. IX.
Während ihres langen Monologes im Schlachthaus berichtet Elvira, wie Christoph sich für ihre Kunden zu interessieren begann, und wiederholt dabei fast wortwörtlich den Text von Roma B., die sich über Franz B.s besessene Neugier bezüglich der Männer, mit denen sie geschlafen hatte, wundert. Vergleiche IN A YEAR OF THIRTEEN MOONS (1982). In: October, Nr. 21, Sommer 1982, S. 14.
Vergleiche das Zitat in Anm. 33 im folgenden Kapitel.
Vergleiche hierzu auch das Beispiel von Žižek für die Perversion, bei der er, um ihr seine Liebe zu bewiesen, sie verstümmelt, um ihr damit zu beweisen, dass es nicht bloß ihre Schönheit ist, derentwillen er sie liebt. Slavoj Žižek: Das Subjekt Opfer. In: Lettre International, Nr. 19, 1996, S. 63.
Hier ging Gerhard Zwerenz fehl, wenn er während der Fassbinder-Kontroverse anmerkte, dieser hätte besser (wie in der Zwerenz’schen Vorlage) neben dem jüdischen Protagonisten seines Stückes auch die Figur des bekannten und respektierten hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer übernehmen sollen. Vergleiche G.Z.: Das Verschweigen des Sozialisten Fritz Bauer. In: Lichtenstein 1986, S. 247.
Vergleiche hierzu Thomas Elsaesser: Die Gegenwärtigkeit des Holocausts im Neuen Deutschen Film am Beispiel Alexander Kluge. In: Claudia Dillmann / Ronny Loewy (Hg.): Die Vergangenheit in der Gegenwart. Frankfurt/Main: DIF 2001, S. 54–67.
Tatsächlich unterscheidet sich Elviras Situation nicht von derjenigen Hans Epps in HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN, der einsieht, warum er aus dem Dienst entlassen wurde, und daran auch erkennt, dass er ein guter Polizist war. Vergleiche hierzu Kapitel 2.
Klaus Theweleit: Männerphantasien. Bd. 2: Männerkörper – Zur Psychoanalyse des weißen Terrors. Reinbek: Rowohlt 1980 (Original: Frankfurt/Main: Stroemfeld / Roter Stern 1978).
Als soziopolitische und kulturkritische Reflexion ist diese »Was-wäre-wenn«-Nostalgie eines besseren, reineren Deutschland gefährlich naiv und historisch absurd, aber man kann darin auch das populistische und anti-moderne Spiegelbild der Gleichsetzung der amerikanischen Kulturindustrie mit dem deutschen Faschismus erkennen, wie sie die Frankfurter Schule im Zeichen der emphatischen Moderne vertrat.
Syberberg radikalisiert seine anti-amerikanische Position, indem er suggeriert, dass Westdeutschland nach 1945 seine Identität gleich zweimal verlor: Die Hinwendung der Mehrheit zur amerikanischen Popkultur als Gegenbewegung zur Verstrickung in den Massenbetrug der faschistischen Unterhaltungsmaschinerie sei nur eine Seite der Medaille, deren andere Seite die Über-Identifikation der westdeutschen Intellektuellen mit dem Anderen der Anderen war – in diesem Fall mit den jüdischen Emigranten und deren Blick auf die deutsche Kultur.
Siehe auch: Eric L. Santner: The Trouble with Hitler: Postwar German Aesthetics and the Legacy of Fascism. In: New German Critique, Nr. 57, Sommer 1992, S. 5ff.
Diese allegorische Komponente bringt den Film in Konflikt mit all jenen Filmemachern, deren »pc«-Haltung (Eric Santner: das heißt »proper coping«) sich der NS-Vergangenheit oftmals als einer rein deutschen Beziehung näherte. Man begegnete ihr innerhalb der eigenen Familie, zwischen den Generationen (zum Beispiel in den Filmen von Margarethe von Trotta und Helma Sanders-Brahms), oder war damit beschäftigt, Opfer zu identifizieren, um darüber zu einer Solidarität zu gelangen, die Platz lässt für das Erkennen des Anderen und dadurch die Trauerarbeit ermöglicht, deren Abwesenheit die Holocaust-Debatte bestimmte. Wo solche Versöhnung durch einen ödipalen Austausch zwischen schuldigen Vätern und zornigen Söhnen stattfand, wurde sie als die »Hamlet«-Phase der westdeutschen Kultur bekannt. Sie blieb nicht auf Filme beschränkt, sondern konnte auch in literarischen Autobiografien erscheinen. Vergleiche hierzu Michael Schneider: Väter und Söhne, postum. In: M.S.: Den Kopf verkehrt aufgesetzt oder Die melancholische Linke. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1981, S. 8ff. Die Konzentration auf die bösen Väter, deren Kinder/Söhne nicht ewig hassen können – das Thema von Filmen wie WUNDKANAL (1985; R: Thomas Harlan), DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER, dem Beitrag von Alexander Kluge in DEUTSCHLAND IM HERBST, DIE REISE (1985; R: Markus Imhoof) und DIE BLEIERNE ZEIT – kommentierte Henryk M. Broder spöttisch: »Die Nachgeborenen auf der Täterseite haben es wirklich nicht leichter als die Kinder der KZ-Überlebenden. Was hab’ ich doch für ein Glück gehabt, daß meine Eltern auf der richtigen Seite des Lagerzauns waren.« Broder zitiert nach: Lichtenstein 1986, S. 214.
Vergleiche hierzu Thomas Elsaesser: The German Postwar Cinema and Hollywood. In: Rob Kroes / David Ellwood (Hg.): Hollywood Europe. Amsterdam: Vrije Universiteit Press 1994, S. 283ff.
Vergleiche die Diskussion dieser Szene in Kapitel 2.
Kaja Silverman: The Ruination of Masculinity. In: K.S.: Male Subjectivity on the Margins. New York: Routledge 1992, S. 266ff.
Vergleiche Gertrud Koch: Die Einstellung ist die Einstellung. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1992, S. 246ff.
Vergleiche Geoffrey Nowell-Smith: Minnelli and Melodrama. In: Bill Nichols (Hg.): Movies and Methods II. Berkeley, Los Angeles: California University Press 1985, S. 192.
Wie Gertrud Koch zu implizieren scheint. Vergleiche Koch (siehe Anm. 52), S. 34f.
Vergleiche Eric L. Santner: Visual Pleasure and the Primordially Repressed. In: Lynne Cooke / Peter Wollen (Hg.): Visual Display. Seattle: Bay Press 1995, S. 242f.