Terror und Trauma – zwei Begriffe, überall präsent und schon verbraucht, ehe man so recht weiß, was sie bedeuten. Seit dem 11. September gehören sie zum politischen Diskurs und sind selber doch nicht politisch bestimmt; sie färben Vorfälle, Bezüge und Phänomene emotional ein und vertrauen auf ihre Kontrastwirkung. Manchmal sind es Worte, die wortlos machen beim Anblick von ungeheuerlichem Leid, in den Bildern fast täglich neuer Opfer von Gewalt, Zufall und Willkür, und dann wiederum schüren sie ein Feuer, das manchem erlaubt, sein Süppchen zu kochen, ohne dass damit Licht auf die Dinge fällt. Wenn es um Terror und Trauma geht, sind reale, symbolische, somatische und semantische Gewalt kaum mehr voneinander zu trennen.
Diese Unzertrennlichkeit, die es trotzdem zu trennen gilt, ist einer der Gründe, warum die beiden Worte hier zusammengedacht und ?gebracht werden. Es sind die siamesischen Zwillinge eines aktuellen politisch-medialen Diskurses, aus dem sich weitere Überlegungen ergeben zu ihrer nicht selbstverständlichen Intimität, was etwa ihren syntaktischen Status betrifft: Sind es transitive Begriffe, auf Täter und Opfer verweisend, oder verhalten sie sich intransitiv, nur ungreifbare Zustände und Affekte benennend, ohne Objekt, Ziel oder Ursprung? Gemeinsam beschwören sie den Ausnahmezustand, der im Westen im neuen Jahrhundert so stark empfunden wird, aber auch ein Gefühl der Lähmung – politisch wie intellektuell –, das dieser Ausnahmezustand scheinbar hervorgerufen hat, insbesondere bei der politischen Linken. Oft ist nicht einmal klar, wer eigentlich die Panik produziert und worauf die Lähmung hinausläuft: verschwörerische Absicht der Rechten und ihrer neokonservativen Vordenker oder Ermattung und Ratlosigkeit der sozialdemokratischen Linken. Darüber hinaus sind Terror und Trauma hier zusammengedacht, weil sie in einem bestimmten Kontext auf Deutschland zutreffen, in dem sich mehrere Linien der historischen Entwicklung überkreuzen und dabei neue Bezugsebenen freilegen. Schließlich verweisen sie auf bestimmte Strategien der Darstellung, Symbolisierung und Narrativierung, die eine ganze Reihe von Wiederholungseffekten nach sich gezogen haben. Diese wiederum sind selber »traumatisch« und können dennoch in einer Reihe von kulturellen Manifestationen analysiert werden. Es geht um Ausstellungen, Filme, sowie Akte und Orte der Erinnerung, deren gemeinsamer Nenner im Folgenden als das Paradox der »erfolgreich gescheiterten Performativität« bezeichnet wird, wann immer es um das Schaffen von Öffentlichkeit geht. Diese Öffentlichkeit wiederum erscheint zugleich typisch deutsch in der Art, wie sie Beziehungen zur nationalen Vergangenheit schafft, deren Art von Performativität wiederum konstitutiv ist für Trauma im Allgemeinen, das ja immer die Gewalt des Vergangenen benennt. In unserem Kontext wirft sowohl das Öffentliche wie das Performative Fragen auf über die Natur und die soziale Funktion der audiovisuellen Medien, insbesondere des Fernsehens und des Kinos, die diese Bilder – Symbolisierungen und Somatisierungen der Gewalt – in den politischen Raum bzw. in die ihn immer mehr bestimmenden und nicht mehr voneinander zu trennenden Privatsphären und Öffentlichkeiten tragen: und zwar als Wiederholung, deren Form nicht der Erinnerung, sondern der (traumatischen) Vergegenwärtigung dient.
Terror und Trauma sollten jedoch damit nicht automatisch zusammengedacht werden. Beide Begriffe tragen eine Reihe von Bedeutungen und beide haben ihre aktuelle Gebräuchlichkeit in sehr unterschiedlichen historischen und politischen Konstellationen erworben: Terrorismus bezeichnet für das Deutschland der 1970er Jahre etwas anderes als für den israelisch-palästinensischen Konflikt, der in den späten 1980er Jahren in den besetzten Gebieten aufflammte und in der zweiten Intifada ab September 2000 vom Widerstand gegen die Besatzung in den unbeschreiblichen Horror der Selbstmordanschläge auf Zivilisten übergegangen ist. Besonders seit dem 11. September in aller Munde, hat der Begriff Terror einmal mehr seine Reichweite und sein Bezugssystem verändert, seit die Vereinigten Staaten einen globalen »Krieg gegen den Terror« ausgerufen haben, der mit Begriffen wie »Achse des Bösen« ein archaisches Vokabular und eine Sprache der Konfrontation mit sich bringt. Für die meisten Europäer verdecken solche Diskurse auf unzulässige Weise (über-)lebenswichtige Unterscheidungen: eine bereits gefährlich polarisierte Welt wird in solche »für uns« und solche »gegen uns« geteilt, wenn es genauso viel – wenn nicht sogar mehr – Sinn machen würde, zwischen den »Habenden« und den »Nicht-Habenden« oder den »Dazugehörigen« und den »Nicht-Dazugehörigen« zu unterscheiden.1 Wenn Terror das neue Prisma ist, durch das wir unsere Welt verstehen und die Prioritäten politischer Szenarien und Handlungsräume bestimmen sollen, dann müsste auch geklärt werden, in welches Kraftfeld sich der Begriff Terror einschreibt und welche anderen Ver-Handlungsmodi dadurch blockiert und gelöscht werden. Gibt es in den unendlichen Debatten noch einen diskursiven Raum, in dem man auch nur den Versuch wagen könnte, nicht nur über die »Ursachen des Terrors« nachzudenken, sondern die Bedeutung des Begriffs zu »historisieren«, ohne sich in Gefahr zu begeben, die Akte gutzuheißen?2 Was ist beispielsweise aus dem Begriff Widerstand geworden – ein Schlüsselwort für mehrere Generationen im 20. Jahrhundert und dies mit überwältigend positiven Konnotationen? Alle Arten der Gewalt, die nicht staatlich sanktioniert sind, als »Terror« zu bezeichnen, setzt das Gelände als definiert voraus, wenn es doch genau um diese Definition geht: Der Gebrauch des Begriffs hat ein unantastbares Außen erzeugt und ein Innen, das von vielen Menschen als defensiv, emotional klaustrophobisch und politisch reaktionär erfahren wird.3
Auch Trauma ist unter anderen Vorzeichen und Bedingungen in die Diskussion zurückgekehrt: Es bezog sich zunächst auf die Situation der Holocaust-Überlebenden, die von Ereignissen heimgesucht wurden, bei denen sie Zeuge waren und die sie nicht vergessen konnten. Diese versuchten sie »durchzuarbeiten«, zuerst angesichts der Gleichgültigkeit der Welt der Lagerrealität gegenüber, dann aufgrund des Mangels an Gerechtigkeit und Wiedergutmachung gegenüber den Tätern, und nicht zuletzt bezog sich der Begriff auf die Schuldgefühle, überlebt zu haben. In einem ganz anderen Kontext wurde Trauma in den USA zu einer politischen Frage, als die American Psychiatric Association in den 1980er Jahren die post-traumatic stress disorder (PTSD) als klinisches Symptom unter Vietnam-Veteranen anerkannte und damit die medizinisch- legale Grundlage für Wiedergutmachung schuf: Verschiedene andere Opfergruppen (Opfer von Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch und anderer Formen von häuslicher Gewalt und sozialer Diskriminierung) begannen um öffentliche und politische Aufmerksamkeit für ihr Leiden an tatsächlichen oder imaginierten Traumata zu konkurrieren. Seit den 1990er Jahren ist Trauma – mit seinen dazugehörigen oder sich formierenden Theorien – zu einem Teil des kulturellen und nun nicht mehr allein medizinischen, juristischen oder psychoanalytischen Diskurses geworden, was auf breitere Veränderungen in der Beziehung zwischen Bewusstsein und Körpererfahrung weist. Trauma in Bezug auf Geschichte, Erinnerung, Zeugenschaft und Beweiskraft hat zunehmend ein großes Echo in den Künsten, im Kino und in der Literatur gefunden.4
Auch wenn Terror und Trauma getrennte Begriffsgeschichten haben, so gehören sie dennoch einmal mehr zusammen, weil eine Reihe von reziproken Beziehungen angesprochen ist, will man die breiteren kulturellen Parameter verstehen, die ich gerade skizziert habe. Diese Reziprozitäten haben wenigstens zwei unterschiedliche Dimensionen: Zunächst ist da die ungeklärte Beziehung von Ursache und Wirkung. Auf den ersten Blick scheint es so, als wäre die eine (Terror) die Ursache und die andere (Trauma) die Wirkung: Diejenigen, die dem Terror ausgesetzt sind, leiden deswegen an einem Trauma. Tatsächlich ließe sich sagen, dass der Zweck des modernen Terrors nicht darin besteht, Leben oder Eigentum zu zerstören, sondern durch einen Akt der (Selbst-)Zerstörung Zeugen und Überlebende zu erschaffen, die durch den Akt traumatisiert/terrorisiert sind. Doch folgt das Trauma immer auf den Terror oder ist es denkbar, dass Terror auch die Konsequenz von Trauma sein kann? Hier gehen die Meinungen scharf auseinander, und die jeweiligen politischen Optionen verengen und trennen sich rasch. Kann es ein »Trauma der Besatzung« oder ein »Trauma der tagtäglichen Erniedrigung« oder ein Trauma der »absoluten Entfremdung« geben, auf das Akte des Terrors die verzweifelte oder – so würden manche argumentieren – die verzweifelt effektive Antwort geben? Ist diese Linie der Argumentation überhaupt zulässig oder entschuldigt sie das Unentschuldbare – die Opferung unschuldiger Leben –, indem sie sich an einer Rationalisierung und damit an der Billigung einer Erklärung versucht? Gibt es so etwas wie Staatsterrorismus, der tatsächlich terroristische Akte provoziert? Wer, im Umkehrschluss, ist der Nutznießer der Anti-Terror-Maßnahmen, die ihre Legitimation aus den Rachekreisläufen ziehen? Oder ist Staatsterrorismus per definitionem Anti-Terror-Kampf, weil damit nur eine Pflicht bezeichnet wird, die unweigerlich dem Staat zufällt, dessen oberste Aufgabe es ist, seine Bürger zu schützen?
Asymmetrie, Auto-Immun-Störung, Spiegelbild
Hier lässt sich die zweite Art der reziproken Beziehungen zwischen Terror und Trauma festmachen oder hier wurde sie zumindest als Argument vorgebracht. Dieses ist nicht kausal, sondern benennt die (asymmetrischen, aber dennoch verbundenen) Machtverhältnisse, die auf dem Spiel stehen: Der Gedanke einer gegenseitigen Implikation und möglichen Reversibilität von Opfer und Täter ist zwar intuitiv verwerflich, aber dennoch unter gewissen Umständen nur schwer von der Hand zu weisen.5 Noch paranoider ist die Vorstellung, dass die jeweiligen Positionen von Opfer und Täter vorausberechnet sind, mit einer drahtziehenden Instanz hinter den Kulissen.6 In Rainer Werner Fassbinders Die Dritte Generation (1979) erzählen sich ein Industrieller, gespielt von Eddie Constantine, und ein Teilzeit-Polizist (Hark Bohm) einen Witz: Der Polizist hatte im Traum die Idee, dass es der Kapitalismus selbst war, der den Terrorismus erfunden hatte, um den Staat zu zwingen, die Interessen des Kapitals besser zu schützen. Nach dem 11. September gab es ein berühmtes Doppelinterview mit Jacques Derrida und Jürgen Habermas, bekannt unter dem Titel Philosophie in den Zeiten des Terrors. Darin drückt Derrida die Meinung aus, dass
Terrorismus […] jetzt zu einer »auto-immun Störung« geworden [ist]: produziert von den Vereinigten Staaten im Kalten Krieg und danach, eine Art »Selbstmord« derjenigen, die die Terroristen willkommen geheißen, bewaffnet und trainiert haben. Die Handlung des Terroristen ist ein Produkt dessen, was er ablehnt, Spiegelbild seines Ziels. […] Die Prognose ist düster: Als Produkt der Gewalt, die ihn zu unterdrücken sucht, schuf der Terrorismus ein Trauma, das nicht durch Trauer gelindert werden kann, weil das Herz des Traumas nicht das vergangene Ereignis ist, sondern die Angst vor einem zukünftigen Ereignis, dessen katastrophische Natur nur geraten werden kann. Die Vorstellungskraft wird hierbei angetrieben von Medien, ohne die es erst gar kein ›weltgeschichtliches Ereignis‹ gegeben hätte. Der Kreislauf ist beinahe undurchdringlich: Terrorismus und das, wogegen er steht, sind in einem reziproken Spiel der Zerstörung gefangen, in dem Ursachen sich nicht länger von Wirkungen unterscheiden lassen.7
Derrida entdeckt hier im Massenmord von New York und seinen Folgen eine Logik, die genauso ein schlechter Witz oder ein schlimmer Traum ist, als die des Polizisten in Fassbinders Film. Die drei Bewegungen, die für Derrida in den Ereignissen des 11. September zusammenkommen und die für uns retrospektiv die vorausgehende Geschichte umschreiben, haben alle dazu beigetragen, Terror und Trauma in zuvor ungeahnter Weise umzuschreiben. Zunächst bewaffnete und trainierte die USA selber während des Kalten Krieges die islamistischen Militanten und schufen die religiösen Fundamentalisten und post-ethnischen Identitäten, die sich dann gegen den Westen wandten. Zweitens ist die Situation schlimmer als während des Kalten Krieges, als die »Abschreckung« ein (symmetrisches) Gleichgewicht zwischen den beiden Supermächten hielt. Jetzt verlangen die asymmetrischen Machtbeziehungen, in denen möglicherweise apokalyptische Waffen in die Hände von nicht-staatlichen und daher nicht dem Selbsterhaltungstrieb unterliegenden, selbstmörderischen Feinden gelangt sein könnten, nach »prä-emptiver« Handlung, wodurch unkalkulierbare Konsequenzen in jede politische Situation einziehen, während internationales Recht und die Institutionen aufgehoben sind, die eigentlich zu ihrer Durchsetzung und zu ihrem Schutz existieren. Die präemptive Unterdrückung solcher Feinde führt nicht nur zu ihrer Vermehrung und Multiplikation: Die rechtlich ungedeckte Natur der Handlungen unterminiert gerade jene Prinzipien, auf deren Basis die Interventionen durchgeführt wurden. Darum bezeichnet Derrida (und Baudrillard) den 11. September als »doppelten Selbstmord«, physisch den der Angreifer und moralisch den der Vereinigten Staaten.8
Können diese Spiegel-Beziehungen mit ihrer tödlichen Form der vergeltenden Reziprozität dekonstruiert werden? Derrida führte die zeitliche Dimension wieder ein, als er das Argument vorbrachte, dass Trauma eine Geisteshaltung ist, die nicht länger mit dem (fehlschlagenden) Aufdecken und Rekonstruieren der Vergangenheit befasst ist, sondern sich stattdessen ganz und gar einem antizipierenden Warten hingibt, das auf die Zukunft ausgerichtet ist. »[D]as Gespenst von Terror und Trauma besteht nicht in einem Datum in der Vergangenheit, sondern in einer unverständlichen Zukunft, die durch dieses Ereignis angedeutet wird.« Dieses lenkt die Aufmerksamkeit auf die neue Dimension, die in die klassische (symmetrische) Situation des Auge-um-Auge eingetreten ist, und die auch über das übliche Kalkül der »Eskalation« hinausgeht, oder , technischer ausgedrückt, über das »positive Feedback« der Kreisläufe von »Rache« und »Vergeltungsmaßnahmen«, das »kriegsähnliche« Konfliktsituationen normalerweise kennzeichnet. Terror und Trauma als zeitliche Vektoren sind jetzt in einer Spirale verbunden, die als eine der neuen »globalen« Episteme gilt, deren Merkmale ›Reflexivität‹ und ›Risiko‹ sind.9 Um diese Spirale noch einmal aufzudrehen und auch die gerade erwähnten asymmetrischen Machtverhältnisse zu fokussieren, muss man sich einem einzelnen Fall zuwenden. Was liegt näher, als sich die BRD vorzunehmen, deren Geschichte bisher durch die Folgen des Naziterrors und die unterschiedlichen Formen der Traumata, die aus dessen Nachwirkungen entstanden sind, geprägt ist? Nirgends sonst lässt sich eine größere Verantwortlichkeit finden, um zu verstehen, was in der gegenwärtigen Konjunktur von Terror und Trauma auf dem Spiel steht. Und doch gibt es wohl keinen anderen Ort in Europa, wo Terrorakte, wo immer sie sich auch ereignen, solch aufgewühlte Erinnerungen hervorrufen und so viele Nerven und Sensibilitäten blank liegen lassen wie in Deutschland. Können die deutschen Politiker und Intellektuellen durch die Authentizität einer besonderen historischen Erfahrung sprechen und deshalb mit einer kühleren, gemesseneren Stimme? Oder ist es gerade umgekehrt: Ist Deutschland noch immer so traumatisiert durch seine eigene Rolle im Terror des 20. Jahrhunderts, dass, was auch immer in der performativen Arena der Öffentlichkeit gesagt wird (und mehr noch, wie gehandelt wird), durch diese fatale Verbindung gekennzeichnet ist, die, wie schon erwähnt, auch eine Verwechslung in sich birgt, nämlich die Vermischung von physischer oder psychosomatischer Gewalt mit symbolischer und semantischer Gewalt? Die vermittelnde Rolle in Russland und Afghanistan, im Iran und Kosovo, um die sich die deutsche Außenpolitik seit der Wiedervereinigung bemüht, deutet auf Ersteres hin, die erhitzten Debatten über die Bombardierung Dresdens, die öffentlichen Äußerungen antisemitischer Politiker, die Ausstellungen über die Rote-Armee-Fraktion, über Filme wie Der Untergang und das Holocaust-Mahnmal in Berlin legen Zweiteres nahe.
Zentral geht es dabei um die Frage der Medienbilder, die die Geschichte hinterlassen hat: ihrer gleichzeitigen Omnipräsenz und Latenz – an sich schon eine Definition dessen, was unter Trauma zu verstehen ist. Wie verhält sich dieses ›Trauma der Bilder‹ zur ungebrochenen Faszination mit unserer deutschen Vergangenheit und ihrer permanenten Wiederkehr in den Medien, nicht nur in Deutschland? Schon 1985 hieß es in Don DeLillos Roman White Noise in einem Gespräch zwischen Jack Gladney, einem selbsternannten »Professor of Hitler Studies«, und seiner Frau Babette: »He was on again last night«, sagte Babette. »He’s always on«, antwortete Jack, »We couldn’t have television without him.«10 Wenn sich in den dazwischen liegenden zwanzig Jahren diese Einsicht nur bestätigt hat – nicht von ungefähr heißt unter Web- Loggern der global übertragene History-Channel »the Hitler Channel«11 –, dann fragt man sich, warum gerade in Deutschland, nach so vielen Jahrzehnten seit dem Ende des Naziterrors, der Begriff des Traumas so gelegen kommt, um dieses Verhältnis von Vergangenem und der Gewalt seiner ikonischen Wiederkehr zu thematisieren. Wenn wir Derrida folgen, ist aber die Vergangenheit nur einer der Zeitvektoren des Traumas: er reicht ebenso in die Zukunft, oder vielmehr, seine Form der Wiederholung und Endlosschleife vernichtet ebenso die Distanz zum Vergangenen, wie es die Vorstellung einer Zukunft suspendiert, verstanden als aktive Veränderungen am Gegebenen.
Damit ergibt sich auch die Frage nach den kulturell spezifischen Formen der Darstellung des Vergangenen und diesem Modus seiner Gegenwärtigkeit. Insbesondere dem Kino kommt dabei eine ambivalente Rolle zu, denn dort verdichtet sich Realität zu Affekt, und was gewesen ist, wird immer wieder gegenwärtig und präsent gemacht. Authentizität und Mythos schaffen sich im bewegten Bild eine eigene Zeitebene, sie haben einen besonderen Bezug zu Geschichte und Gedächtnis, als wiese das Kino in seinem eigentlichen Charakter schon eine strukturelle Affinität zum Trauma auf.
Die RAF und ihre »Gespenster«
Asymmetrische Machtverhältnisse, das Vexierspiel der Spiegelbilder, die Darstellungsmodi und Rückkopplungseffekte der Medien und das Performative der Gewalt: Nirgends kommen in der Geschichte der BRD diese Aspekte gesellschaftlicher Realität, medialer Vergegenwärtigung und politischer Gegenwart so komprimiert zusammen wie im Verlauf der Vorgänge und im Umgang mit der RAF. Denn wann immer Terror und Trauma in Deutschland in einem Atemzug genannt werden, assoziieren sich vor allem die 1970er Jahre, als die damals noch als ›Baader-Meinhof-Bande‹ bekannte RAF eine neue Art von gewaltsamem Terrorismus erfanden, der neben Banküberfällen in Fußgängerzonen, Flugzeugentführungen und Geiselnahmen, Verfolgungsjagden auf Autobahnen, Fahndungen in Großstädten, Showdowns in Provinz-Bahnhöfen, Hausdurchsuchungen in Wohnsilos und Steckbriefen in Postämtern vor allem auch neue Bilder und Töne in die Wohnungen der Bundesrepublik brachten. Als Reaktion auf den Vietnamkrieg, die Stationierung der NATO-Pershing-Raketen in Europa und der Solidaritätsbeweis mit den Freiheitskämpfen in Lateinamerika wurden diese Aktionen meist auch als die traumatisierte (Über-)Reaktion auf den nicht bewältigten Nationalsozialismus des öffentlichen Deutschlands interpretiert, wobei diese Lesart die RAF weder entschuldigen wollte noch letztlich erklären konnte. Dennoch haben sich um die RAF sozialpsychologische Interpretationsmuster und medienhistorische Deutungsversuche eingeschrieben, die nachzuzeichnen es sich lohnt.
Das (periodisch immer wieder aufflackernde) Nachleben der RAF gehört in erster Linie zu der seit den 1980er Jahren stets mehr um sich greifenden, allgemeinen Gedächtnis? und Erinnerungskultur, die im Zeichen der »Aufarbeitung« des Holocaust und des Naziregimes auch der RAF (und der oben erwähnten Deutung in Bezug auf NS-Traumata) einen festen Platz in der Geschichte der BRD eingeräumt hat.12 Dabei bleibt diese gesellschaftlich anscheinend so folgenlose (jedoch für mehrere Generationen außerordentlich prägende) Episode politisch (Meinhof) und kleinkriminell (Baader) motivierter Gewalt gegen Staat, Institutionen und ihre öffentlich sichtbaren Träger (Bankiers, Politiker, Vertreter der Großindustrie, Polizei) oftmals in der Analyse isoliert von ihren trans? und internationalen Verflechtungen mit anderen politischen und zu Gewalt greifenden Protestbewegungen in Italien, den USA oder Japan im selben Jahrzehnt. Auch die kausalen Verbindungen der RAF-Mitglieder zu den bewaffneten Gruppen palästinensischer Guerilla im Libanon, Syrien und Nordafrika wurden bislang eher ausgeblendet, wenn es darum ging, eine Genealogie der RAF innerhalb der BRD (Vor-)Geschichte festzuschreiben. Vor allem Jahrestage (9. November, 20. April, 7. Mai, 2. Juni, 22. Juli) oder ?zahlen (1968/1989, 1977/1997, 1945/2005) stellen die Eckdaten dieser medialen und auf Deutschland zentrierten Aufmerksamkeitszyklen, die natürlich auch mit dem Ableben von Zeitzeugen und deren Primärerfahrung verbunden sind.
Was im Zusammenhang mit dem Begriff des Traumas allerdings Kommentar verdient, ist gerade das Moment des Zyklischen. Besser gesagt, ein besonders der deutschen Erinnerungskultur innewohnender Zug zur Wiederholung derselben Momente und Argumente manifestiert sich oft geradezu als Wiederholungszwang: In dem Sinne, dass das Aufgreifen vor allem der RAF-Geschichte – in dieser Hinsicht mit dem noch immer nicht geklärten Verhältnis der Deutschen zur Judenvernichtung und zum Antisemitismus zu vergleichen – sich selten ohne Skandal, Fehltritte, Provokation und Blamage abspielt. Manche sprechen deshalb auch bei der RAF von ›mangelnder Souveränität von Politik und Gesellschaft‹ und ›überaus neurotische Grundreaktionen‹ beim Verarbeiten dieser ›Konfliktszenarien‹:
Gewiss, die RAF ist längst untergegangen und ein Teil der bundesdeutschen Geschichte geworden. Zugleich scheint aber immer noch ein Gespenst gleichen Namens durchs Land zu ziehen und für erhebliche Unruhe sorgen zu können.13
Dieser Terminus des Gespensts ist inzwischen aus der Diskussion nicht mehr wegzudenken: Ghosts von Klaus Theweleit, geschrieben aus Anlass des 20. Jahrestags des ›heißen Herbsts‹ von 1977, machte den Auftakt, nachdem schon 1982 Herbert Achternbusch das Wort »Gespenst« für einen seiner kontroversesten Filme strategisch eingesetzt hatte. Was in Bezug auf die RAF dabei vor allem in den Vordergrund geriet, war die Hamlet-Konstellation, bzw. die Obsession mit der Vätergeneration, von der die RAF-Täter sich wechselweise gewaltsam absetzten und mit der sie sich ebenso gewaltsam überidentifizierten, in einer Mischung aus gekränktem Narzissmus und Selbsthass, die nach dem oben genannten Muster der (ödipalen, aber auch anthropologisch zu fassenden) Spiegelmetapher zu funktionieren schien. Psychoanalytisch deutbar und vielfach gedeutet, kann man es auch auf einen politischen Punkt bringen: »[S]ie waren dagegen, um endlich einmal dazuzugehören«, was die zwei Seiten der Vater- Medaille nennt, aber auch den eher tragischen Double- bind eines politischen self – other Konflikts, der seit Gregory Bateson, Margaret Mead oder Mary Douglas in der (post)kolonialen Anthropologie ebenfalls eine Rolle spielt. In der BRD sah die gefährliche und selbstmörderische Tragik etwa so aus: Wenn man zwar mit dem ›dagegen‹ die Lebenslügen, uneingestandene Schuldgefühle und autoritäre Rechthaberei der Väter meinte, so konnte ›dazugehören‹ alles mögliche bedeuten. Es konnten z. B. die authentischen, wenn auch politisch kriminellen Lebenserfahrungen der Väter während des Weltkriegs sein, die Leistung und das Geld der ungestraft erfolgreichen Aufbaugeneration, oder das internationale Prestige der Ost-Politik von Brandt und Genscher.14 Gleichzeitig waren ›dagegen sein‹ und ›dazugehören‹ verinnerlicht im autoritären Gestus der Antiautoritären, in der die wissenschaftliche Wahrheit reklamierenden Selbsttäuschungen der Dogmatiker aus den maoistischen K-Gruppen, und im Anti-Zionismus, der den alten Antisemitismus – von seinen Auschwitz-Schuldgefühlen und ?zuweisungen scheinbar befreit – sowohl in der Umkehrung aufhob als erneut bestätigte.(foonote: 15) Neben dieser am eigenen Körper mehr oder weniger schmerzhaft-unbewusst gelebten Psycho- Dynamik-Dialektik (während die Köpfe im Diamat der Marx-Engels-Stalin-Mao-Werke steckten) wurde die RAF (und ihr Aktivisten-Umfeld) zum deutschen Familiendrama par excellence: Väter und Söhne, Mütter und Töchter, Schwestern, Patenonkel, Großväter und Enkel. Gleichzeitig war die RAF beredtes Beispiel, wie das vom Marxismus als bürgerlich verpönte historische Epochenschema und soziologische Erklärungsmuster ›Generationswechsel‹ gegen den Willen der Akteure besonders effektiv wurde, weil er ihr Selbstbild heimsuchte und ihren Handlungsraum bestimmte, womit seine Verleugnung ihn, wie ein Gespenst, zwar omnipräsenter aber auch ungreifbarer machte.16
Die deshalb fast schon nicht mehr metaphorisch gemeinte Formel vom Gespenst konnotiert somit das Untote und Unheimliche am Nachleben der RAF, wie es inzwischen mindestens zwei Generationen trifft: die der Überlebenden, Mitläufer, Sympathisanten, Aus- und wieder Eingestiegenen in die post-bürgerliche Gesellschaft und deren ›Kinder‹, die entweder die 1970er Jahre als die letzte heroische Periode, die sie gerade verpasst haben, erleben,17 oder die sich vor allem der Bilder, Embleme und Wortwendungen bemächtigen, die diese ›bleierne Zeit‹ in einem solchen Übermaß produziert hat. Denn »untot« ist die (Geschichte der) RAF aus mehreren Interessenlagen heraus, die es – nach demselben Generationsschema – erst einmal auseinander zu halten gilt.18 Untot zunächst einmal, weil die RAF und das Milieu der Studentenproteste, aus dem sie hervorgegangen ist, sich als die notwendigen Exhumierer und Totengräber einer anderen Geschichte sahen, die sie für untot hielten – die des Faschismus, der begraben worden war, ohne ihn auszutreiben. Zweitens hatten diejenigen, die direkt beteiligt waren oder Teil der breiteren Bewegung ausmachten, auf die sich die RAF stützte (insofern ihre Motive, wenn auch nicht ihre Aktionen, einen gewissen Grad an Unterstützung, Solidarität und Sympathie hervorriefen), in den 1990er Jahren selbst Positionen von Macht und Einfluss erlangt. Sie hatten auf eine bestimmte Art ihrer Vergangenheit abgeschworen, doch ihre Antwort blieb notwendigerweise ambivalent. Stützten sie sich politisch darauf, um sich zu legitimieren, lehnten sie zwar Methoden und Mittel ab, mussten aber dennoch mit diesem Vermächtnis leben, das oft genug zurückkehrte und sie heimsuchte. Im Fall von Prominenten wie Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Otto Schily und Daniel Cohn-Bendit war die Vergangenheit untot: Sie konnte sie wieder »einholen« wie bei Fischer (durch »belastende« Fotos) oder Cohn-Bendit (eine missverständlich formulierte Passage in seiner Autobiographie über das Zusammensein mit Kindern). Die Vergangenheit konnte ihnen sogar direkt ins Gesicht schauen wie im Fall von Schily die nihilistische Grimasse des Anwaltskollegen und Außenseiters Horst Mahler, der der RAF beigetreten war und in den Untergrund ging, dann verurteilt wurde, nach einigen Jahren im Gefängnis vorzeitig entlassen wurde, nur um in den 1990er Jahren als Sprecher der Neonazis wieder aufzutauchen.
Doch es gab noch einen weiteren Grund, weshalb die RAF nicht nur untot blieb, sondern dies auch auf irritierende und provokante Weise – wegen der Bilder, die von ihr zirkulierten, oder eher, wegen der Diskrepanz zwischen der klandestinen, versteckten Existenz der Gruppe – kamerascheu und im Untergrund zu Hause – und ihren Aktionen, die besonders darauf abgestimmt waren, Bilder zu produzieren von Zerstörung, Chaos, Durcheinander, Gewalt. Die RAF legte Bomben, doch wie in allen darauf folgenden Terrorakten fungierten ihre Explosionen von Licht und Feuer auch als Foto-Blitze, die dazu dienten, den Fluss des normalen Lebens anzuhalten und stattdessen einen imaginären Filmstreifen zu belichten, der den Moment für ihre und unsere kollektive Geschichte für alle Zeit festhalten sollte. Denn da diese Bilder nicht nur in jener Epoche immer wieder gezeigt wurden und im Lauf der Zeit kontinuierlich reproduziert wurden – dann, wenn auch von der RAF die Rede war –, traten sie in einen Kreislauf der Wiederholung und des nochmaligen Zeigens ein. Emblematisch, suggestiv, niemanden in Ruhe lassend und auch selber nicht in Ruhe gelassen werdend, pflanzten sie sich in die visuelle Erinnerung einer Generation, die keine direkte Erfahrung mit der RAF hatte, außer durch ihre Bildgegenwart in diesen traumatischen, doch machtvoll ikonischen und von daher widersprüchlichen Signifikanten von Handlung und Gewalt.
Der »Exorzismus« dieser kognitiven Dissonanzen von Faszination, Horror und Medienaufmerksamkeit ist es, der die nachfolgenden Generationen scheinbar beschäftigt. Dass dies, zur Bestürzung der Älteren, gelegentlich in einem performativen Modus geschieht, als ein Ausagieren in der typischen Art einer Pop-Aneignung anstatt mit der obligatorischen kritischen Distanz oder dem erforderlichen Ernst des therapeutischen »Durcharbeitens«, sollte man nicht als reine Frivolität abtun.19 Das Umarbeiten des RAF-Emblems mit dem fünfzackigen Stern, dem Schriftzug RAF und der Heckler & Koch-Maschinenpistole in die mythischen »Prada-Meinhof«-Modeaccessoires mag als Gipfel des Zynismus erscheinen, doch geschieht dies nicht ohne eine eigene historische als auch semantische Logik. Diese kontert das unheimliche Untotsein, die seltsame Beziehung zwischen Leugnung und affektiver Besetzung, zwischen pro und contra, zwischen Erkennen und Verkennen mit dem grafischen Ausdruck, der nicht zu passen scheint und bewusst inkongruent bleibt. Die Sprache, die erfolgreich und explizit dafür entworfen wurde, um solch ein widersprüchliches Aufeinanderprallen von Wahrnehmungen, Sensibilitäten und Werturteilen aufzuzeichnen und darzustellen, ist die Pop-Art-Provokation und die Markenidentität, kurz: die Werbung. Damit wiederholt sich nur (und kommentiert zugleich) im authentischen Medium der Inauthentizität und des Zitats, d. h. der Mode, was in den 1970er Jahren schon so schockierend war: die schreienden Schlagzeilen der Bild-Zeitung und die diffamierenden und absichtsvoll desorientierenden Wort-Bild-Collagen auf den Titelseiten von Quick oder Stern. Wolfgang Kraushaar hat nachdrücklich auf das Paradox der Bilder der RAF hingewiesen:
[Die] Schwierigkeit besteht ja gerade darin, dass es im Falle der RAF um die Kompensation einer tendenziell bilderlosen Wirklichkeit durch eine medial gesteuerte Bilderwelt gegangen ist, die – wie die Praxis der »Bild«-Zeitung bis in die Gegenwart beweist – vor allem auf die Empörungsreaktionen einer präkonditionierten Öffentlichkeit setzte. […] Der exorbitante Preis, den der »Stern« seinerzeit der ehemaligen RAF-Angehörigen Astrid Proll gezahlt hat, um ihr die einzig existierenden Privataufnahmen von Baader und Ensslin abzuknöpfen (jene Aufnahmen, die das Paar Ende 1969 in einem Pariser Café zeigen), bestätigen das aufs drastischste. […] Die RAF ist durch Bildaufnahmen strategisch erobert und nachhaltig besetzt worden. Gerade die Entwendung einer Bildersprache durch ganz andere, zum Teil staatliche Kräfte ist es gewesen, die das heutige Gesamtbild des RAF-Phänomens geschaffen hat.20
Es könnte sein, dass die RAF für die »Generation Golf« inzwischen als Super-Gruppe oder Punkrock-Band der 1970er Jahre erscheint, die Deutschland niemals hatte, doch es sind nicht nur schnelle Autos, Mädchen und Maschinenpistolen, die zu den Mythen von Ensslin und Baader als Bonnie und Clyde der BRD gehören.21 Die »Zu spät für 68er«-Generation, die ersten jungen Erwachsenen, die vollständig durch das Fernsehen sozialisiert wurden, ist in ihrem Umgang mit Mediendarstellungen extrem anspruchsvoll und blasiert und musste deshalb ihren eigenen Weg finden, mit den Widersprüchen und Komplexitäten fertig zu werden, die sich hinter diesen Bildern verbargen. Sie mussten sich auch als Deutsche neu positionieren, die in der Schule Nazizeit und Holocaust behandelt haben, dies vielleicht so ausführlich, dass ihre Großväter für sie zunehmend wie faszinierende Fossilien des »absoluten Bösen« erschienen statt als dessen verachtenswürdige lebendige Ausgeburten. Zugleich gab die Unschlüssigkeit ihrer Väter, in der Art, deutsch zu sein, ihrem eigenen Kompass wenig Orientierung und die Nadel schlug noch wilder nach der Wiedervereinigung aus, als die zwei deutschen Staaten rasch erkannten, wie wenig sie gemeinsam hatten. Die Pop-Aneignung der RAF ist von daher selbst kein illegitimer Versuch, einige dieser gordischen Knoten zu durchtrennen, was auch immer man von bestimmten Erscheinungen des »schlechten Geschmacks« halten mag: Die Geschichte der RAF mit kinoartiger Gewalt, straßentheaterähnlichem Terror und Akten beschämender Unmenschlichkeit brachten ausreichend Tabus mit sich, die durch spielerische Aneignung zum radikalen Bruch reizten. Was ausgetrieben werden musste, war vielleicht nicht so sehr die Faszination für diese Art der direkten Aktion, sondern das frühere Spiel mit Bildern und Zeichen von Zeitungs? und Fernsehjournalisten und der Polizei – allemal kalkulierter in ihrer Demagogie und infamer in der Propaganda als das RAF-Logo auf T-Shirts, Unterwäsche oder Handtaschen.
Dennoch ist es verständlich, dass insbesondere seit dem 11. September 2001 viele wünschten, dieser »Spuk« möge endlich verschwinden und die Geister zur Ruhe kommen. Weil so viel über die RAF und ihr nationales Psychosyndrom geschrieben wurde, kann man kaum behaupten, dass es »verdrängt« sei. Wenn es stets zurückkommt, was tatsächlich der Fall ist, wird damit ein allgemeiner Zweifel an der Stimmigkeit des Freud’schen Begriffs »Rückkehr des Verdrängten« geweckt als auch an der Sinnhaftigkeit der normalerweise verschriebenen Therapie, dem Aufarbeiten, selbst wiederum eine der am häufigsten wiederholten und klischeehaftesten Vorstellungen der gesamten Debatte.22 Ich vertrete im Folgenden deshalb die beinahe diametral entgegengesetzte Position: Es mag seinen Grund haben, warum diese Geister untot bleiben, der nicht nur symptomatisch für Verdrängung und Unterlassung ist. Wie ich im Kapitel zu Alexander Kluge darzulegen versuche, könnte nämlich gerade in diesem verbliebenen Rest der Nicht-Normalisierung eine besondere Chance, ein besonderes Pharmakon oder Gegengift liegen. Nicht nur für das Deutschland, das sich an seiner BRD-Geschichte weiterhin abarbeitet, oder für die allgemeine Erinnerungskultur, die Europa so attraktiv für Touristen und so suspekt für Globalisten macht, sondern auch für die oben angeschnittene Frage, wie mit den Begriffen Terror und Trauma umzugehen ist: wenn nicht in der Politik, so vielleicht in der Kunst.23 Um Letzteres ging es in einer Ausstellung, auf die noch zurückzukommen ist, aber – so die These dieses Buches – auch in einigen der schon damals gedrehten Filmen, und vor allem im Werk von Filmemachern, die dem inzwischen ebenfalls totgesagten deutschen Autorenkino der 1970er und 1980er Jahre zuzurechnen sind. Dort gibt es Ansätze, die in ihren über Aufarbeiten und Ausagieren hinausgehenden Möglichkeiten einer ›Poetik der Parapraxis‹ noch nicht genügend beachtet worden sind.
Die RAF als Vexierbild
bundesdeutscher (Medien-)Geschichte
Die Essays, die in diesem Band zusammenkommen, stammen – mit einer Ausnahme – aus der Zeit vor 2001 und wurden (mit derselben Ausnahme) ursprünglich auf Englisch publiziert, so dass sie sich an ein nicht-deutsches Publikum wandten, auch wenn sie sich mit ausgesprochen deutschen Themen auseinander setzen. Sie nähern sich diesen Themen damit von einer etwas anderen Perspektive, weil sie sich an eine Leserschaft richten, die mit den angloamerikanischen Debatten vertraut ist.24 Der Grund, warum diese Essays jetzt auf Deutsch erscheinen, ist, wie bereits angedeutet, mit der kürzlichen Wiederbelebung des RAF-Effekts verbunden, einer Ausstellung, die unter dem Titel »Mythos RAF« für 2003 geplant war und schließlich von Januar bis März 2005 mit dem Untertitel »Zur Vorstellung des Terrors« in den Kunstwerken Berlin (und im Anschluss in Wien) stattfand. Wie man inzwischen klar sehen kann, passt die Geschichte der Ausstellung perfekt in das Muster, das bereits viele Male durchgespielt wurde: Kontroverse, Protest, Presse-Kampagnen, Missverständnisse, gegenseitige Anschuldigungen, Enthüllungen, Absagen, Einmischungen, Rettungsoperationen.25
Ich konnte die Ausstellung besuchen, möchte aber keine weitere Kritik beisteuern und auch nichts zur großen Menge an Kommentaren, die um die Ausstellung publiziert wurden.26 Mich interessiert, was Aleida Assmann in einem anderen Kontext als »Erregungsspur« bezeichnet hat, die Begriffe wie »Terror«, »Trauma« oder »RAF« in ihrem Gefolge mit sich führen.27 Da die Diskussion über Terror und Trauma noch einige Zeit weitergehen wird, möchte ich diese letzte Runde der Debatten über die RAF (ausgelöst durch die Ausstellung) nutzen, um einige weitere Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Richtung habe ich in den ersten Abschnitten dieser Einleitung angedeutet, vor allem der zeitliche Index des Traumas als etwas, das die Zukunft impliziert und unterschiedliche Handlungsschemata der Performativität involviert. Im abschließenden Kapitel »Die Postmoderne als Trauerarbeit« soll daneben eine andere Spielart kommentiert werden, wie im Zeitalter der Massenmedien die Beziehung zwischen Geschichte und Erinnerung, zwischen Wiederholung und Latenz zu konzeptualisieren sei. Dabei wird auch zu fragen sein, warum »Trauma« aus dem psychoanalytischen und medizinischen Bereich in die kulturelle und politische Sphäre gewandert ist.
Das erste und längste Kapitel – »Antigone BRD: Die Rote Armee Fraktion, Deutschland im Herbst und Todesspiel« – wurde ursprünglich 1997/98 geschrieben und wollte, wie Theweleits Ghosts, an den zwanzigsten Jahrestag der Ereignisse vom Oktober 1977 erinnern, den so genannten »heißen Herbst«. Mein Text begann als Reflexion einer Reflexion, indem ich mir Deutschland im Herbst vornahm, den Film von 1978, der sich an einer ersten Reaktion auf die Ereignisse versuchte. Mich interessierte die implizite Antwort auf diese Antwort, so empfand ich zumindest Heinrich Breloers Todesspiel, die TV-Miniserie mit großem Budget. Doch der Vergleich zwischen den beiden Filmen und ihre jeweiligen Strategien der Narrativierung, Handlungsentwicklung und mythologisierender Demystifizierung verwickelte mich rasch in weitergehende Überlegungen, da ich merkte, wie viele urbane, historische und diskursive Räume die RAF bis dahin zu besetzen, zu kolonisieren und zu bewohnen begonnen hatte. Durch die Überblendung der Filme, der Medienbilder, die ich aus jener Zeit erinnerte, und einiger der Studien, Reportagen und Geschichten, die in der Zwischenzeit publiziert worden waren, wurden die unterschiedlichen Schichten, die sich abgesetzt hatten und sich gegenseitig ablösten, besonders sichtbar. Die üblichen Fragen: Sollte die RAF mythologisiert oder dämonisiert werden, sollten ihre Mitglieder als monströse, sich selbst belügende Milleniaristen dekonstruiert werden, als End- Zeitler, wie sie sich selber ausstellten, oder sollte man sie als lächerlichen Haufen paranoider Verlierer bemitleiden, als die sie sich am Ende herausstellten, interessierten weniger, vielleicht weil ich mich in räumlicher Distanz befand, auch wenn ich selbst zur »Generation« gehörte, um die es ging.28
Während mir bestimmte wiederkehrende Motive auffielen, die von den Ereignissen wie Wellen nach außen liefen, wurde mir klar, wie die gebrochen reflektierenden Oberflächen auch die Art und Weise »kontaminierten«, in der man über die RAF schreiben und nachdenken konnte. Man war in einem Spiegelkabinett gefangen. Ich begann mich zunehmend für den Effekt der Wiederholung selbst zu interessieren, für die unvermeidliche Selbst-Referentialität, Rekursivität und den Effekt der mise en abyme, in denen die gesamte Episode und ihre Folgen noch immer gefangen gehalten waren, in den Filmen ebenso wie in der biografischen, autobiografischen und historisierenden Literatur, die um 1997 entstand. Anders gesagt: die verstrichenen zwanzig Jahre schafften zwar eine Art von Distanz, die es der Erinnerung an diese Ereignisse erlaubte, in die Geschichte einzugehen und eine auf breiten Konsens treffende narrative Form anzunehmen, denn die meisten Beobachter sind sich einig, dass die RAF-Episode zu einer Stärkung und vielleicht sogar einer »Neugründung« des deutschen Nachkriegsstaates führte29. Allerdings verwischten die Wiederholungen des RAF-Effekts – und die Art seines Auftauchens (durch aufgebauschte Enthüllungen, ungelöste Mordfälle, Entdeckungen von RAF-Mitgliedern in der DDR) und die damit einhergehenden Irritationen (bittere und taktlose TV-Konfrontationen zwischen den Tätern und Angehörigen der Opfer) – tatsächlich die Umrisse, wie in Gerhard Richters berühmtem Gemälde-Zyklus 18. Oktober 1977. Dabei verwandelten sich die zeitlichen Verschiebungen und Intervalle der Wiederaufführung, Reflexion, Kommentare und Erinnerung in eine seltsame Art von hieroglyphischer Bilder-Schrift: leicht sind die Details zu erkennen, aber das Ganze ist schwer zu entziffern, und wie bei Richter hat man das Gefühl, gleichzeitig zu nah und zu weit entfernt zu sein.
Es stimmt, dass die Kraftlinie, die ich zu Anfang erwähnt habe, an der Staat und Terroristen bis zu einem gewissen Grad das Spiel von gegenseitiger Implikation und reziproker Eskalation des jeweils anderen mitspielten, in den Filmen erkennbar war. Es stimmt auch, dass das originäre Terrain der RAF, das der physischen Gewalt und der spektakulären Terrorakte, in den vergangenen Jahren zu einem »Wald der Symbole« geworden war: eine Landschaft der Ideogramme, Textfragmente und Bilderrätsel, die sich als ein sich immer noch im Kreis drehendes Panorama lesen lies oder, besser noch, als filmische Endlosschleife, die den Film »Terror – Made in Germany« vorführte. Als solcher handelte es sich um eine Koproduktion zwischen der RAF (mit ihren Akten der gezielten Zerstörung, die surreale Bilder von verbeulten und ausgebrannten Mercedes-Limousinen in grünen Villenvierteln hervorbrachten), der Boulevardpresse (mit ihren Aufmacherfotos und schreienden Überschriften), der Polizei (die Fahndungsbilder in der Öffentlichkeit anbrachte und Demonstrationen oder Beerdigungen mit Camcordern aufnahmen) und dem Fernsehen (die in verschwommenen, körnigen oder unscharfen Bildern live von den Tatorten berichteten, mit Aussetzern des Tons oder wackliger Handkamera). Wenn es stimmt, dass es sich bei der RAF um eine »Kommunikationsavantgarde, auf den jüngsten Errungenschaften der Mediengesellschaft reitend, Virtuosen im Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit«30 handelte, dann galt dies auch für die Polizei und die Sicherheitsorgane – um nicht die Profis der populären Medien zu nennen, die die neuen Spielregeln rasch lernten. So »hatten alle ihren Spaß« und noch retrospektiv kann man das Adrenalin spüren, das durch die Körper pulsierte, eine Art Takt und Rhythmus in immerwährender Beschleunigung, plötzlichen Umkehrungen und der finalen Auflösung und dem Abklingen in einem tödlichen Herbst mit der Entdeckung von Schleyers Leiche, der Selbstmorde in Stammheim und der Begräbnisse in Stuttgart.
So wichtig es auch war , all diese narrativen Momente festzuhalten, so hatte ich doch das Gefühl, dass man auch die Betonung der Effekte des Spektakels und des Kinos einmal ausblenden musste, die plötzlich so lesbar waren: noch lesbarer als die Evidenz und Relevanz des letztlich sehr literarischen Stammbaums von Hamlet, Ödipus und der vaterlosen Gesellschaft, auf den sich die meisten deutschen Kommentatoren und Filmemacher – damals wie heute – bei ihren Interpretationen stützen.31 Den Zugang, den ich in der zweiten Hälfte des Textes wähle, ist deshalb ganz anders gelagert. Er hat zu tun mit den Veränderungen des städtischen Raumes, die sich etwa zur gleichen Zeit manifestierten. Aus dem Blickwinkel der »Guerilla Urbanisten« schien die RAF-Episode auf einen bisher wenig kommentierten Nexus von politischen Themen einzuwirken, doch – wie ich zu zeigen versuche – die mediale Dimension ist auch hier von Belang, indem sie zu jeder Neudefinition dessen gehört, was wir mit der »Politik des öffentlichen Raumes« bezeichnen und als Primat der Bilder in unserer gebauten und gelebten Umgebung erfahren, deren Formen tatsächlich oft oberhalb oder unterhalb des Niveaus der Sichtbarkeit liegen. Noch vor dem verbreiteten Gebrauch von Mobiltelefonen, Überwachungskameras in Einkaufszentren und der Durchdringung des öffentlichen Raumes durch allerlei Arten der Aufzeichnung und Kommunikationsapparate, die diese Realität mit verfügbaren und interpretierbaren Informationen »überlagern«, hatte, so mein Gefühl, die RAF bereits diesen neuen Raum der totalen und unmittelbaren Information in die Unübersichtlichkeit gedrängt, oder besser: ihn körperlich greifbar gemacht. In ihrer (gescheiterten) Politik hatte die RAF ein Schlaglicht auf das Ende einer Ära (die »Politik der Straße«) geworfen, doch mit ihren Aktionen – und den Reaktionen, die sie hervorriefen – haben sie sowohl dem Nicht-Ort der Ausschließung und dem Medienraum (des permanenten Ausnahmezustands) den Weg gebahnt, zugleich Hinterlassenschaft der ambivalent lustvollen Subjekteffekte des Faschismus als auch seiner zeitgenössischen, aktualisierten Neuauflage, nunmehr als militarisierter Staat, der von der »inneren Sicherheit« besessen ist. Die RAF wurde daher zum Prisma, aber auch zum Rebus, durch die ich versuchte, die breiteren Veränderungen in den westlichen Gesellschaften unter dem Eindruck der Medien? und Kommunikationsrevolution darzustellen, deren negative Avantgarde in einiger Hinsicht die Stadtguerilla oder terroristischen ›Urbanisten‹ waren. In dieser Hinsicht gibt es tatsächlich eine Parallele zwischen dem Oktober 1977 und dem September 2001: beide Ereignisse veränderten in ihrer Logik von Bewegungen und Gegenbewegungen zunehmend und unwiderruflich den Charakter der zivilen (Stadt-)Gesellschaft. Die Spiegeleffekte erzeugten Wellen, bis die Temperatur sank, etwas sich verhärtete und – wie bei Kurt Vonneguts »Ice-Nine« (oder Kluges Eiszeit) – alles Lebendige an seinem Ort einfror.32
Während diese Folgerung innerhalb eines deutschen als auch internationalen Weltbildes plausibel erscheint, geht sie doch allzu rasch über ganz unterschiedliches (politisches) Terrain hinweg. Sie hat noch nicht erklärt, welche politische Rolle die bewegten Bilder in ihr spielen, oder eher, sie hat die Subjekt-Effekte dieses Aufzeichnungs? und Reproduktionsapparates nicht vollständig in Betracht gezogen, der mithilfe der RAF-Episode installiert wurde und der in den vergangenen Jahren, insbesondere seit dem 11. September, so stark in seiner Reichweite gewachsen ist, was Michel Foucaults (und Gilles Deleuzes) Vision des Übergangs von der reinen Überwachungs? zur voll entwickelten Kontrollgesellschaft bestätigt. Und es ist in diesem Sinne, dass ich den Essay zur RAF aktualisieren möchte, indem ich eine weitere Akzentverschiebung vorschlage, hin zur Rolle der direkten Aktion, des militanten Aktivismus und der Handlungsfähigkeit im Allgemeinen – und wie dies mit einem neuen historischen Diskurs zusammenhängen könnte, das sich vom Problem der Täterschaft zu dem des Opferstatus verschoben hat. In meinem Essay erscheint die RAF-Geschichte als Hieroglyphe und Rebus, weniger der politischen Geschichte der BRD als vielmehr ihrer Mediengeschichte, die sich als politisch motivierter herausstellt, als ich dies erwartet hätte: nämlich als das Überlagern der Ebenen, bei dem die Vater-Sohn-Achse der Hamlet-Geistergeschichte sich mit dem Vater-Tochter-Paradigma von Antigone und Kreon deckt und dabei – im Gegensatz zu Todesspiel – ein neues technokratisches Verständnis von politischer Macht und Staatlichkeit enthüllt. Dies wiederum macht das Sichtbare unsichtbar, nämlich das Ausmaß, in dem die RAF(-Episode) auf beiden Seiten den militarisierten Sicherheitsstaat vorbereitet hat, während sie die vormals politisierte Öffentlichkeit »der Straße« in das Fußgänger-Fantasieland der Einkaufszonen verwandelte: ein zweischneidiges Phänomen, das ich an anderer Stelle als urbane Szene mit Zonen der Ausschließung und Einschließung bezeichnet habe, die »im gleichen Ausmaß von Gewalt und Fantasie in Schach gehalten wird«.33
Dass die nachfolgenden Pop-Aneignungen der RAF selbst mehr Skandale und Aufregungen hervorriefen, ist in dieser Logik in völliger Übereinstimmung mit der zugrunde liegenden Dynamik: Es ist weniger der Pendelausschlag der aufeinander folgenden Revolten verschiedener Generationen gegen ihre Vorgänger, der zum Vorschein kommt, als vielmehr die psychosozialen Ambivalenzen in Hinblick auf den »Nutzen und Nachteil der Historie fürs Leben«, für die weder die psychoanalytische Metapher des »Aufarbeitens« noch der postmoderne Slogan des »Ausagierens« angemessen erscheint. In dieser polyphonen Lesart eines sozialen Textes wie der RAF-Geschichte und des sozialen Körpers, der sie kollektiv produziert und reproduziert, sind die »Skandale« rund um die Ausstellung in den Kunstwerken 2005 ein besseres Barometer für die Bedeutung der RAF für die BRD als jedes einzelne Ausstellungsstück dies für sich und in sich sein könnte. Es ist, als wäre eine Ausstellung heutzutage, wenigstens im Zusammenhang mit deutscher Geschichte und Erinnerung, lediglich ein weiterer Anlass, um diese psychischen Mechanismen von Reiz und Gegen-Reiz an die Oberfläche zu bringen und die von Peter Sloterdijk so genannten »Erregungsgemeinschaften« zu erzeugen, die emotionale Oszillation, die den Deutschen ihre wertvollsten Momente der Identität, der Subjektivierung und des Zugehörigkeitsgefühls verschaffen. Wenn dem so wäre, dann würde dies auch anzeigen, dass es keinen Grund gibt, weshalb diese Aufregungen, aber auch die Um? und Einschreibungen der RAF-Geschichte (und nicht nur sie) zu diesem Zeitpunkt aufhören sollten:
Tatsächlich ist »Vergangenheit bewältigen« zur deutschen Lebensform geworden. Die Debatten oder Skandale, die sich fast alljährlich an Revisionen oder Verschärfungen des gültigen Geschichtsbildes entzünden oder an intellektuellen Fehlleistungen und Provokationen, die selbst (»vor Kühnheit zitternd«) Teil des Spiels sind – als da waren: Fassbinder-Affäre, Bitburg-Feiern, Historikerstreit, Jenninger-Rede, Syberberg’sche Weihespiele, Strauß’sche Bocksgesänge, Goldhagen-Debatte, Wehrmachtsausstellung, Holocaust-Mahnmal, Walser-Friedenspreisrede, »Tod eines Kritikers«, Hohmann-Lamento (um nur einige der abrufbaren Kürzel zu nennen) –, sie alle lassen sich, mit Peter Sloterdijk, auch als »Rituale der Labilität« beschreiben, in denen die bundesdeutsche Gesellschaft »das stärkste Wir-Gefühl« erreicht.34
Hier könnte ein anderes Konzept relevant sein, das des »Immemorialen« von Jean-François Lyotard, der es definiert als »etwas, das weder erinnert (im Bewusstsein vorgestellt) noch vergessen (dem Vergessen anheimgegeben) werden kann. Es ist, was auf unheimliche Art zurückkehrt.«35 Lyotards Definition macht Trauma auch auf überpersönliche Phänomene anwendbar: Wenn die RAF noch immer ein traumatisches Phänomen ist und wenn Deutschlands Schlüssel-»Immemorial« die Form von »Labilität« und »Erregung« annimmt, dann heißt dies umgekehrt, dass »Trauma« der Modus wäre, in der die deutsche Gesellschaft am leichtesten und sogar am angenehmsten (d. h. mit der geringsten narzisstischen Verletzung) mit sich selbst kommuniziert. Die Wiederholung wäre in diesem Falle nicht eine Wiederkehr desselben, sondern eine mise en abyme der vorangegangenen Ereignisse oder eher: eine bestimmte Form der Wiederbelebung dessen, was vorausgegangen ist, so dass »Skandal« oder »Affäre« nur ein anderer Name für die innere Spiegelung und Reversibilität wäre: Es kommt zu keinem Ende – außer natürlich ein anderes Ereignis oder eine seismische Verschiebung deckt auf, dass es sich bei der Wiederholung – zwanghaft oder rekursiv – lediglich um das »Symptom« eines noch »fundamentaleren« oder ganz anders begründeten Traumas handelt.
Aktivismus, Paralyse, Parapraxis
Der Essay über die »Gegenwärtigkeit des Holocaust im Neuen Deutschen Film«, den ich erstmals als Vortrag 1999 in Frankfurt gehalten habe, beginnt beinahe mit der gleichen Liste der »Debatten und Skandale«, die Gerd Koenen im Zitat oben aufgezählt hat. Wie ihn (und Sloterdijk) erstaunte auch mich nicht nur die Regelmäßigkeit, mit der diese auftraten. Gerade die libidinösen Besetzungen, die sich dabei manifestierten, wiesen auf tiefere psychische Bedürfnisse, welche es zu stillen galt.36 Anstatt mich jedoch auf das zu beschränken, was ich im Zusammenhang mit der Fassbinder-Affäre, »Aufrechnungen, jenseits von Schuld und Schulden«,37 genannt habe, griff ich im Kapitel über Alexander Kluge, das hier noch einmal abgedruckt ist, den Begriff »Fehlleistung« auf (den auch Koenen gebraucht). Indem ich das Wort in seine Bestandteile trenne und die Reversibilität der jeweiligen Referenten aufzeige (geleisteter Fehler/fehlerhafte Leistung) wollte ich auf eine kleine, aber dennoch entscheidende Unterscheidung hinaus (»Fehlleistung als Trauerarbeit«/»Trauerarbeit als Fehlleistung«) zwischen den Freud’schen Versprechern (»Parapraxen«) des öffentlichen Lebens, bei Gedenkveranstaltungen und offiziellen Staatsakten, und einer Art »Poetik der Parapraxen«, die sich in den Filmen von Fassbinder, Kluge, Achternbusch und Farocki auftut, d. h. seltsam angemessene Unstimmigkeiten und Missverhältnisse, welche die Filmemacher entweder in der Textur ihres sozialen oder menschlichen Materials entdeckten oder durch filmische Verfahren des Schnitts und der Gegenüberstellung herstellten. Wie ihre Filme die RAF oder den Komplex von Terror und Trauma bearbeiten, will ich dem Leser überlassen, doch geht es wiederum um die Spiegelverhältnisse und Echo-Effekte, die sich zwischen dem sozialen Körper, den der Film anspricht, und den narrativen, filmischen und rhetorischen Strategien einstellen. Ich behaupte, dass ihre Poetik – mehr als ihre Themen (auch wenn diese ebenfalls relevant sind) – das Rekto und Verso darstellen, wie die BRD in ihren öffentlichen Debatten versucht hat, sich der RAF, dem Nationalsozialismus und dem Holocaust zu nähern: allerdings ist es die (deutsche) Geschichte selbst, die diese ›Drehbücher‹ zu schreiben scheint, nicht die Filmemacher.
Nicht zuletzt dank des 11. Septembers kann man jetzt eine weitere Verbindung erkennen, die ich als eine Art Schlussfolgerung noch kurz ansprechen möchte. Im Gefolge der Flugzeugattentate und der Welle von Selbstmordanschlägen seither haben sich die Debatten verständlicherweise auf die Vorstellung konzentriert, die für die meisten von uns schockierend ist: nämlich den eigenen Körper als Waffe zu gebrauchen, mit dem man nicht nur sich selbst das Leben nimmt, sondern auch andere Leben zerstört. Während die RAF-Mitglieder sich der grauenhaftesten Formen der »Volksjustiz« und der »Geiselhinrichtung« schuldig machten, schreckten sie schließlich davor zurück, Selbstmordattentäter zu werden, auch wenn der Vorfall in Mogadischu so hätte enden können, wären die Passagiere der Landshut nicht von der GSG-9 befreit worden. Man mag sich daran erinnern, dass Flugzeugentführungen die ersten Medienplattformen und öffentlichen Bühnen für Selbstmordanschläge waren; von hier führt eine relativ direkte Linie zu den Attentätern des World Trade Center und des Pentagon: eine Art des Aktivismus, die ihren Nullpunkt im Einsatz des eigenen Körpers als eigentümliches aktiv-passives Instrument findet.38 Wenn man sich weiterhin erinnert, wie die Gefangenen von Stammheim versuchten, ihren Selbstmord als Mord zu tarnen, darin »Täter« zu »Opfern« machend, wird ein anderer thematischer Zug sichtbar, der in den letzten Jahrzehnten sich als eines der dominanten Themen der deutschen Vergangenheitsbewältigungsdebatte herausstellte: die allmähliche, wenn auch noch immer tabuisierte Selbstumschreibung von einem »Tätervolk« in eine »Opfernation«.39 Während es zu weit führen würde, die Erregungsspur dieses besonderen Topos in Deutschland nachzuspüren, erscheint die RAF jetzt wie eine exzessiv-groteske Vorwegnahme der Figur des selbstinszenierten Opfers, bis hin zum Motiv des Märtyrers, insbesondere wie er in der Folge der islamistischen Angriffe, zum Beispiel in London, bei einer neuen Generation Täter wieder aufgetaucht ist.
Anders gesagt: Ein Selbstmord als Mord inszeniert und ein Selbstmord als Massenmord inszeniert, markieren die Extreme auf einem Spektrum der Reaktionen auf eine Krise der (politischen, aber auch persönlichen) Handlungsfähigkeit. Es ist oft diskutiert worden (nicht zuletzt im hier folgenden Essay), wie der Weg von der Studentenprotestbewegung zur RAF damit zu tun hatte, Schusswaffen in die Hand zu nehmen und mit dem Übergang vom politischen Aktivismus zur »direkten Aktion«, d. h. dem bewaffneten Kampf, jeden Rückweg abzuschneiden. Und es ist der Aktivismus der RAF, ihr phobisches und zwanghaftes Verhalten, ihre Selbst-Rechtfertigungen und Pathologien (auch unter den militanten Gruppen, die damals der RAF nahe standen), die heutzutage am fremdesten erscheinen:
Wie war es möglich, dass sich durchschnittlich intelligente, politisch aufgeweckte und sensible junge Leute für einen gewissen Zeitraum in eine Vorstellung von Welt und in einen Aktionismus hineingesteigert haben, der Züge von Halluzination, von systematischer Wirklichkeitsverleugnung, ja von Wahn trug?40
Der […] Grundsatz, der die Sprache des Ernstes dann vollends zu einer Höllenmaschine gemacht hat, war die erstaunlich verbreitete, uns ironischen Postmodernen kaum mehr verständliche Überzeugung, es sei verächtlich, nur zu reden ohne zu handeln. Theorie ohne Praxis sei Verrat.41
Nun hatte sich aber dieser manische Aktivismus, zumindest ursprünglich zur Zeit der APO, aus der angeblichen Lähmung der deutschen Verhältnisse abgeleitet und mit Reibungsenergie versorgt aus der Frustration über die gerade in der Großen Koalition stagnierende ›Alternative‹ zum restaurativen, ganz nach Westen orientierten, der NATO hörigen und den kalten Krieg unterstützenden Nachkriegsregierungen. Dass dies heute nicht mehr gegenwärtig ist, ist umso erstaunlicher, angesichts der nicht enden wollenden Diskussion zu Reformstau und Zögerlichkeit in Bundesregierungen jedweder Couleur, ganz zu schweigen von der Paralyse, die die Europäische Union lähmt, angesichts der neuen Welle von Aktivismus, Dezidismus und Unilateralismus unter den Fundamentalisten sowohl aus arabischen Staaten als auch in den Vereinigten Staaten. Immer breiter scheint die Kluft zu werden zwischen dem stets engeren Handlungsradius liberaler Politiker und sozialdemokratischer Staaten, und dem expandierenden Handlungsradikalismus der Schreibtischtäter, Militärs und opferbereiten Märtyrer.
In diesem Sinne ist es notwendig, Terror und Trauma auch in Verbindung zu bringen mit einer allgemeineren und – im Sinne Derridas, wenn auch wohl nicht in seinen Worten – in die Zukunft weisenden Frage nach dem Status des menschlichen Handelns als solchem und der Fähigkeit, das eigene Leben zu bestimmen, oder umgekehrt der Willkür, dem Zufall, der Kontingenz und dem Chaos ausgeliefert zu sein.42 Man könnte wiederum ein wenig zu schnell vorgehen und sagen, dass der Terror zu viel Handlungsfähigkeit konnotiert und Trauma zu wenig oder, etwas differenzierter, vorschlagen, dass im Gegensatz zum Akt des Terrors, der mit einer exakten Planung, einem perfekten Timing und mit bestimmtem Ziel eine Art Ekstase der Handlungsfähigkeit darstellt, das Trauma eine fremdgesteuerte Form der Handlungsfähigkeit ist, denn auch Trauma kann ebenso effektiv wie katastrophisch sein: effektiv, insofern als zwar der falsche (›unschuldige‹) Körper ins Visier genommen wird, aber zum ›richtigen‹ Zeitpunkt (der Katastrophe), und katastrophisch, insofern es den Geist verstört und den Körper zerrüttet zurücklassen kann, also das ›Überleben‹ zu einem Leben nach dem Leben macht. Hier findet sich ein weiterer Grund, weshalb die zwei Begriffe, die ich jetzt aus der Perspektive einer Krise der Handlungsfähigkeit heraus betrachtet habe, untrennbar – in ihrer gegenseitigen Unzulänglichkeit (als ›falsche‹ Antwort auf Lähmung und Panik) – ineinander verwoben sind. Wir haben gesehen, wie die Andeutung eines immerwährenden Ausnahmezustands, verbunden mit einer libidinös aufgeladenen Kultur der Überwachung, wieder zu einem spezifischen Werkzeug der Politik geworden ist. Diese schmiegt sich dem Körper und den Sinnen an: wie die neuen Medientechnologien, von denen sie bis zu einem gewissen Grad abhängt, bietet die Kultur der Überwachung eine immersive Erfahrung und ist in der Lage, Lähmung, mangelnde Handlungsfähigkeit sowie die Unmöglichkeit, Distanz und Nähe zu beherrschen, in eine Quelle des Vergnügens und der Lust zu verwandeln.
Was wären da die Gegenstrategien, die diese immersive Form des Lebens als Lähmung, Eintauchen und Spiegel- Labyrinth erfahrbar machten und dennoch darin nicht stecken blieben? Wenn es stimmt, dass Terror und Trauma zwei Modalitäten der gestörten oder blockierten Handlungsfähigkeit sind, die sich zwar ähneln unter dem Aspekt des exzessiv Effektiven und Destruktiven, des Lähmenden und des Leidenden, so komplementieren sie sich doch nicht, außer in der (wie ich meine) unzureichend differenzierenden Polarisierung von aktiv und passiv, Täter und Opfer, transitiv und intransitiv. Was fehlt, ist ein Begriff, der sich jenseits der Gegenüberstellungen befindet, sich aber doch ›diesseits‹ der Körper und der Sinne bewegt, die in jedem Fall davon betroffen sind. Dieser Begriff wäre, nach dem, was bisher gesagt wurde, der der Fehlleistung, der die fatalen Mechanismen des Missverhältnisses von movens und agens, die Terror und Trauma verbinden, subsumiert und anders positioniert. Dem bei Sigmund Freud eher marginal auftauchenden und eigentlich nirgends voll erläuterten Terminus der Fehlleistung oder Fehlhandlung wird damit zwar eine gewisse konzeptionelle Tragfähigkeit aufgebürdet, für die der Begriff ursprünglich sicher nicht intendiert war, aber ich hoffe, die in den Essays gegebenen Beispiele rechtfertigen das Experiment.43
Das Buch hat also ein Kapitel über den Terrorismus in Deutschland und eines über Traumatheorie in den angloamerikanischen Geisteswissenschaften als Klammer, als die sich kommentierenden, symptomatischen Seiten einer Krise der Handlungsfähigkeit. Dazwischen finden sich Essays über die Poetik der Parapraxis, auch zu verstehen als blockierte und gebrochene Handlungsfähigkeit, eine Art von negativem Aktivismus, unter bestimmten innerpsychischen Konditionen sowohl tragisch als auch komisch am Körper erfahrbar. ›Fehlleistung‹ soll auch hier das konzeptuelle Gerüst liefern für das, was ich in dieser Einführung darzulegen versucht habe: dass die zwei Begriffe »Terror« und »Trauma« weniger einfach auseinander zu halten sind, als man es vielleicht gerne hätte, aber auch, dass sie nicht nur die missgestaltenen siamesischen Zwillinge sind, für die sie immer wieder gehalten werden. Wenn ich demnach behaupte, dass es in den Filmen von Alexander Kluge und Herbert Achternbusch um die Störungen der sensomotorischen Koordination geht, um die Slapstick-Fallen menschlicher Handlungsfähigkeit und Intentionalität, dann habe ich kaum mehr als das auf der Hand Liegende gesagt. Die ständigen Konfrontationen ihrer Protagonisten mit den »Tücken des Objekts« (bzw. des eigenen Subjekts als plötzlich zum Objekt werdenden Subjekts) mit den Folgen von Traumata zu vergleichen, würde allerdings wiederum die Hand überreizen, wenn ich diese Behauptung nicht durch genaue Analysen absichern kann, wie dies in den nachfolgenden Kapiteln versucht wird. Darüber hinaus wäre festzuhalten, dass angesichts der allgemeinen Problematik von Aktivismus, Dezisionismus – der Fähigkeit zu handeln, ihren Blockierungen und Hindernissen –, die ›Fehlhandlung‹ nicht als Handicap, sondern als »erfolgreiche« Überlebensstrategie zu verstehen ist. Wenn Kluges oder Achternbuschs Protagonisten »traumatisierte Terroristen ihrer eigenen Leben« sind, so sind sie dies zu ihren, aber auch zu unseren eigenen Gunsten: Die »erfolgreich gescheiterte Performativität«, die ich am Anfang schon angedeutet habe, ist gescheitert, wenn man sie von den Intentionen der Politiker oder Intellektuellen aus betrachtet, die dabei zu Fall gekommen sind. Aus philosophisch-poetologischer Sicht allerdings ist sie erfolgreich, weil sie die zwei Extreme des gegenwärtigen Handlungspotentials unbewusst vermeidet (traumatische Lähmung und terroristische Aktion), während sie dennoch den Ort markiert – den bislang unmöglichen Ort sinn? und wirkungsvoller Handlung –, den die Extreme vergeblich besetzen oder antizipieren.44 Mein übergreifendes Argument wäre dann, dass man an dem gescheiterten Terrorismus der RAF-Aktionen und der »Skandale« ihrer performativen Wiedererweckungen eine breitere Geschichte der Fehlleistung und Täterschaft aufzeichnen könnte, deren Konturen sich am deutlichsten in Deutschland abzeichnen, wann immer eines der drei Themen Nationalsozialismus, Holocaust und RAF zur Sprache kommt.45
Die Poetik der Parapraxis bei Kluge und Achternbusch deutet direkt und indirekt die Begriffe an, die dieser Logik eine Darstellbarkeit verleihen, indem sie Protagonisten geschaffen haben, die gewohnheitsmäßig die Lücke zwischen Gedanken und Handlung (ihre nervtötende »Buchstäblichkeit«) nicht durch Praxis, sondern durch Parapraxis überwinden, den bösen Zwillingsbruder und gutartigen Doppelgänger der »direkten Aktion/souveränen Handlungsfähigkeit«. Im Bereich der Kunst und des (deutschen) Kinos sind ihre Filme exemplarisch, in dem Maße, in dem sie zeigen, wie deutsche Vergangenheit mit ganz bestimmten Vexierbildern und Wortspielen ›bewältigt‹, ›bearbeitet‹, oder ›dargestellt‹ werden kann, indem sie gerade auf die unmöglichen und doch notwendigen Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit, d.h. der ›Arbeit an der Vergangenheit‹ bestehen. Sie tun dies, indem sie Formen der Handlung in Szene setzen, die an dieser Unmöglichkeit teilhaben, und bei denen sich die Fehlleistung als Poetik der Latenz und der Eigensinn als Sprache des Verdrängten erweisen. Bei ihnen kann die viel beschworene Trauerarbeit erst dann beginnen, wenn das Fehlende in seinem Fehlen präsent bleibt und das Dargestellte weiß, wem oder was es Gewalt antut. Aber in ihnen wird auch deutlich, dass der Terrorist eine Vorstellung von Handlung hat, bei der der Selbstmord sowohl das Ziel und der Nullpunkt effektiver oder motivierter Handlung bildet. Im Gegensatz dazu ist die Poetik der Parapraxis das ›Ausstellen‹ dieses Ziels wie auch dessen Nullpunkts: des Nullpunkts, da das Subjekt in der Fehlhandlung momentan die Kontrolle verliert über seine Handlungen, und des Ziels, weil dies nicht (und gleichzeitig dennoch) seinen Intentionen entspricht. Im Freud’schen Versprecher, der Fehlleistung, gibt es ein Motiv oder eine Ursache, einen Handelnden oder ein Subjekt, ein Medium oder Körper und einen Akt oder einen Effekt – doch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge (um Jean-Luc Godards Wort vom Beginn, Mitte und Ende einer Handlung zu paraphrasieren).
Wir können jetzt erkennen, dass das Trauma des »Durcharbeitens« in der 68er Generation und vielleicht sogar das scheinbar so untraumatische Spiel mit Medienzeichen und dem »Ausprobieren« für die Generation der 89er, sich sehr wohl um eine Abwesenheit drehen könnte, die wir noch nicht einmal angefangen haben zu reflektieren: der verlorene Glauben an eine andere, eine veränderbare, »bessere« Welt, zu der unsere Handlungsfähigkeit – entweder individuell oder kollektiv – tatsächlich beitragen könnte. Dass dieser verlorene Glauben traumatisch wirkt, ist evident angesichts des Versagens des bürgerlichen Individualismus und seines autonomen Subjekts sowie angesichts des noch evidenteren Versagens seiner angeblichen Alternative: Sozialismus und seine verschiedenen Vorstellungen von kollektiver Handlungsfähigkeit als Proletariat, als Partei oder als revolutionäres Subjekt der Geschichte. So bedeutsam ist dieses Versagen und erst so kurz zurückliegend, dass selbst die Diskussion dieser Fehlschläge weitestgehend tabuisiert wird, entweder durch ein Achselzucken der Indifferenz oder durch eine panische Forderung, zu wissen, was denn »die Alternative« sei zum allseits als schlimm empfundenen Bestehenden.
In dieser Situation möchte man vorschlagen, dass die Form der Handlungsfähigkeit, die hier als parapraktisch bezeichnet wird, paradoxerweise als das hoffnungsvollste Zeichen zu interpretieren ist, das es heute geben kann, weil es anzeigt, dass selbst Politiker und öffentliche Figuren, wenn sie sich in Fehlleistungen der offensichtlich noch gegenwärtigen Vergangenheit verstricken, es noch nicht völlig aufgegeben haben, dass effektive persönliche oder zweckdienliche öffentliche Handlungsfähigkeit einmal möglich sein könnte. Auch verweigern sich die ›Parapraktiker‹ damit des unilateralen Dezidismus derer, die immer drauflos handeln, selbst wenn sie nicht die geringste Idee haben, wohin sie dies – oder auch den Rest der Welt – bringen wird. Nicht Zögerlichkeit, nicht Lähmung, sondern »erfolgreich gescheiterte Performativität« entdecke ich auf der Unterseite der Debatten um Geschichte und Erinnerung, Europa und Demokratie, kurz: auf all den Gebieten, wo Koalition, Kooperation, Partnerschaft und Konsens angesagt sind, während die handlungsfähigen Voraussetzungen dafür jedoch (noch) nicht gegeben sind. Was wir ebenfalls noch nicht entschieden haben, ist, was mit dem Überschuss oder den Resten einer Kultur/eines Kults des Handelns in einem Kontext – Kontext der Welt, aber auch des Individuums – zu tun ist, in dem eine solche Transitivität der persönlichen Initiative entweder illusionär oder kriminell ist. Parapraxis wäre das Versprechen einer Handlungsfähigkeit, die unbewusst weiß, woher sie kommt und wohin sie will, zu einer Zeit und unter Bedingungen, die eigentlich die Handlungsfähigkeit unmöglich machen. Auf ähnliche Weise würde die Parapraxis einem erlauben, im terroristischen Akt die Möglichkeit einer Notwendigkeit für Handlung zu erkennen, von der die Tat selbst die parapraktische oder verbrecherische Perversion ist. Er zwingt uns, weiterhin nach Wegen zu suchen, wie die kollektive Gesamtheit der menschlichen Handlungen den Spielraum bestimmen, was Individuen tun können, wollen und müssen. In diesem Sinne weisen sowohl Trauma als auch Terror in die Zukunft statt in die Vergangenheit, weil sie die Verpflichtung, die Dialektik von Täter und Opfer zu überwinden, am Leben erhalten, während sie sich des historischen – und gegenwärtigen – Scheiterns, dies zu tun, am eigenen Körper erinnern.
Notes
»Es ist klar, dass ›Terrorismus‹ eine nicht-existierende Substanz ist, ein leerer Name. Aber dieses Nichts ist wertvoll, gerade weil es gefüllt werden kann. Und zuallererst wird es, wie üblich [...] mit dem gefüllt, dem es gegenüber steht. In diesem Fall steht dem Terrorismus ein ›Wir‹ gegenüber, das sich verteidigen muss.« Alain Badiou, Considérations philosopbiques sur des evenements Recents. Vortrag, gehalten an der Ecole Normale Superieure in Paris, 26.10.2001, http://www.organisationpolitique.com/distance/36_37/6_conf_A.B.pdf.
Terror bezeichnete in der Französischen Revolution die Form der Gewalt, deren sich die Staatsmacht unter besonderen Umständen bedient, und die darin besteht, die Justiz und das Recht der politischen Notwendigkeit unterzuordnen: »La terreur n‘est autre chose que la justice prompte, sure, inflexible« (Robespierre).
» A dominant power will always try to impose and, thus, to legitimate, indeed to legalize (for it is always a question of law) on a national or world stage, the terminology and thus the interpretation that best suits it in a given Situation.« Jacques Derrida, in: Giovanna Borradori (Hg.), Philosophy in a Time of Terror. Dialogues with Jürgen Habermas and Jacques Derrida. (Chicago und London: University of Chicago Press, 2003), S. 105.
Hai Foster, Obscene, Abject, Traumatic. October 78 (Fall 1996), S. 107-124.
»Als ich mich in meinen drei Romanen über den Deutschen Herbst mit dem Verhältnis Herold-Baader beschäftigt habe, ausgehend von Herolds Ausspruch »Ich habe ihn (Andreas Baader) geliebt«, wurde mir klar: Es gab damals auch ein Bedürfnis, die RAF groß zu reden. Es gab das Bedürfnis nach einem Feind, auf beiden Seiten.« F.C. Delius, »Es war alles ganz anders«. In: Die Welt, 20.1.2001.
Diese Meinung wurde in mehreren Beiträgen, u.a von Baudrillard, in: Semiotexte: The German Issue, vol. 4, no. 2, 1982 vertreten.
Philosophy in a Time of Terror, S. 95. Hier zitiert nach einer Kritik und Paraphrase von Martti Koskenniemi. In: The German Law Journal, No. 10 (1. Oktober 2003), http://www.germanlawjournal.com/article.php?id=319.
Jean Baudrillard, Power Inferno. Requiem pour les Twin Towers. Hypothèses sur le terrorisme. La violence du mondial (Galilée, 2003).
Eine der ersten Formulierungen dieses neuen Epistems findet sich in Ulrich Beck, Anthony Giddens, Scott Lash, Reflexive Modernization: Politics, Tradition and Aesthetics in the Modern Social Order. (Stanford: Stanford University Press, 1994), S. 1-55.
Don DeLillo, White Noise (New York: Penguin, 1985), S. 68.
Siehe u.a. http://www.sexstone.net/mettenarch28.html. Hier werden mehrere Verweise auf den ›Hitler Channel‹ zitiert.
Hierzu z.B. Aleida Assmann und Ute Frevert, Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit: Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945 (Stuttgart: DVA, 1999). Assmann unterscheidet drei Phasen deutscher Vergangenheitsbewältigung: »massive Abwehr« in den ersten Jahren nach dem Krieg, dann die Kritik der 68er an der Elterngeneration, und schließlich die »systemtranszendierende« Geschichtsbesessenheit der 1980er und 1990er Jahre.
Wolfgang Kraushaar, »Zwischen Popkultur, Politik und Zeitgeschichte. Von der Schwierigkeit, die RAF zu historisieren«. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 1 (2004), H.2, http://www.zeithistorische-forschungen. de/16126041-Kraushaar-2-2004.
»Die Jungen – so Koenens (Selbst-)Deutung – waren von der Idee besessen, ihrer Biographie eigenes Gewicht geben zu müssen, während ihre Eltern die Leistungen in Kriegs- und Aufbauzeiten geltend machen konnten. Also steigerten sich die aufbegehrenden Jugendlichen in Kriegsphantasien hinein, die mal ein vermeintlich unmittelbar bevorstehender dritter Weltkrieg, mal die Befreiungskriege in der Dritten Welt düster grundierten.« Gabriele Metzler, »Irrungen, Wirrungen - Die Selbst(er)findung einer Generation«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juli 2001, Besprechung von G. Koenen, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977 (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2001).
Dazu Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus (Hamburg: Hamburger Edition, 2005).
Inzwischen ist umgekehrt das Generationsparadigma für die 68er (und seine Folgen: »Generation Golf«, »Berlin Generation«) in den Medien und dem Feuilleton so omnipräsent geworden, dass für das Phänomen ›Generation‹ selbst wieder Erklärungsmuster gesucht werden: »Die Erfahrung der Verzeitlichung des Sozialen ist der Grund für die Konjunktur des Generationenbegriffs. Wichtig ist dabei allerdings, dass Generationen erst dadurch zustande kommen, dass sich benachbarte Jahrgänge als erlebnismäßige Einheit verstehen.« In: Heinz Bude, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 13.11.1998. »Wo Klasse ist, herrscht ein gewisses Maß von Tradition und überindividuellem Stil; wo soziale Mobilität überwiegt, kommt leicht der Mechanismus von Generationen mit ihren Moden und Sonderkulturen in Gang.« In: Gustav Seibt, Die Zeit, 2.3.2000.
Reinhard Mohr: »Die 78er, die heute auf die vierzig zugehen, kamen zu spät zur Revolte der sechziger Jahre und standen dann, in den Achtzigern, vor den verschlossenen Türen der reformierten Gesellschaft, die sie gar nicht zu brauchen schien. [...] Als Angehörige einer historisch »überflüssigen« Zwischengeneration fielen sie durch den imaginären Rost des Zeitgeistes. Anders als die »Alt-68er« und die postmodernen »Neonkids« haben die 78er keine politisch oder kulturell griffige Symbolik entwickelt, die sie auf Anhieb identifizierbar machte. Sie verfügten über kein Label, kein Erkennungszeichen.« Reinhard Mohr, Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte Kam (Frankfurt/M.: Fischer, 1992), S. 2.
»Der gesellschaftliche Beitrag [der Generation Golf] ist die Ästhetisierung, d. h. die Definition der eigenen Existenz über Werbesprüche und Labels in den Jacketts.« In: Florian Illies, »Generation Golf«, Leipziger Volkszeitung, 5.4.2000.
»Wie kommt es, dass historische Episoden, die eine ganze Generation geschockt haben, für eine spätere Generation schon Spielmaterial werden können?« Martin Warnke, »Warum ausstellen, was alle schon kennen?« In: Art, Nr. 12, Dezember 2003, S. 78.
Kraushaar, a.a.O. (s. Anmerkung 13).
Ein Essay zum Pop-Kult um die RAF in den verschiedenen Medien wie Film, Literatur, Theater, Musik und Modezeitschriften findet sich auf einer der RAF gewidmeten Website unter http://www.rafinfo.de/archiv/files/RAF-Pop.pdf.
»Von einem feigen »Verdrängen« kann seit Jahrzehnten keine Rede mehr sein – eher von einem vitalen Sich-Bemächtigen. [...] Aber dabei bleibt die eigentümliche narzisstische Bindung der Deutschen an Auschwitz, ihr obsessiver Wunsch, die eigene Geschichte, die eine stete Quelle der Kränkung des eigenen Selbstbildes ist, »zu bewältigen« und »zu verarbeiten«, längst nicht mehr stehen. Denn indem wir Deutschen von heute bereitwillig anerkennen, dass die Opfer von damals ihrem »portativen Vaterland«, der deutschen Literatur und Kultur, tiefer die Treue bewahrt haben als unsere Tätereltern, die es schändlich verraten haben, indem wir uns also mit den Opfern von einst ganz identifizieren und auf ihre Seite stellen, gehören auch wir zu ihnen, sind wir ebenfalls »Überlebende« – und zugleich Wiedergeborene, reborn Germans.« Gerd Koenen, »Mythen des 20. Jahrhunderts«, in: Doron Rabinovici, Ulrich Speck und Natan Sznaider (Hg.): »Neuer Antisemitismus?« Eine globale Debatte (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2004), zu finden unter http://www.gerd-koenen.de/artikel_kommentare.htm#a4.
Die Staatliche Kunstsammlung Dresden bewirbt die leihweise Erwerbung von Gerhard Richters Stammheim-Serie 18. Oktober 1977 auf ihrer Website folgendermaßen: »›In der von Tod und Leid 1945 so gezeichneten Kunststadt Dresden kann auch im Zuge des aktuellen Themas Terrorismus das Werk von Gerhard Richter erneut daraufhin befragt werden, wie gerade Kunst es vermag, sich außerhalb festgeschriebener Vorstellungsmuster Themen der jüngsten Geschichte zu nähern, deren Einordnung und Bewältigung für uns heute letztendlich noch unmöglich bleiben. [...] Der Tod der Terroristen und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschehnisse davor und danach bezeichnen eine Ungeheuerlichkeit, die mich betraf und mich, auch wenn ich sie verdrängte, seitdem beschäftigte wie etwas, was ich nicht erledigt hatte‹, formulierte Gerhard Richter.« Zu finden unter http://www.skd-dresden.de/de/ausstellungen/aktuell/Gerhard_Richter___18_Oktober_l 977.html.
Die Essays machen auch bestimmte Hintergrundinformationen oder Kontexte deutlich, die als selbstverständlich vorausgesetzt hätten werden können, wären die Texte innerhalb eines deutschen Umfelds geschrieben und zunächst an eine deutsche Leserschaft gerichtet worden. Ich habe es unterlassen, Überlegungen darüber anzustellen, was diese Verschiebungen im Verhältnis von Hintergrund und Vordergrund des impliziten und expliziten Wissens bedeutet, jetzt da das Buch auf Deutsch vorliegt. Auch sind die Texte nicht aktualisiert, so dass sie hier und da bestimmt anachronistische Züge aufweisen.
Angefangen von Bild (»Warum zahlt Berlin 100.000 Euro für Skandal-Ausstellung über RAF?«) und regionalen Blättern (Ludolf Schulte, »Streit um erste RAF-Ausstellung«. In: Düsseldorfer Stadtpost, 15.5.2003) wurde rasch die ganze Bandbreite der Medien und Politiker bis zum Innenminister und Bundeskanzler mobilisiert, um die Ausstellung zu unterbinden (»Politiker wollen Terror-Ausstellung stoppen«, Bild-Zeitung, 23.7.2003). Siehe auch Christoph Stölzl, »Was soll denn da gezeigt werden?«. In: Der Tagesspiegel, 2.8.2003.
Verweisen möchte ich allerdings auf den schon mehrmals zitierten Artikel von Wolfgang Kraushaar (Anm. 13, 20), der als Vertreter des Hamburger Instituts für Sozialforschung bei der Vorbereitung der Ausstellung beteiligt war, und einen kritischen Bericht von Gerd Koenen, der ebenfalls zeitweise als Berater der Kuratoren fungierte: »BLACK BOX RAF: Zur symbolischen und realen Geschichte des linken Terrorismus in Deutschland«. In: Kommune, Heft 2/2005, zu finden auf Koenens Homepage unter http://www.gerd-koenen.de/artikel_kommentare.htm#a5.
Aleida Assmann, a.a.O., S. 3 (s. Anm. 12).
Der Vortrag wurde 1997 auf einer Konferenz an der State University of New York in Buffalo gehalten, die Joan Copjec organisiert hatte. Die Druckversion wurde während eines Aufenthaltes an der University of California, Berkeley, Anfang 1998 recherchiert und geschrieben.
»Ja, beide Seiten haben sich gebraucht – zur Ichfindung. Letztlich aber hat die ganze Geschichte der Bundesrepublik sehr genützt. Seit dieser Bewährungsprobe, seit diesem Kampf steht der Staat. Seitdem bekennen sich die Linken zur parlamentarischen Demokratie.« In: F.C. Delius, »Es war alles ganz anders«, a.a.O. (s. Anm. 5).
»Es war die Verheissung«, so Christian Semler. In: die tageszeitung, 24.4.2001.
Dies ist also kein Kapitel über die »Darstellung der RAF in Film und Fernsehen«. Da der Text aus dem Jahr 1997/98 stammt, ist es darüber hinaus klar, dass ich die Filme, die seit Deutschland im Herbst und Das Todesspiel über die RAF entstanden sind, nicht diskutiere, also etwa Die innere Sicherheit (Christian Petzold, 2000), Die Stille nach dem Schuss (Volker Schlöndorff, 2000), Blackbox BRD (Andreas Veiel, 2001), Baader (Christoph Roth, 2002) oder Starbuck - Holger Meins (Gerd Conrad, 2002).
»Ice-Nine is a crystalline form of water so stable it never melts. A single crystal of Ice-Nine would crystallize every bit of water it touched. Unfortunately, the melting point of Ice-Nine was 114 degrees; once the entire planet locked up, it would probably never melt.« In: Kurt Vonnegut, Cat’s Cradle (New York: Random House, 1963). »[H.C. Andersens Schneekönigin] ist ein Kunstmärchen, Dichtung, in der aber die Metapher der Eiseskälte, die TÖDLICHE GLEICHGÜLTIGKEIT, paraphiert wird.« In: Rainer Stollmann / Alexander Kluge, Die Entstehung des Schönheitssinns aus dem Eis (Berlin: Kadmos, 2005), S. 13.
Thomas Elsaesser, Harun Farocki. Working on the Sight-Lines. (Amsterdam: Amsterdam University Press, 2004), S. 34.
Gerd Koenen, »RITUALE DER LABILITÄT – Wozu eine Ausstellung über die RAF?« In: Süddeutsche Zeitung, 26./27.7.2003 und http://www.gerd-koenen.de/artikel_kommentare.htm#al.
Zitiert nach Bill Readings, Introducing Lyotard: Art and Politics. (London/New York: Routledge, 1991, 2nd. ed. 1992), S. xxxii.
Eine frühere Auseinandersetzung mit dem Thema findet sich in meinem Buch Rainer Werner Fassbinder (Berlin: Bertz, 2001), S. 281-314. Ursprüngliche Fassung in: Fassbinder’s Germany - History Identity Subject (Amsterdam: Amsterdam University Press, 1996), S. 175-196.
Ebd., S. 315-346 (engl. Ausgabe, S. 197-215).
Die ersten Selbstmordattentäter waren drei Mitglieder der Japanischen Roten Armee, die 1972 am Flughafen von Tel Aviv mit Granaten und automatischen Waffen 26 Menschen töteten, bevor sie selber starben. Über Flugzeugentführungen als Medienereignisse und Indizien des kulturellen Wandels (darunter auch »Mode«) siehe den Videofilm von Johan Grimonprez, DI AL History (1995/97).
Zum 60. Jahrestag des Abwurfs der ersten Atombombe schrieb Peter Reichel: »Auch für die Besiegten hatte das Verhängnis einen politischen Nutzen. Die japanische Kriegsführung erkannte schnell, dass »der Einsatz der Atombomben und der Kriegseintritt der Sowjetunion Geschenke des Himmels« (Marineminister Mitsumasa Yonai) waren. [...] Der Bombenabwurf der Amerikaner machte aus einem Tätervolk buchstäblich mit einem Schlag eine Opfernation.« In: Süddeutsche Zeitung, 5.8.2005. Gerade dies haben die Feuerstürme von Dresden, Hamburg und anderen deutschen Städten nicht erreicht, auch nicht nach der Debatte um Jörg Friedrichs Der Brand oder den Neonazi-Demonstrationen in Dresden am 13.2.2005, was nicht bedeutet, dass damit die Diskussion über die Deutschen als Opfer abgeschlossen sei.
Karl Schlögel, »1968 – Eine künstliche Erregung«. In: Literaturen, Juni 2001.
Stephan Wackwitz, »Es war was faul im Staate Deutschland«. In: Süddeutsche Zeitung, 28.5.2001.
Wollte man im semantischen Bereich des Flugzeugs bleiben, könnte man auf Norbert Bolz verweisen und aus dem Verlagstext für seinen Blindflug mit Zuschauer (München: Wilhelm Fink, 2005) zitieren: »Es gibt keine bessere Metapher für die Entwicklungsdynamik der modernen Gesellschaft als die des Blindflugs. Auf die Instrumente und das Personal ist Verlaß, aber niemand weiß, wohin die Reise geht.« Dass hier nicht allzu subtil mit dem Schrecken der gekaperten Flugzeugpassagiere ironisches Spiel getrieben wird, kann wohl kaum einem Leser entgehen.
Freud erwähnte die Parapraxis erstmals in einem Brief an Fließ am 26. August 1898, doch die ausführlichste Diskussion findet sich in der Psychopathologie des Alltagslebens, die mit einer längeren, allerdings von Freud als unschlüssig bezeichneten Erörterung schließt: »Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung äußert, ist häufig ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder, der nur die Gelegenheit benutzt, sich bei der Ausführung der Handlung durch eine Störung derselben zum Ausdruck zu bringen. Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind die bedeutsameren und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungen. [Zur Frage], welcher Herkunft die Gedanken und Regungen seien, die sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, läßt sich sagen, daß in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von unterdrückten Regungen des Seelenlebens leicht nachzuweisen ist. Egoistische, eifersüchtige, feindselige Gefühle und Impulse, auf denen der Druck der moralischen Erziehung lastet, bedienen sich bei Gesunden nicht selten des Weges der Fehlleistungen, um ihre unleugbar vorhandenen, aber von höheren seelischen Instanzen nicht anerkannte Macht irgendwie zu äußern. [...] Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten Untersuchung als einen Hinweis daraufzu nehmen, daß die befriedigende Aufklärung für die psychologischen Bedingungen der Fehl- und Zufallshandlungen auf einem anderen Wege und von anderer Seite her zu gewinnen ist. Der nachsichtige Leser möge daher in diesen Auseinandersetzungen den Nachweis der Bruchstellen sehen, an denen dieses Thema ziemlich künstlich aus einem größeren Zusammenhang herausgelöst wurde.« In: Sigmund Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Frankfurt/M: Fischer Taschenbuchverlag, 1973 [1954], S. 230-232).
Siehe dazu auch den Abschnitt ›Handlungsanalyse; Zwecke, Mittel, etc.‹ In: Jan Philipp Reemtsma, »Was heisst, die Geschichte der RAF verstehen.« In: Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland, Jan Philipp Reemtsma, Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF (Hamburg: Hamburger Edition, 2005), S. 115-120.
Dies folgt unweigerlich der Logik des berühmten John-Cleese-Sketches aus Fawlty Towers mit den deutschen Touristen, in dem die ständig wiederkehrende Anordnung »Don’t mention the War« dafür sorgt, dass genau dieser unverdrängbar präsent bleibt.